Peppa Wutz & das ontologische Argument

Es gibt viele Dinge, die man von Peppa Wutz behaupten könnte, aber hier ist eine Sache, die Du vielleicht noch nicht weisst: Peppa Wutz stellt faszinierende philosophische Thesen auf.

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    Es gibt viele Dinge, die man von Peppa Wutz behaupten könnte, aber hier ist eine Sache, die Du vielleicht noch nicht weisst: Peppa Wutz stellt faszinierende philosophische Thesen auf. Ich bin lediglich ein Tourist in Peppa Wutz’ Welt. Ich habe mit einer jungen Enthusiastin einige wenige Folgen geschaut, willst Du aber Deine eigene zum Nachdenken anregende Lieblingsfolge finden, kannst Du das hier tun (auf Twitter, Facebook oder über die Kommentare weiter unten).

    Eine Folge, die mich viele Jahre begleitet hat, ist Folge 16 der 4. Staffel mit dem Namen «Opi Mümmels Saurierpark» (die auf IMDB eine enttäuschend niedrige Bewertung von 5.4/10 verzeichnet). Die Zusammenfassung lautet:

    «Die Kinder machen einen Ausflug in einen Dinosaurierpark, um Freddy Fuchs’ Geburtstag zu feiern. Dort folgen sie den Fußspuren der Dinos, um Freddys Geburtstagsgeschenk zu finden.» (Text: Super RTL).

    Diese wird ihr nicht gerecht.

    Zu Beginn der Episode kommen die Charaktere in Opi Mümmels Dinosaurier-Safari-Park an und Peppa stellt eine Frage, die im Laufe der Episode immer wieder gestellt wird:

    Peppa Wutz: Gibt es hier wirklich Dinosaurier?1

    Opi Mümmel: Nein, es sind nur imaginierte.

    Peppa Wutz: Puuh.

    Daraufhin meldet sich ein kleiner Elefant zu Wort, der vom Aussterben der Dinosaurier vor Millionen von Jahren erzählt, und der Erzähler tut ihn als «Schlauberger» ab. Keine Angst, liebe Leserin, lieber Leser - wir lassen uns von diesem unverhohlenen Anti-Intellektualismus nicht so leicht abschrecken.

     

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    Als die Kinder und Eltern sich durch den Dinosaurierpark bewegen, bemerkt Papa Wutz, dass die Dinosaurier-Fußspuren, denen sie folgen, sehr echt aussehen, und fragt nach, ob es wirklich keine lebenden Dinosaurier im Park gibt. Opi Mümmel versichert ihm, dass es keine gibt, und bald stellt sich heraus, dass die Fußabdrücke zu einer gigantischen Dinosaurier-Rutsche führen. Alle freuen sich.

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    Schließlich verkündet Opa Hase, dass sie ein Dinosaurier-Ei finden sollen und dank Freddy Fuchs’ scharfem Geruchssinn ist die Aufgabe schnell erledigt. An diesem Punkt wird die faszinierendste Behauptung der Episode aufgestellt.

    Aber um nicht vorzugreifen, müssen einige Grundlagen geklärt werden. Während sich Peppa Wutz und ihre Freunde mit der Frage nach der Existenz der Dinosaurier beschäftigen - zumindest derer in Opi Mümmels Park - lässt sich ihre Diskussion ohne weiteres auf deutlich dornigere philosophische Debatten übertragen.

    Ist es echt?

    Im 11. Jahrhundert beschäftigte sich Anselm von Canterbury ebenfalls mit Fragen der Existenz, wenn auch eher von Gott als von Dinosauriern. Anselm formulierte, was als das erste einer Reihe von Argumenten gilt, die als ‘ontologische’ Argumente für die Existenz Gottes bekannt sind.[2] Es kann in Kapitel 2 seines Proslogions gefunden werden[3] und funktioniert ungefähr[4] wie folgt:

    Gott ist das, über dem nichts Größeres gedacht werden kann.

    "Gedacht" bedeutet in philosophischen Kreisen nicht ganz dasselbe wie "imaginiert" - es gibt eine Debatte darüber, wie genau man sich "denken" denken soll - aber wir können sie für unsere Zwecke als ungefähr austauschbar behandeln. Das Größte, was man sich vorstellen kann, ist also Gott. Wenn man sich etwas Größeres als Gott vorstellen kann, hat man sich Gott nicht richtig vorgestellt.

    Dinge können sowohl nur im Verstand als auch in der Realität existieren.

    Anselm verwendet das Beispiel eines Malers, der plant, was er malen wird. Das Bild existiert im Verstand des Malers; sobald es gemalt ist, existiert es auch in der Wirklichkeit.

    Das, über dem nichts Größeres gedacht werden kann, muss in der Wirklichkeit existieren, nicht nur im Verstand.

    Anselm behauptet, dass, wenn Gott nur imaginiert wäre - d.h. nur in unserem Verstand existierte – Gott nicht das Größte wäre, was wir uns vorstellen können. Etwas, das wir uns als in der Wirklichkeit existierend vorstellen - d. h. etwas, das wir uns als real vorstellen - ist größer als etwas, das wir uns als bloß imaginär vorstellen.

    Um dies ein wenig zu verdeutlichen: Nehmen Sie Wonder Woman als Beispiel. Was wäre besser, größer, großartiger: eine Wonder Woman, die nur in Comics existiert, oder eine Wonder Woman, die so existiert, wie wir es tun?

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    Für Anselm ist die Antwort offensichtlich: Die reale Wonder Woman ist der fiktiven überlegen. Wenn Gott in der Vorstellung nicht nur gross ist, sondern das Größte, was wir uns vorstellen können, und wenn er in der Realität existiert, ist er größer als in unserer Vorstellung, dann muss Gott - also das Größte, was wir uns vorstellen können - existieren, sonst wäre er nicht das Größte, was wir uns vorstellen können.

    Ergo: Gott muss existieren.

    Mit Anselms Worten:

    «Wenn also das, über dem Grösseres nicht gedacht werden kann, im Verstande allein ist, so ist eben das, über dem Grösseres nicht gedacht werden kann, das, über dem Grösseres gedacht werden kann. Das kann aber gewiss nicht sein. Es existiert also ohne Zweifel etwas, über dem nichts Grösseres gedacht werden kann, sowohl im Verstande als auch in der Wirklichkeit.»

    Anselm, Proslogion

     

    Im 11. Jahrhundert beschäftigte sich Anselm von Canterbury ebenfalls mit Fragen der Existenz, wenn auch mit der Existenz von Gott statt von Dinosauriern.

     

    Nach Anselm formulierten große Namen der Philosophie ihre eigenen ontologischen Argumente. Unter anderem Descartes, Leibniz, Gödel und Plantinga. Diese Argumente wurden vielfach widerlegt; heutzutage gelten ontologische Argumente im Allgemeinen nicht als besonders überzeugend. Allerdings, wie Bertrand Russell anmerkt:

    «Der Beweis scheint für moderne Begriffe nicht sehr überzeugend, nur kommt man leichter zu dem Gefühl, er müsse fehlerhaft sein, als zu der Entdeckung des Fehlers selbst.»[5]

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    Aber wäre ein Gott, der einen Fehler im ontologischen Argument finden würde, nicht noch grösser?

    Genau hier offenbart Peppa Wutz ihre philosophische Einsicht. Anselms ontologisches Argument beruht auf der Idee, dass etwas, das in der Realität existiert, größer ist als das, was nur in unseren Köpfen existiert. Mit anderen Worten, dass etwas Reales besser oder größer ist als etwas nicht Reales oder Imaginäres. Viele frühere Kritiker haben argumentiert, dass die Existenz nicht die Art von Sache ist, die mit Größe zu tun hat: Stärke oder Güte vielleicht, aber die Existenz ist eine andere Art von Sache als diese beiden. Peppa Wutz hingegen trifft direkter.

    Als wir sie zuletzt gesehen haben, sind unsere Charaktere auf das gesuchte Dinosaurier-Ei gestossen. Peppa fragt:

    Peppa Wutz: «Ist es echt?»

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    Opi Mümmel: «Nein, es ist besser als echt. Es ist imaginiert.

     

     


    [1] Du findest die Episode hier: https://www.toggolino.de/videos/peppa-pig/opi-muemmels-saurierpark

    [2] Ontologie ist ein Teilbereich der Metaphysik, der sich mit der Natur des Seins beschäftigt. Ontologische Argumente der oben genannten Art geben vor, die Existenz Gottes allein aus der Vernunft und Logik und nicht aus der Erfahrung abzuleiten (d. h. aus Prämissen, die a priori, notwendig und analytisch sind).

    [3] Anselm von Canterbury (1962): Proslogion: Untersuchungen, lateinisch-deutsche Ausgabe von Franciscus Salesius Schmitt. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann, S. 85-87.

    [4] Ich sage grob aus zwei Gründen - erstens, weil dies eine eher flüchtige Rekonstruktion meinerseits ist, und zweitens, weil eine stärker formale Rekonstruktion von Anselms Argument nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Siehe Eder, G. & Ramharter, E. Formal reconstructions of St. Anselm’s Ontological Argument”, Synthese (2015) 192: 2795. https://doi.org/10.1007/s11229-015-0682-8

    [5] Russell, B (1975): Philosophie des Abendlandes: ihr Zusammenhang mit der politischen und sozialen Entwicklung. übertr. aus dem Engl. v. Elisabeth Fischer-Wernecke und Ruth Gillischewski. Wien: Europa-Verlag, S. 596. Wenn Du an weiteren Einwänden gegen das ontologische Argument interessiert bist, findest Du weiter unten Literatur dazu.

    Referenzen

    • Anselm von Canterbury (1962): Proslogion: Untersuchungen, lateinisch-deutsche Ausgabe von Franciscus Salesius Schmitt. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann.
    • Russell, Bertrand (1975): Philosophie des Abendlandes: ihr Zusammenhang mit der politischen und sozialen Entwicklung. übertr. aus dem Engl. v. Elisabeth Fischer-Wernecke und Ruth Gillischewski. Wien: Europa-Verlag.

     

    Für weitere Informationen zum ontologischen Argument, sind diese Quellen ein guter Ausgangspunkt:


    Der Wikipediaeintrag zu Tarzans Schrei beinhaltet mehr Information als man je brauchen würde, um den unverwechselbaren Klang nachzubilden (dem Opi Mümmel bei seinem Abstieg auf der Rutsche Tribut zollt): https://en.m.wikipedia.org/wiki/Tarzan_yell

    Falls Du Deine philosophische Reise mit weiteren Peppa Wutz – Episoden fortsetzen möchtest, empfehle ich Dir, mit Episode 17 der Staffel 3 mit dem Titel «Mr. Kartoffel kommt in die Stadt» zu beginnen – welche Kinder mit folgendem exquisiten (entschuldige das Wortspiel) Austausch mit dem Konzept des Kannibalismus vertraut macht.

    Mr. Kartoffel: «Wir sollten alle Sport treiben und Obst und Gemüse essen»

    Peppa Wutz: «Welche sollen wir denn essen, Mr. Kartoffel?»

    Mr. Kartoffel: « Äpfel, Orangen, Möhren, Tomaten»

    Peppa Wutz: «Auch Kartoffeln?»                  

    Mr. Kartoffel: «Ähm.»