Stimmen aus dem Studium

Philosophie unterrichten in Zeiten des Smartphones

Bilanz nach einem Semester Lehrdiplom-Studium

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    Wer Philosophie an einem Gymnasium unterrichten will, braucht eine grosse Portion Idealismus und einen gefestigten Glauben an das eigene Fach. So zumindest klingt es aus den Reihen meiner Dozierenden an der pädagogischen Hochschule. Die Schule ganz generell, aber die Philosophie insbesondere, scheint es heutzutage mit schnelllebigen Videos aufnehmen zu müssen, mit jederzeit verfügbaren Ablenkungen, mit einer auf Emojis und englische Ausdrücke verkürzten Sprache. Wer sich, wie ich, darauf vorbereitet, 16 bis 18 Jährigen etwas über die Geschichte und Methoden des Denkens beizubringen, bereite sich am besten auch darauf vor, die Philosophie an sich verteidigen zu müssen.

    Natürlich entschied ich mich nach dem Philosophiestudium für das Lehrdiplom Sek II aus purem Idealismus. Nur einen Teil von dem, was die Philosophie damals für mich bedeutet hat, weitergeben zu können, würde alle Mühe lohnend machen. So zumindest versuchte ich beim Eignungsgespräch an der pädagogischen Hochschule den Prüfer von meiner Tauglichkeit als zukünftige Lehrerin zu überzeugen. Immerhin nickte der Mann und wünschte mir viel Glück. 

    Nach einem holprigen Einstieg in diese Welt voller didaktischer Abkürzungen und Studierenden aus unterschiedlichen Semestern, die alle nebenbei noch arbeiten, studieren oder längst unterrichten, eröffnet sich mir langsam ein Einblick in den Beruf als Lehrperson am Gymnasium. Gewisses ist konkreter, handwerklicher, als mein abstrakt-idealistisches Denken sich ausgemalt hatte. Lernziele werden nach dem SMART-Prinzip formuliert, Aufgaben nach dem LUKAS-Modell konzipiert – Wieder anderes scheint für immer in der Luft zu schweben und kann nur verstanden werden von dem, der selbst schon jahrelang unterrichtet hat. Manch einer hat für sich bereits alle Antworten gefunden und teilt gerne genau mit, wie es ist und wie es sein wird. 

    Schlussendlich stellt sich der Lehrberuf als ein Feld dar, das irgendwo zwischen Praxis und Theorie, zwischen klaren Regeln und Spontaneität, und vor allem auch zwischen dem eigenen Fach und der Lebenswelt der Jugendlichen steht. Wie viele Seiten Platon soll man jungen Menschen zumuten? Wie viele Philosophie-Videos von Youtube, ohne dass sie verlernen, wie man schwierige Texte liest? Inwieweit ist es die Aufgabe der Schule, eine Gegenwelt zu schaffen? Eine Welt ohne Ablenkung, wo in Ruhe gelesen wird, wo genau nachgedacht wird, wo man stundenlang an Judith Butlers Texten knobelt? Inwieweit aber ist die Schule selbst ein Ort der viel beklagten Beschleunigung geworden? Ein Ort ohne viel Zeit und Raum zum Denken und Lesen?

    Die Antworten auf diese Fragen scheinen genau deshalb so schwierig zu sein, weil am Ort “Schule” noch offene gesellschaftliche Themen verhandelt werden. In den Seminarräumen fallen oft Wörter wie “Lebensweltbezug”, man will “sensibel” sein, die Jugendlichen “abholen”, es besser machen als in der eigenen Schulzeit, wo man gequält wurde mit Inhalten, denen man nach rief: “Wofür brauche ich das?!” Sensibel sein heisst heutzutage auch inklusiv sein; sich eine Sprache aneignen, die der Realität gerecht wird, dass unter den heutigen jugendlichen am Gymnasium selbstverständlich non-binäre Menschen sitzen, Menschen mit unterschiedlichen Religionen, sexuellen Orientierungen, soziokultureller Prägung, Autismusspektrumstörungen, psychischen Leiden usw. Es gilt Brücken zu bauen zwischen Platon und dem Jahr 2023 eines digitalisierten und globalisierten Zentraleuropas. Was kann uns das Höhlengleichnis heute noch sagen? Warum lohnt es, sich die Zähne daran auszubeissen? Immer und immer wieder Methoden der Textanalyse und des Argumentierens zu lernen?

    Das Ziel einer jeden Philosophielehrperson, die mit Herzblut und Idealismus ans Werk geht, ist es behaupten zu können, die jungen Menschen werden in ihrem Unterricht gebildet, nicht bloss angehalten, für eine Prüfung zu lernen. Die Jugendlichen sollen lernen, sich zurechtzufinden in der Welt und ihrem eigenen Leben. Diese Aufgabe ist schwierig – soviel habe ich in diesem Semester bereits verstanden – und doch so wichtig. Insbesondere für eine neue Generation, die durch den Klimawandel früh politisiert wurde, und sich längst in sozialen Medien vernetzt, um zwischen Katzenvideos auf kreative Art und Weise die Politik und unsere Gegenwart zu verhandeln. Ich freue mich auf jeden Fall auf diese Herausforderung und diesen Beruf, der bis jetzt viel Arbeit und doch ein grosses Stück Kreativität verspricht.