Das Recht auf Nahrung: Für ein Leben in Würde

Das Recht auf Nahrung ist ein international anerkanntes und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte rechtlich verankertes Menschenrecht.

·

    Der Einsatz der Menschenrechtsorganisationen FIAN International for the Right to Adequate Food (www.fian.org) und von FIAN Schweiz für das Recht auf Nahrung (www.fian-ch.org) gründet in bedrohter und verletzter Menschenwürde und ist auf ein Leben in Würde ausgerichtet. Dies bringen die Visionen der beiden Organisationen zum Ausdruck: «FIAN's vision is a world free from hunger, in which every woman, man and child can fully enjoy their human rights in dignity, particularly the right to adequate food» und «Alle Menschen der Welt – Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche, Erwachsene und Alte, Gesunde und Kranke, Angehörige von Mehrheiten und von Minderheiten – können ein Leben in würdigen Umständen führen. Dies zeigt sich darin, dass niemand an Hunger oder Unterernährung leidet und alle in der Lage sind, sich selbst und ihre Angehörigen angemessen zu ernähren».

    Das Recht auf Nahrung ist ein international anerkanntes und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte rechtlich verankertes Menschenrecht. Menschenrechte gründen in der unveräusserlichen Würde jedes Menschen und sind darauf ausgerichtet, diese Würde bzw. menschenwürdige Lebensumstände zu schützen oder wiederherzustellen. Der massgebliche UN-Ausschuss hat in seinem Rechtskommentar erklärt, «dass das Recht auf angemessene Nahrung unteilbar mit der naturgegebenen Würde der menschlichen Person verbunden und für die Verwirklichung anderer in der internationalen Menschenrechtscharta verankerter Menschenrechte unerlässlich ist» (Allgemeiner Kommentar 12 zum Recht auf Nahrung des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). So zielt auch das Recht auf Nahrung darauf, ein Leben in Würde zu ermöglichen und zu schützen.

    Aus dem Wesen der Menschenrechte ergibt sich der menschenrechtsbasierte Ansatz, der bei der Entwicklung aller Strategien und Massnahmen zur Verwirklichung der Menschenrechte zu beachten ist. Wichtige zugrundeliegende Prinzipien hat die FAO, die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, unter dem Merkwort PANTHER zusammengefasst: Participation / Accountability / Non-Discrimination / Transparency / Human Dignity / Empowerment / Rule of Law. Bezüglich Respektierung der Würde sind, bezogen auf das Recht auf Nahrung, v.a. drei Prinzipien relevant. Participation verlangt, dass alle Beteiligten, vor allem die von Hunger und Mangelernährung am meisten betroffenen Gruppen und Gemeinschaften, in Planung, Umsetzung und Überwachung von Strategien, Politiken und Projekten, die sie betreffen, aktiv und frei mitwirken können. Accountability (Rechenschaft) verlangt nach Beschwerdemechanismen, wenn die Würde der Adressaten ernst genommen werden soll: «If people are to be addressed as dignified human beings, they should have a say on how they are treated. This is why every human rights-based program should have safe and effective recourse mechanisms available to the rights holders themselves. People should have institutionalized remedies available to them that they can call upon if they feel they are not being treated properly» (George Kent, The Human Right to Food and Dignity, 2009). Das Prinzip Human Dignity verlangt, dass alle Beteiligten unabhängig von ihrem Status mit Würde behandelt werden, und dass die Umsetzung des Rechts auf Nahrung auf ein Leben in Würde ausgerichtet ist.

    Dementsprechend versucht der rechtebasierte Ansatz «aus dem Karitativen herauszuführen. Indem es um Rechte geht, wird die unveräusserliche Würde jedes Menschen unterstrichen, unabhängig vom gnädigen Willen des Gebers und der Geberin. Der rechtebasierte Ansatz beruht auf ‚justice, not charity‘. Er aktiviert die Betroffenen und nimmt sie als Subjekte und nicht nur Objekte des Handelns ernst. Rechte bewirken besonders bei Menschen, bei denen die Befreiung aus Armut auch mit Befreiung aus Unterdrückung verbunden ist, eine Identität und Würde stiftende Stärkung» (Christoph Stückelberger, Das Menschenrecht auf Nahrung und Wasser – eine ethische Priorität, 2009).

    Das Recht auf Nahrung ist bei weitem nicht mit der blossen Zufuhr der für das Überleben notwendigen Menge an Kalorien bzw. Kohlehydraten, Proteinen, Vitaminen und Spurenelementen erfüllt. Das würde bedeuten, dass das Welthungerproblem mit der regelmässigen Abgabe von Lebensmittelpaketen auf billige Art «gelöst» werden könnte. Doch mit Nahrungsmittelhilfe buchstäblich abgespiesen zu werden, wäre entwürdigend: Vieh wird gefüttert, aber nicht Menschen. Wer arbeitsfähig ist, will Nahrungsmittel für sich und seine Angehörigen aus eigener Kraft beschaffen, entweder über ein ausreichendes Einkommen oder über eigene nahrungsmittelproduzierende Ressourcen (Land, Wasser, Saatgut u.a.). Bei Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit sollen Sozialleistungen den Erwerb von Nahrungsmitteln ermöglichen. Eigentliche Nahrungsmittelhilfe soll nur in Notfällen (Katastrophen, Kriegen) geleistet werden, und auch dann besteht ein Recht auf kulturell angemessene Nahrung zur Wahrung der Würde: Es würde z.B. im Falle von muslimischen Flüchtlingen dem Recht auf angemessene Nahrung widersprechen, Schweinefleisch abzugeben.

    Dementsprechend betrachtet FIAN vom Standpunkt der Menschenwürde aus Institutionen kritisch, die kostenloses oder vergünstigtes Essen abgeben: Es dürfte für manche bedürftige Person entwürdigend oder stigmatisierend sein, diese Ausgabestellen aufzusuchen. Stattdessen sollte der Staat einerseits mit ausreichender Sozialhilfe dafür sorgen, dass die Betroffenen ihre Lebensmittel selbst einkaufen können, und andrerseits die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so steuern, dass möglichst viele Betroffene wieder zu einem Erwerb kommen. Das Recht auf Nahrung unterstellt den Staat u.a. der Pflicht, dieses Recht gegenüber allen Menschen jederzeit zu gewährleisten. «Gewährleisten» umfasst die Aspekte fördern, ermöglichen (facilitate) und bereitstellen (provide). Aus Gründen der Menschenwürde hat der Staat in erster Linie die Pflicht, den selbständigen Erwerb von Nahrung zu ermöglichen. Lebensmittelverteilung soll dementsprechend nur in Notfällen das Recht auf Nahrung erfüllen.

    Wechseln wir den Blick von der Zielrichtung zur Problemstellung, ist zu konstatieren: Wo «sogar» das Recht auf Nahrung verletzt wird, das eines der grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen schützt, müssen ganz besonders entwürdigende Umstände herrschen. Meist sind dies Armut, Arbeitslosigkeit, fehlender sozialer Schutz, strukturelle Gewalt (z.B. durch ausgeprägte Ungleichheiten in der Verteilung von Reichtum, Ressourcen und Macht), physische Gewalt (z.B. Vertreibungen, Verfolgungen und politische Morde), Rechtlosigkeit und Rechtsverweigerung.

    Aber machen wir uns bloss nichts vor: Auch wir sind an der Verletzung des Rechts auf Nahrung, an der Schaffung und Aufrechterhaltung entwürdigender Lebensumstände im Globalen Süden beteiligt. Anteile unserer Versicherungs- und Pensionskassenbeiträge und allenfalls Geldanlagen über Banken und Fondsgesellschaften fliessen in Anlagen auf Agrarrohstoffe («Nahrungsmittelspekulation»), die zu Anstieg und Volatilität der Grundnahrungsmittelpreise beitragen. Über dieselben Kanäle können unsere Gelder sich an Unternehmen bzw. Projekten beteiligen, die sich grossflächig Land aneignen (landgrabbing). Solche Unternehmungen produzieren oft Agrotreibstoffe statt Nahrungsmittel bzw. landwirtschaftliche Produkte für den Export statt für die lokale Lebensmittelversorgung. Unser Konsumverhalten und unsere enorme Kaufkraft bewegen Futter- und Nahrungsmittel in gewaltigen Mengen vom Süden in den Norden. Die Bevölkerung im Süden leidet dafür unter Vertreibungen, Umweltverschmutzung und insbesondere Verknappung und Verteuerung der Grundnahrungsmittel.

    FIAN Schweiz wirkt mit Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen, zielgruppenorientierten Informationskampagnen und direkten Kontakten mit Behörden und Unternehmen auf das eine grosse Ziel hin: zu verhindern, dass die Schweiz – Staat, Wirtschaft und Gesellschaft – Menschen im Süden in ihren Lebensumständen entwürdigt und darauf hinzuwirken, dass entrechtete Gemeinschaften im Süden wieder ein Leben in Würde erhalten.