Die Visionen des Transhumanismus rücken mit rasanten Fortschritten in Künstlicher Intelligenz, Gentechnik und Nanotechnologie zunehmend in den Fokus gesellschaftlicher Debatten. Tech-Milliardäre wie Elon Musk investieren in diesem Sinne in das Ziel einer Weiterentwicklung und Optimierung der Menschheit. Gleichzeitig formiert sich Widerstand: Kritiker:innen transhumanistischer Bestrebungen berufen sich dabei häufig auf die Schutzwürdigkeit der menschlichen Natur. Dieser kurze Beitrag widmet sich der Frage, was die menschliche Natur eigentlich schützenswert macht und ob wir ihre Natürlichkeit als einen Wert an sich verstehen sollten, den wir vor einer gezielten technischen Transformation bewahren müssen?
Zur Beantwortung dieser Fragen muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass der Begriff der menschlichen Natur keineswegs eindeutig ist. Intuitiv ließe sich die menschliche Natur als jenes definieren, was der Mensch ohne eigenes Zutun aufweist, etwa alle menschlichen Organe. In diesem Fall könnte die menschliche Natur gleichermaßen als der naturgegebene Körper verstanden werden. Jedoch basiert bereits die biologische Existenz eines:einer Jeden auf der Handlung anderer Menschen – in der Regel dem Sexualverkehr der Eltern. Demnach könnten Menschen selbst als Produkte menschlichen Handelns betrachtet werden. Allerdings hat die Entwicklung des Menschen lediglich ihren Ursprung in der Handlung anderer, verläuft dann aber autonom.1 Neil Roughley schlägt mit seinem Konzept der natalen menschlichen Natur dahingehend vor, all jene Eigenschaften und Dispositionen, die Menschen nach der Geburt aufweisen und die relativ wenig durch die Handlungen anderer beeinflusst wurden, als menschliche Natur zu definieren. Relativ wenig bedeutet dabei, dass keine exakte Trennlinie zwischen natürlich gegebenen und sozial beeinflussten Wesensmerkmalen eines Menschen gezogen werden kann. Von Geburt an unterliegen Menschen Umwelteinflüssen und prägenden Handlungen ihrer Mitmenschen.2
Trotz dieser begrifflichen Unschärfen scheint die menschliche Natur jedoch Teil unserer moralischen Intuition zu sein. Während medizinische Eingriffe wie kleinere und größere Operationen, der Einsatz von Prothesen und Implantaten oder die Nutzung chemischer Substanzen zur Heilung von Krankheiten weitestgehend als Manipulationen der menschlichen Natur akzeptiert werden, empfinden wir oftmals eine diffuse Beunruhigung bei der Vorstellung einer zunehmenden Technisierung unserer menschlichen Natur. Wir scheinen diese intuitiv als schützenswert zu betrachten.
Philosophisch lassen sich dabei zwei Grundtypen von Argumenten zum Schutz der menschlichen Natur unterscheiden. 1) axiologische Natürlichkeitsargumente, die der Natürlichkeit selbst einen eigenständigen Wert zuschreiben und 2) instrumentelle Natürlichkeitsargumente, die zwar den Schutzanspruch des Natürlichen enthalten, dieses aber nicht um seiner selbst willen geschützt werden soll, sondern stellvertretend für andere Werte – wie Autonomie oder Menschenwürde.3
Die erste axiologische Kategorie beinhaltet einerseits Argumente, die lediglich die Erhaltung des Natürlichen als Wert an sich postulieren, indem sie für den Verzicht transhumanistischer Maßnahmen plädieren. Andererseits sind auch Argumente enthalten, welche nicht nur den Schutz des Natürlichen zum Ziel haben, sondern auch die Wiederherstellung beziehungsweise Neuschaffung der Natur, wenn diese durch die Eingriffe verloren gegangen ist.4 Diese letzte Argumentation unterliegt dann dem Einwand des naturalistischen Fehlschlusses5, wonach keine Wert- oder Sollensaussagen aus deskriptiven Gegebenheiten abgeleitet werden können. Allein aus der Tatsache, dass bestimmte Prozesse oder Zustände natürlichen Ursprungs sind, folgt nicht automatisch, dass diese auch genauso sein sollen. Es liegt jedoch grundsätzlich kein naturalistischer Fehlschluss vor, wenn der Natürlichkeit lediglich ein Wert an sich zugeschrieben wird, ohne daraus einen normativen Schluss abzuleiten. Allerdings stellt sich dann die Frage nach den Gründen für diese Wertzuschreibung. Aus der bloßen Existenz bestimmter natürlicher Zustände oder Eigenschaften kann kaum eine Aussage über eigenständige Werte dieser getroffen werden. Um Gültigkeit zu beanspruchen, müssten axiologische Natürlichkeitsargumente dementsprechend begründen können, warum der Natürlichkeit ein Wert an sich zugeschrieben wird – in Gegenpositionen zum Transhumanismus werden solche Begründungen jedoch oftmals außer Acht gelassen.6
Die instrumentelle Argumentationslinie führt hingegen andere Gründe als den eigenständigen Wert der Natur für den Schutz dieser an, welche dann ihrerseits auf Berechtigung überprüft werden können. Die Argumente beziehen sich meist unmittelbar auf bestimmte transhumanistische Ideen. Ein prominentes Beispiel für diese Art der Argumentation bietet Jürgen Habermas im Kontext der Debatte um eine liberale Eugenik. Er befürchtet, genetische Eingriffe zum Zweck der menschlichen Selbstoptimierung könnten eine Selbsttransformation der Gattung Mensch bewirken, indem sich Personen durch die Anwendung von Enhancement-Maßnahmen nicht länger als verantwortliche Autor:innen ihrer eigenen Lebensgeschichte betrachten und sich gleichermaßen als autonom handelnde Personen in moralischen Gemeinschaften anerkennen können.7 Für Habermas sichert die Unverfügbarkeit der menschlichen Natur also eine Bedingung unserer Autonomie: Nur wenn wir uns als naturwüchsig erfahren, können wir uns selbst als der:die alleinige Autor:in des eigenen Lebens und als gleichberechtigte:r Teilnehmer:in der moralischen Gemeinschaften verstehen. Er plädiert dementsprechend für eine Moralisierung der menschlichen Natur, jedoch nicht im Sinne einer fragwürdigen Resakralisierung derselben, sondern hinsichtlich unseres Selbstverständnisses. Habermas hat somit keine gefühlsbasierte Argumentation im Sinn, welche der menschlichen Natur einen intrinsischen Wert zuschreibt – diese hält er sogar für den „Ausdruck eines dumpfen antimodernistischen Widerstandes“8 – vielmehr dient der Schutz der menschlichen Natur der Wahrung unserer persönlichen Autonomie.
Aus dieser kurzen Diskussion lässt sich schließen, dass es sich philosophisch als problematisch erweist, der menschlichen Natur im Kontext transhumanistischer Entwicklungen einen intrinsischen Wert zuzuschreiben. Argumente, die den pauschalen Schutz der menschlichen Natur allein aus Respekt vor dem Natürlich-Sein fordern, sind philosophisch kaum tragfähig. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Schutz der menschlichen Natur dazu dient, fundamentale Werte wie Autonomie oder personale Identität zu bewahren. In diesem Fall lässt sich eine begründete Kritik an transhumanistischen Eingriffen formulieren. Wie eine solche Kritik letztlich zu begründen, auszugestalten und zu überprüfen ist, bleibt jedoch abhängig von den jeweiligen transhumanistischen Visionen und möglichen Auswirkungen.
[1] Vgl. Bayertz 2005: 12-15.
[2] Roughley 2011: 24-26.
[3] Siehe auch Birnbacher 2006: 41.
[4] Birnbacher 2006: 38-40.
[5] George Edward Moore entwickelte das Argument des naturalistischen Fehlschlusses 1903 in seinem Werk Principia Ethica.
[6] Siehe auch Deutscher Ethikrat 2019: 133.
[7] Habermas 2005: 54-55.
[8] Habermas 2005: 48-49.
Referenzen
Bayertz, Kurt (2005). Die menschliche Natur und ihr moralischer Status. In Kurt Bayertz (Hrsg.), Die menschliche Natur. Welchen und wieviel Wert hat sie? (S. 9-31). Paderborn: Mentis-Verlag.
Birnbacher, Dieter (2006). Natürlichkeit. Berlin: Walter de Gruyter.
Deutscher Ethikrat (2019). Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Stellungnahme. Berlin: Deutscher Ethikrat.
Habermas, Jürgen (2005). Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?. Erweiterte Ausgabe. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Roughley, Neil (2011). Human Natures. In Sebastian Schleidgen / Michael Jungert / Robert Bauer / Verena Sandow (Hrsg.), Human Nature and Self Design (S. 11-33). Paderborn: Mentis-Verlag.