Unsere Forschung

Der Verein Philosophie.ch ist nicht nur ein Philosophiemagazin, eine Vernetzungsplattform und Herausgeber der internationalen Fachzeitschrift Dialectica, sondern auch eine Forschungseinrichtung. Unsere Forschung lässt sich grob in vier Kategorien einteilen:

  • Offene Wissenschaft. Wir sind der Meinung, dass die Suche nach der Wahrheit uns alle angeht und dass ihre Methoden, Verfahren und Ergebnisse für alle verfügbar und zugänglich sein sollten. Aus diesem Grund haben wir die renommierte Philosophiezeitschrift Dialectica für jedermann online frei zugänglich gemacht. Aus diesem Grund entwickeln, erforschen und testen wir neue und innovative Wege, um die Diskussion, Beurteilung und Bewertung wissenschaftlicher Artikel offener, transparenter und fairer zu gestalten. Dies kommt sowohl den Forschern als auch den Studierenden zugute und ist auch für die Gutachter interessanter und lohnender. Gleichzeitig experimentieren wir mit neuen Wegen zur Erstellung, Weitergabe und Verbesserung wissenschaftlicher Informationen aller Art, einschließlich der von Philosophiestudierenden erstellten Arbeiten. Darüber hinaus dokumentieren wir unser eigenes Projekt, Dialectica in eine Open-Access Zeitschrift umzuwandeln, um möglicherweise andere Philosophiezeitschriften davon zu überzeugen, unserem Weg zu folgen und aus unseren Fehlern zu lernen.
  • Schweizer Philosophie. Die Philosophie in der Schweiz hat eine lange und interessante Geschichte und weist einige besondere Merkmale auf. Unser Ziel ist es, diese Besonderheiten zu erforschen und neue Wege für eine effiziente und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Schweizer Philosophen:innen zu finden. Wir sind daran interessiert, herauszufinden, wer in der Schweiz was auf welche Weise in philosophischer Absicht tut, und daran, die Früchte dieser Arbeit besser zugänglich, einsehbar und bekannt zu machen. Zudem wollen wir die weitgehend unerschlossene Geschichte der Schweizer Philosophie, die vielen Gesichter der heutigen Schweizer Philosophie und insbesondere die Interessen und Bedürfnisse der neuen Generationen von Schweizer Philosoph:innen erforschen und zugänglich machen.
  • Philosophische Vielfalt. Wir sind der Meinung, dass philosophische Fragen und die Bandbreite ihrer sinnvollen Antworten besser verstanden werden, wenn sich eine Vielzahl von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, aus unterschiedlichen Milieus und in unterschiedlichen Sprachen an dem gemeinsamen Bemühen beteiligen, diese Fragen möglichst präzise zu formulieren und die Bandbreite ihrer sinnvollen Antworten zu bestimmen. Deshalb wollen wir die philosophische Forschung für einen größeren Personenkreis öffnen und das philosophische Angebot für die interessierte Öffentlichkeit um neue Stimmen bereichern.
  • Philosophie lernen. Auch wenn einige bezweifeln, dass Philosophie gelehrt werden kann, so kann man sie doch lernen. In der Tat haben die meisten von uns Philosophie gelernt, und wir hoffen, dass viele andere dies auch tun werden. In seinen derzeitigen Angeboten, Methoden und seiner Pädagogik ist der Philosophieunterricht jedoch weitgehend im letzten Jahrhundert stecken geblieben. Wir untersuchen neue Wege, um Philosophie zugänglich zu machen und Menschen darin zu unterstützen, Philosoph:innen zu werden und ihre philosophischen Interessen auszufalten, zu verfeinern und zur Geltung zu bringen, indem wir neue und innovative Lehrtechniken entwickeln, zugängliche Online-Kurse anbieten und Workshops für Einsteiger organisieren, die allen offen stehen.

Unter diese vier großen Themenbereiche fallen die folgenden spezifischen Forschungsprojekte.


 

In der Schweiz beheimatet, offen für die Welt

PhilExpo22: In enger Zusammenarbeit mit Schweizer Hochschulen, Philosophievereinen, Studierendenorganisationen, Cafés Philos, Beratungsstellen usw. hat Philosophie.ch vom 6. bis 15. Mai 2022 das erste nationale Philosophie-Festival organisiert, die philExpo22. Eine Reihe von Veranstaltungen in verschiedenen Formaten in allen grösseren Städten der Schweiz hat den zahlreichen Besucher:innen ermöglicht, einen Einblick in die vielfältigen Gesichter der Philosophie in der Schweiz zu bekommen.

Geschichte der Schweizer Philosophie: Wir interessieren uns nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Geschichte der Schweizer Philosophie, denn diese kann uns Hinweise auf ihre Zukunft und das Wissen zu ihrer Gestaltung geben. Unser Forschungsprojekt zur Geschichte der Schweizer Philosophie konzentriert sich auf die institutionellen und sozialen Facetten ihrer akademischen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg und versucht mit Methoden der oral history auch die neueren, weitgehend unerforschten, Entwicklungen in geeigneter Form zu dokumentieren.

Argulyse: Die Schweizer Philosophie wird zu einem grossen Teil von den Steuerzahlern finanziert. Da die Schweiz eine besonders lebendige Demokratie ist, werden die Entscheidungen der Steuerzahler zumindest manchmal und in gewissem Umfang durch Argumente beeinflusst. Das analytische und konzeptionelle Instrumentarium der Philosophie eignet sich daher sehr gut für die Untersuchung der Verwendung von Argumenten in der Schweizer Politik.

Abécédaire: Das Videoprojekt «Abécédaire de la philosophie contemporaine» will in einer Reihe von filmisch ansprechenden Interviews mit einigen der interessantesten jüngeren Protagonisten ein Panoptikum der Vielfalt der Stimmen in der heutigen Schweizer Philosophie bieten.


Vom Nichtwissen zum Wissen, dass man nichts weiss

Online-Kurse: Obwohl wir glauben, dass die Philosophie von Natur aus für alle von Interesse ist, fällt es vielen schwer, in die Welt der komplizierten Sätze, der nuancierten Konzepte und der geheimnisvollen Unterscheidungen einzudringen. Unsere Online-Kurse zielen darauf ab, die Einstiegshürde zu senken, indem sie ein neues Publikum in einem interaktiven und unterhaltsamen Format in die Grundlagen verschiedener Theorienfamilien in verschiedenen Bereichen der praktischen Philosophie einführen. Ausgehend von dem sehr erfolgreichen Kurs über allgemeine Ethik und dem gerade kürzlich fertiggestellten Kurs über Klimagerechtigkeit, wollen wir Online-Kurse in politischer Philosophie, Sozialphilosophie, Tierethik, Wirtschaftsethik und Finanzethik entwickeln.

CUSO 22: Wir glauben, dass die Geschichte der Philosophie einen großen Schatz an immer noch relevanten Unterscheidungen, überraschenden und zu Unrecht vernachlässigten Einsichten und Ansichten bietet, die in den zeitgenössischen Diskussionen vielleicht einfach aus Mangel an Vorstellungskraft fehlen. Unsere Kursreihe über Lehren aus der Geschichte der Philosophie soll eine neue Generation von Philosoph:innen mit den Wundern ihrer Vergangenheit bekannt machen.

Philosophieunterricht: Eines der Hauptziele unseres Vereins und seines Portals ist die Unterstützung des Philosophieunterrichts sowohl auf Sekundar- als auch auf Universitätsebene in der Schweiz. Zu diesem Zweck wollen wir Unterrichtsmaterialien aller Art zur Verfügung stellen und Interessierten einen Überblick über das Geschehen im Philosophieunterricht in der Schweiz im Allgemeinen geben.


Offene Wissenschaft

Unsere Forschung zu Open Science konzentriert sich hauptsächlich auf unsere Zeitschrift Dialectica, auf das, was wir gelernt haben, als wir sie «flippten» (indem wir sie in den Open Access Formaten «Diamond» oder «Platinum» zugänglich machten) und auf die Entwicklung weiterer Ressourcen, um das wissenschaftliche Publizieren, die Evaluation und den Diskurs in der Philosophie demokratischer und offener zu gestalten. Unser «Open-Access-Toolkit» zielt darauf ab, sowohl eine Dokumentation darüber zu erstellen, wie man eine Philosophiezeitschrift umdreht (welche Optionen hat man, welche Entscheidungen hat man getroffen, warum hat man diese und nicht andere Entscheidungen getroffen?), als auch eine Einführung in die riesige und sich ständig erweiternde Open-Access-Landschaft.

Für die Dialectica-Bibliothek werden wir das Wissen und die Erfahrung, die wir bei der Umstellung von Dialectica gewonnen haben, nutzen, um den Publikationsprozess sowohl für klassische Forschungsmonographien als auch für thematische Sammelbände zu verbessern. Die Dialectica-Bibliothek wird den Publikationsprozess von Monographien und Sammelbänden radikaler verändern als den von Artikeln und bessere Ergebnisse in kürzerer Zeit, zu einem Bruchteil der Kosten und mit mehr Kontrolle und Unterstützung für die Autoren liefern.

Das «md workflow package» ist eine Zusammenstellung der technischen Werkzeuge und Korrekturen, die wir entwickelt haben, um den gesamten Produktionsprozess einer wissenschaftlichen Zeitschrift – von einem angenommenen Manuskript bis zu einem wunderschön gesetzten und professionell gestalteten Endprodukt in pdf, html und xml – ausschließlich auf Open Source Software zu stützen, die von jedem kostenlos genutzt, weiterentwickelt und angepasst werden kann. Wir glauben, dass wir durch die Vereinfachung und Kosteneffizienz des Lektorats ein zentrales Hindernis auf dem Weg zu einer Open-Access-Zukunft für alle wissenschaftlichen Publikationen beseitigen werden.

Wir haben auch ein «Open Manual of Style» erstellt, das die Anweisungen von Dialectica für Autoren in Bezug auf Stil und Typografie enthält. Wir bemühen uns, die Freiheit der Autor:innen mit dem Wunsch nach typografischer Einheitlichkeit in Einklang zu bringen, und hoffen, dass dieses Dokument für andere geisteswissenschaftliche Zeitschriften hilfreich sein wird.

Das Dialectica-Bibliografie-Projekt untersucht, wie bibliografische Informationen – eine zentrale Quelle für die Forschung in der Philosophie – am besten gemeinsam genutzt, kollektiv verbessert, effizient verwendet und mühelos kommuniziert werden können, aufbauend auf der vollständig indizierten bestehenden Bibliografie mit ca. 190.000 Einträgen, die wir für die Referenzen der Artikel in Dialectica verwenden.

Das «Fishpond-Projekt» erforscht neue und innovative Wege der offenen Begutachtung in der Philosophie, sowohl für akademische Zeitschriften als auch für Forschungsergebnisse, die nicht die Schwelle für einen vollständigen Artikel erreichen, wie z.B. Studierendenarbeiten, Lehrmaterial, Rezensionen, Buchnotizen und Besprechungen sowie andere, noch nicht benannte «Nuggets» wissenschaftlicher Ergebnisse. Die Beta-Version, die wir für den Begutachtungsprozess von Dialectica testen, ändert die Perspektive der Begutachtung: Anstatt uns auf die kritische, d. h. negative Bewertung der von uns abgelehnten Artikel zu konzentrieren, suchen wir aktiv nach den guten Artikeln im Teich und versuchen, ihre Veröffentlichung gegenüber den anderen Mitgliedern des Redaktionsausschusses zu rechtfertigen.

Das Projekt «Werkbank», das von swissuniversities für die Jahre 2022 und 2023 grosszügig finanziert wird, verknüpft diese verschiedenen Fäden zu einem akademischen Portal, das für die philosophische Arbeit genutzt werden kann: Lesen und Kommentieren von Büchern und Artikeln, Skizzieren eigener Ideen, Formulieren, Zirkulieren, Diskutieren von Entwürfen, Vergleichen von Positionen, Herstellen von Bezügen und Evaluieren der Arbeit von anderen.


Die Philosophie braucht die Talente aller

Unter den Wissenschaften zeichnet sich die Philosophie dadurch aus, dass sowohl ihre Werkzeuge als auch ihre Methoden jedem zur Verfügung stehen und bereits im täglichen Gebrauch sind. Wir denken, dass die Philosophie von Natur aus «offen» ist, weil viele der zentralen Fragen der Philosophie – zum Beispiel die Fragen nach der Zeit, dem Tod, dem Leben und dem Sinn – Fragen sind, die für das menschliche Leben zentral sind. Philosophie ist einfach das systematische Nachdenken über Fragen, die sich uns von Kindheit an stellen. Deshalb glauben wir, dass die Philosophie dadurch bereichert wird, dass sie ein breiteres Spektrum an Erfahrungen reflektiert und vielfältigere Denkmuster, Vorstellungen und Ideen in die Probleme einbringt, die in der langen Geschichte der westlichen Philosophie unlösbar geblieben sind. Um diesen potenziellen Fortschritt zu nutzen, sollten wir das Netz erweitern.

Unser Projekt «Philosophie und Literatur» zielt darauf ab, diese beiden entfremdeten Geschwister wieder zusammenzubringen, ihr Potenzial für eine fruchtbare Interaktion zu erkunden und zu versuchen, die Frage zu beantworten, ob, und wenn ja, wie und in welchem Ausmaß, Philosophie und Literatur als zwei verschiedene Wege zu denselben Zielen betrachtet werden können.

Die Philosophie mit Kindern (und für, von, über, im Hinblick auf Kinder) spielt in letzter Zeit eine immer wichtigere Rolle im philosophischen Leben der Schweiz, vor allem durch eine Reihe von sehr erfolgreichen Veranstaltungen. Wir arbeiten an einem «Wimmelbuch», das philosophische Begriffe in Bilder «übersetzen» soll.

«Fluchtgeschichten» ist ein Projekt, das sich explizit mit dem kulturellen Potential einer durch und durch nicht repräsentierten Personengruppe auseinandersetzt: Flüchtlinge, deren Asylanträge abgelehnt wurden und die oft jahrelang darauf «warten», «nach Hause» (weg) geschickt zu werden.

«Schockierende Nachrichten aus der Welt der Wissenschaft» schließlich ist ein neues Format der Wissenschaftskommunikation, das darauf abzielt, den Mehrwert der Philosophie bei der kritischen Hinterfragung und Kontextualisierung einiger der erstaunlichsten Behauptungen, die im Namen der zeitgenössischen Naturwissenschaft aufgestellt werden, unter Beweis zu stellen.