Essay-Wettbewerb Weisheit

Wie die Weisheit Zugang zum Menschen findet

Wie findet die Weisheit Zugang zum Menschen und warum wird ein weiser Mensch oft allseits als ein solcher wahrgenommen?

Weisheit ist ein Begriff, welcher zwar in aller Munde ist und dem wir in verschiedenen Kontexten immer wieder begegnen - dennoch ist oft unklar, was genau unter Weisheit zu verstehen ist und wann ein Mensch als weise bezeichnet werden kann.


Obgleich den meisten Menschen deutlich ist, dass Weisheit sich per definitionem durch Erfahrungen auszeichnet, welche zu Schlüssen und Lehren verhelfen, die einen Beitrag zur guten Lebensführung bieten sollten, bleibt die Beantwortung der Fragen nach der Weisheit und nach dem weisen Menschen oft subjektiv. Dieser Umstand scheint sich dadurch auszuzeichnen, dass jeder Mensch ein individuelles Leben führt und dieses oft als vermeintliche Grundlage für die Bewertung von genannten Lehren annimmt, oder aber die gemachten Erfahrungen eines potenziell weisen Menschen mit den eigenen vergleicht, ebenfalls zwecks persönlicher Einschätzung und Bewertung.


Weisheit jedoch ist meiner Auffassung nach weder etwas subjektives noch in dem Sinne persönliches. Vielmehr scheint sie sich dadurch auszuzeichnen, dass der weise Mensch Schlüsse zu ziehen vermag, welche allgemeingültiger Natur sind. Dieses Attribut soll an dieser Stelle nicht bedeuten, dass ein jeder weiser Schluss, eine jede Lehre eines Weisen den Anspruch darauf erheben können sollte, für jeden Menschen in gleicher Art und Weise relevant zu sein. Es soll bedeuten, dass weise Menschen dazu in der Lage sind, Erfahrungen und Beobachtungen des eigenen Lebens so zu reflektieren, dass die daraus gewonnenen Lehren auch über das eigene Leben und die persönliche Ebene hinaus von Belang sind.

Es geht folglich auch um das Vermögen, den Menschen als solchen zu durchdringen, in dem Sinne, als dass der Weise seiner Natur nach durch sein Wirken andere Menschen dazu veranlasst, das eigene Leben und eigene Sichtweisen zu reflektieren und gegebenenfalls zu überdenken. Dies zeigt, dass Weisheit ihre Wirkung nicht über die individualistisch-persönliche, sondern über die menschlich-allgemeine Ebene entfaltet; ansonsten wäre der Weisheit überhaupt keine so bedeutende Rolle zuzuschreiben, wenn sie allein über den individualistisch-persönlichen Weg zugang zum Menschen fände.


Wenn auch, wie eingangs beschrieben, Weisheit nicht selten persönlich bewertet zu werden scheint, zumindest davon ausgegangen wird, dass dies so ginge, ist es doch so, dass gewisse Menschen allgemeinhin als weise bezeichnet werden, andere nicht - unerheblich, ob es sich um lebende Menschen handelt oder um jene, deren Schriften, Schlüsse und Lehren die Menschen noch heute lesen und sie dazu veranlasst, das eigene Leben dahingehend zu reflektieren.

Daraus folgt die Notwendigkeit, als weise Person ein solches Verständnis vom Menschen und der Natur als Ganze zu haben, um die Menschen auf dieser Grundlage erreichen zu können. Der Weise hat durch Erfahrung und Beobachtung tiefgreifend zu verstehen gelernt, wann das Gewissen den Menschen mahnt und wann der Mensch sich dennoch darüber hinwegsetzt und falsch handelt. Darüber hinaus ist er in der Lage dazu, jene Schlüsse als allgemein geltend zu verstehen und kann auf diesem Wege als weise aufgefasst werden.


Vor dem Hintergrund dieser Perspektive bedeuten sowohl das Streben als auch die Liebe zur Weisheit, sich zum einen mit dem menschlichen Sein und Wirken, aber auch mit der ganzen Welt und der Vielzahl von Fragen, die sich auftun, tiefgehend zu beschäftigen, und zwar aus dem Verständnis der Notwendigkeit des Denkens für den Menschen heraus. Dies impliziert letztendlich eine umfassende Bildung und daraus resultierend eine umfassende Kenntnis dieser Themen und es ist keine Frage, dass dieses Wissen den Weisen ausmacht - genauso aber, dass er dazu imstande ist, dieses Wissen anzuwenden, um sich schließlich auch persönlich in der Gegenwart zurechtzufinden. Der Weise erreicht den Menschen auf menschlich-allgemeiner Ebene und sollte den Menschen dazu veranlassen, persönlich nach bestem Menschengewissen zu handeln, um sich selbst als vom Menschsein und der Welt abhängiges Individuum bestmöglich entsprechen zu können.