Das Rätsel des menschlichen Bewusstseins

Interview mit René Stettler Initiator der Schweizer Biennale zu Wissenschaft, Technik + Ästhetik

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    René Stettler, Sie führen die von Ihnen vor 24 Jahren in Luzern gegründete Schweizer Biennale zu Wissenschaft, Technik und Ästhetik zum 12. Mal durch. Spitzenvertreter der Fachgebiete Neuro- und Kognitionswissenschaften, Philosophie des Geistes, Buddhismus, Physik und der Künstliche Intelligenz-Forschung sowie dem Forschungsgebiet, das sich mit der Wirkung bewusstseinserweiternder Substanzen beschäftigt, nehmen daran teil. Sie kommen aus den USA, Brasilien, Chile, England, Italien, den Niederlanden und der Schweiz. Worum geht es an der interdisziplinär ausgerichteten 12. Biennale?

    RS: Es geht um Fragen wie: Was ist das menschliche Bewusstsein? Wie funktioniert es? Gibt es eine naturwissenschaftliche Erklärung für sein Entstehen? Was ist primär: Das Gehirn oder der Geist?

    Was ist der Beitrag der Neurowissenschaft zur Beantwortung dieser Fragen?

    RS: Der Einfluss Neurowissenschaft auf unser Verständnis des Gehirns ist enorm. Ihr Wissen gibt uns heute einen tiefen Einblick in die neurobiologischen Funktionen menschlicher Gehirne. Gleichzeitig hat die Neurowissenschaft aber auch auf unsere Sichtweisen in der modernen Psychologie und das Verständnis unseres Menschseins Einfluss gewonnen. Aus einem grösseren Blickwinkel betrachtet sind es heute die Dogmen eines die Gesellschaft in allen Bereichen durchdringenden wissenschaftlichen Materialismus, an dem wir uns vorzugsweise orientieren. Z.B. bedeutet für viele Sterben heute nichts weiter als das Ende der Gehirnfunktionen.

    Was sagt der Buddhismus über die Natur des Bewusstseins?

    RS: Der langjährige englische Übersetzer des Dalai Lama, Thupten Jinpa, sprach an der Biennale 2016. Er verwies darauf, dass die meisten Wissenschaftler, egal was sie für eine metaphysische Position haben, davon ausgehen, dass sich alle Aspekte des Bewusstseins letztlich mit der Funktionsweise des Gehirns erklären lassen. Einige betreiben diesen Reduktionismus so stark, so Jinpa, dass sie Geist und Bewusstsein mit dem Hirn gleichsetzen. Der Buddhismus hat nichts gegen den Reduktionismus als Methode, aber er verwirft diesen metaphysischen Reduktionismus. Gerade weil die Wissenschaft alles auf das messbar Materielle reduziert, in diesem Falle auf das Gehirn, wird das Bewusstsein zu einem Rätsel.

    Stossen unsere Bemühungen das Gehirn zu verstehen also an Grenzen?

    RS: Wie Martin Rees sagt, stellen gewisse Aspekte der Biologie und die Natur des Gehirns Herausforderungen dar, die noch nicht einmal richtig formuliert werden können. Einige Zweige der Wissenschaft, so Rees, könnten eines Tages zum Stillstand kommen. Aber nicht, weil der Gegenstand erschöpft wäre, sondern wir an die Grenze dessen gestossen sind, was unser Gehirn begreifen kann.

    Helfen Computer diese Grenze zu erweitern?

    RS: Gemäss Martin Rees helfen Simulationen mit immer leistungsstärkeren Computern, Prozesse zu verstehen, die wir weder in unseren Laboratorien untersuchen, noch direkt zu beobachten vermögen. Es könnte sein, so Rees, dass komplexe Aggregate von Atomen, seien es Gehirne oder kognitive Maschinen, sich aber selbst nicht zu verstehen vermögen.

    Was ist der Beitrag von Frauen an dieser Biennale?

    RS: Zwei wichtige Beiträge. Susana Bustos forscht im Bereich der entheogenen schamanischen Traditionen Amerikas. Sie hat die Rolle der Gesänge bei Heilungszeremonien mit der psychedelisch wirkenden Substanz Ayahuasca untersucht sowie die Integration von Erfahrungen mit erweiterten Bewusstseinszuständen ins tägliche Leben. Joanna Cook hat über die neuen Bestrebungen in der öffentlichen Politik Englands geforscht, die seit ein paar Jahren Achtsamkeitspraktiken und Meditation, die das individuelle und gesellschaftliche Wohlergehen verbessern könnten, als politisches Anliegen begreift.

    Was will die Biennale?

    RS: Die Biennale ist eine diskursive Plattform, die sich über viele Jahre bewährt hat und erfolgreich die Offenheit der Geisteswissenschaften und die Vermittlung des Wissens der Naturwissenschaften zu einem breiten bildungsorientierten Publikum pflegt. Das Renommee dieser Schweizer Wissenschaftsplattform reicht heute weit in die angelsächsischen Länder hinein.

    Was darf man in Luzern am 20. Januar 2018 erwarten?

    RS: Sagen wir es so: Die Besucher erwartet ein geistig und intellektuell erlebnisreicher Tag sowie viele anregende Vorträge und Podiumsdiskussionen für die der interdisziplinäre Dialog die Basis ist. Das Publikum erhält von international renommierten Top-Referenten und -referentinnen aktuelles Wissen aus erster Hand.

    Dr. phil. René Stettler, 62, Kulturwissenschaftler, Autor und Moderator, Gründer der Schweizer Biennale zu Wissenschaft, Technik + Ästhetik www.rene-stettler.ch. Er lebt auf der Rigi. Informationen und Kartenverkauf für die Biennale 2018 über www.neugalu.ch