Kralle, die philosophische Katze,

fragt sich heute

Gibt es Gott?

Oder woher könnte ich wissen, dass es Gott gibt?

Kralle findet es nicht sonderlich plausibel, dass es Gott gibt. Bisher hat Kralle ihn oder sie nämlich nicht gesehen oder angetroffen. Wo versteckt sich Gott bloss?

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    Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zuerst die Begriffe, d. h. die Bedeutung der Ausdrücke, «Existenz» und «Gott», klären. Erst nach dieser Klärung wissen wir, wonach wir fragen. Beide Ausdrücke sind nämlich mehrdeutig. Hinsichtlich der Bedeutung des Ausdrucks «Existenz» können wir zwischen realer und semantischer Existenz unterscheiden.

    Reale Existenz ist eine durch Sinneserfahrung belegbare Existenz, die auch kausal wirksam ist. So ist etwa das Morgenrot sichtbar und wirkt auf unsere Augen. Allerdings würden die meisten unter uns im Morgenrot, griechisch Eos, heute nicht mehr wie Homer eine Göttin, nämlich die Göttin mit dem Namen Eos, sehen. In der semantischen Existenz dagegen wird die Bedeutung von Wörtern selber zum Gegenstand, worüber wir sprechen. So haben für die meisten von uns die Götter der griechischen Mythologie wie etwa die Göttin Eos keine reale, sondern nur eine semantische Existenz. Eos ist für uns aber nicht mehr eine reale Göttin. Ebenso wie der Ausdruck «Existenz» ist auch der Ausdruck «Gott» mehrdeutig. Wir können darunter eine Person oder ein letztes Prinzip oder aber beides, d. h. sowohl eine Person als auch ein Prinzip, verstehen. Für die sogenannten abrahamitischen Weltreligionen – d. h. Judentum, Christentum und Islam – ist Gott eine Person, die sich in einer Schrift, dem sogenannten Alten Testament, der Bibel und dem Koran, offenbart hat. Für die Philosophie dagegen ist Gott ein Prinzip oder ein Grund, auf den die menschliche Vernunft, d. h. die menschliche Fähigkeit zur Begründung, als letzten Grund oder letztes Prinzip stösst.

     

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    (Text von Prof. Rafael Ferber)