Essay zum Thema Selbstmord

Eine Einsendung im Rahmen des Essaywettbewerbs zum Thema "Selbstmord"

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    Selbstmord, Freitod, Suizid, Selbsttötung. Alles Begriffe für die dieselbe Idee, mit welcher wir ein gezieltes Tabuthema ansprechen.

    Obwohl es unendlich viele Motive für diese Absicht gibt, deuten wir meist eine bestimmte Art dieser so schwer nachvollziehbaren Tat an. Nämlich die Art der Selbsttötung, unter der ein Mensch frei entschliesst, nicht mehr existieren zu wollen, ohne dabei einem äusseren Zwang zu unterliegen. Nun sollte klar sein, dass hier nicht die Art gemeint ist, die Seneca wählte, als er sich die Pulsadern öffnete und das kleinere Übel einem weitaus grösseren Übel vorzog; und doch ist die erstgenannte Definition in sich widersinnig, weil ich wage folgendes zu behaupten:

    «Keine Form von Selbstmord geht auf einen freien Willen zurück und jede Form von Selbstmord wird durch einen äusseren Zwang verübt»

    Um meine Behauptung stützen zu können, ist es sinnvoll, zuerst ein, dieser Behauptung entgegengesetztes philosophisches Gedankengut näher anzuschauen und hier eignet sich die abendländische Philosophie. Sie schliesst durch die menschliche Moral direkt auf Gott, auf einen transzendenten Gott, der ausgerüstet mit einem Verständnis von Recht und Unrecht die Tugendhaften zu belohnen weiss, jedoch nicht im hier und jetzt, sondern in einem Leben danach.

    Von dieser Denkweise ausgehend meint man sofort den Freitod als das Schlimmste überhaupt ansehen zu müssen. Als das Einzige, was ein Mensch sicherlich nicht tun darf; als die Sünde schlechthin, weil das Leben aus dieser Sicht ein Geschenk ist und Geschenke weisst man nicht zurück!

    Das lässt mich gleich zu meiner zweiten Behauptung kommen:

    «Ob nun Platon, Hegel, Kant, Seneca, Epikur oder Hume, sie alle haben die Moral nicht in natürlicher Weise betrachtet und daher auch den Freitod nicht als etwas natürliches verstanden»

    Der Rationalismus, der es mit der Wahrheit aufnimmt und nicht mit dem Vorstellungsvermögen des Menschen, sagt uns, dass es falsch ist, den Ausgangspunkt im inneren des Menschen zu nehmen, genauso wie wir eine Treppe nicht von Unten oder der Mitte her zu reinigen beginnen, sondern stets von oben. So sollten wir die Moral nicht als etwas Göttliches, sondern als etwas Menschliches und somit Natürliches betrachten. Ich sage nicht, dass Gott nicht die Ursache aller Natur ist, verneine aber, dass die menschliche innere Anlage auf einen göttlichen Verstand und dessen Absicht zurück geht. Anstatt von der Moral direkt auf ein Jenseits zu schliessen, gäbe es noch den Weg, die Moral als etwas zu verstehen, dass auf Notwendigkeit zurück geht. Eine Notwendigkeit die sich daraus ergibt, dass der Mensch, anders als das Tier, der Natur auch entgegengesetzt handeln kann.

    Wir werden geboren, wir leben und wir sterben. Das ist der Lauf der Zeit. Aus menschlicher Sicht haben wir keinen Einfluss darauf, von wem wir abstammen oder wo wir zur Welt kommen; nicht, ob wir gesund zur Welt kommen; nicht, ob wir eine behütete Kindheit erleben. Wir haben keinen Einfluss darauf, welche Ideologien uns vermittelt werden oder ob uns überhaupt irgendetwas vermittelt wird. Es ist leider nicht so, dass das fremdbestimmt Sein im Erwachsenenalter abnimmt oder gar aufhört. Das Gegenteil ist der Fall. Die Fremdbestimmung wird grösser und weitet sich aus oder wollen wir uns einreden, dass die Werbung hauptsächlich für Kinder und Heranwachsende gedacht ist? Sogar die Heilige Schrift, sofern man sie nur wortgemäss auslegt, hat die Form eines Gebotes und ist dadurch eine Fremdbestimmung. Wir wähnen uns in Freiheit, weil wir uns unserer Taten, Gefühle, Ängste und Sorgen bewusst sind, aber die Ursache nicht kennen, von denen sie bestimmt sind. So glauben der Faselhans, das Grossmaul und der Kindskopf aus freier Entscheidung des Geistes zu reden, während sie doch bloss ihrem Rededrang, den sie nun einmal haben, nicht widerstehen können.

    Sodann müssen wir nach unzähligen Aufzählungen eingestehen, dass dies nicht mehr viel mit der Idee eines freien Willens zu tun. Wie ein vom Wind gepeitschtes Blatt, sind wir mehr vom Schicksal, als dann von einem freien Willen abhängig.

    Von dieser Denkweise ausgehend meint man nicht mehr das vermeintliche Recht zu besitzen, über Suizid urteilen zu können. Wir sehen, dass kein Mensch aus der Notwendigkeit seiner eigenen Natur danach strebt, nicht zu existieren.  Es passiert erst dann, wenn ein Mensch durch Äusseres so umdisponiert wird, dass seine Natur eine entgegengesetzte Form annimmt, sodann kann es von dieser Form keine existierende Idee geben und die logische Folge ist dann Inexistenz.

    Im Zuge mit Selbstmord wird auch immer gerne der «Teufel» bzw. die «Hölle» thematisiert.

    Ist der Teufel eine Vorstellung, die der Idee von Gott absolut entgegengesetzt ist, d.h. der Vollkommenheit entgegengesetzt ist, was Unvollkommenheit zum Resultat hat. Unvollkommenheit ist nur ein anderes Wort für nichts und da nichts auch keine Existenz beinhalten kann, hat dies Inexistenz zur Folge. Mehr muss dazu nicht gesagt werden. Sodann bleibt noch zu klären, ob wenn der Teufel durch Inexistenz mit Abwesenheit glänzt, nicht Gott den Akt der Selbsttötung bestrafen wird.

    Hier sollten wir uns klar sein, dass sobald wir Gott ein Verständnis von Gut und Böse, richtig oder falsch, schön oder hässlich unterstellen, wir ihm auch Unvollkommenheit unterstellen. Frei und Vollkommen ist etwas nämlich dann, wenn es von nichts anderem gezwungen oder genötigt wird und allein durch ihre Vollkommenheit Ursache aller Vollkommenheit ist. Ein Gott, der sich um die Taten der Menschen kümmert und diese Taten, und sei es auch nur der Selbstmord allein, bestraft, impliziert auch einen Gott, der von den Taten der Menschen abhängig ist und das ist mit Vollkommenheit, d.h. Gott unverträglich. Man kann Gott auch keine Unvollkommenheit unterstellen, weil einzelne Menschen, d.h. einzelne Teile der Natur sich der Natur entgegensetzen. Im Gegenteil, Gottes Natur und Vollkommenheit ist so umfassend, dass sie ausreicht, alles hervorzubringen und geschehen zu lassen, was auch geschehen kann.

    Der Akt der Selbsttötung ist also darauf zurück zu führen, dass ein Mensch sich maximal von seiner Natur entfernt hat, dabei kann er sich ihr auch nähern. Da Gott nämlich die innewohnende, nicht übergehende Ursache aller Dinge ist, können wir Gott erkennen, nicht insofern wir ihn bloss vorstellen, sondern insofern wir ihn einsehen. Je mehr die Idee von Gott in einem Menschen aufgedeckt wird, desto mehr Realität erhält dieser Mensch und je mehr stimmt er mit seiner Natur, d.h. seiner Essenz überein. Unsere grösste Vollkommenheit besteht nämlich darin, notwendigerweise von Gott abzuhängen und der wahre Gottesdienst leisten wir, wenn wir unser Heil und unsere Glückseligkeit finden. Aber solange der Mensch ein Teil der Natur ist, solange muss er den Gesetzen der Natur folgen und deshalb finden wir dauerhaftes Glück nicht in Reichtum, Ruhm und Vergnügen, sondern nur in der Nächstenliebe zu anderen Menschen und der intellektuellen Liebe zu Gott.