„Gott, wenn du bist, rette meine Seele,
aus dem Grabe, wenn ich eine habe.“
Arthur Schopenhauer
Dieses Zitat von Arthur Schopenhauer, das daherkommt wie ein Stoßgebet, wirft gleich zwei grundlegende philosophische Fragen auf: Gibt es einen Gott? Und besitzt der Mensch eine unsterbliche Seele? Fragen, die die Menschheit seit Urzeiten umtreiben. Schon in den frühesten Kulturen (sei es bei den Kelten oder Ägyptern) stoßen Archäologen immer wieder auf Grabbeigaben. Den Verstorbenen wurden nützliche Werkzeuge, Alltagsgegenstände, aber auch Waffen und wertvolle Schätze mit ins Grab gegeben. Welchen Sinn würden diese Beigaben ergeben, wenn die Menschen nicht an eine – wie auch immer geartete – Weiterexistenz in einem Jenseits glaubten? Der Mensch besitzt eine Seele und der Tod ist nur eine Passage, der Übergang in eine andere Welt. Eine Hoffnung, die sich bis heute in vielen Kulturen und Religionen erhalten hat. Doch seit der Antike gibt es auch immer wieder Zweifler. Schopenhauer bleibt in diesen Fragen ebenso skeptisch wie Jahrtausende vor ihm bereits Sokrates. Die Frage, ob die menschliche Seele auf immer zerstäubt oder doch ewig existiert, lässt Sokrates letztlich offen.
Wenn es ein Jenseits gibt, wie ist dieses beschaffen? Die Unterwelt der alten Griechen wird in vielen Mythen beschrieben. Einem Brauch zufolge wird den Toten vor der Erd- oder Feuerbestattung eine Münze in den Mund gelegt. Die toten Seelen bezahlen damit den Fährmann Charon, der sie über den Fluss Lethe, den Strom des Vergessens, ins Schattenreich bringt. Hier im Hades fristen sie ein freudloses Dasein, allerdings auch frei von Not oder Pein. Nur große Helden wie Achill werden divinisiert und gelangen ins Elysion, auf eine Insel der Glückseligen, die am Rande dieser Welt lokalisiert wird. Eine ganz ähnliche Topographie des Jenseits findet sich in der ältesten der drei monotheistischen Religionen, dem Judentum. Im Zentrum des jüdischen Glaubens steht der Bund Jahwes mit dem Stamm Israels. Diese Abstammungs- und Boden-Religion ist vor allem auf das Diesseits fokussiert. Das Totenreich spielt eine untergeordnete Rolle und wird nur vage angedeutet. Die Toten weilen mit ihren verstorbenen Verwandten im Scheol, der Unterwelt; dem Land des Staubes, der Finsternis und des Vergessens. Hier führen sie ein Schattendasein bis zur Wiederkunft des Erlösers. Mit der Ankunft des Messias und dem Anbruch des göttlichen Zeitalters werden die Toten auferweckt. Im Zentrum des jüdischen Glaubens steht nicht die Erlösung des einzelnen Individuums, sondern die Erlösung des ganzen Volkes Israel. Vor allem die messianische Ausrichtung, die Erwartung einer Endzeit, fehlt in antiken Vorstellungen.
Die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele wird von Sokrates (469 – 399 v.u.Z.) immer wieder thematisiert und zum Teil widersprüchlich beantwortet. „Der Tod ist, wie mich dünkt, nichts anderes als zweier Dinge Trennung voneinander, der Seele und des Leibes“, legt Platon im Georgias Dialog Sokrates in den Mund. In seinem eigenen philosophischen System vertritt Platon einen strikten Dualismus zwischen Leib und Seele. Später entwickelt er seine Ideenlehre. Es ist nicht der Körper, sondern die unsterbliche Seele, die Teil hat an der Welt der Ideen und die sich nach und nach wieder erinnert. Die Wiedergeburt ist gesetzt und Teil seines Systems – und findet im Buddhismus ihr Äquivalent.
Vorausgesetzt, es gibt eine unsterbliche Seele, biegt schnell ein ethisches Problem um die Ecke. Was ist mit den Guten und den Bösen – ereilt beide das gleiche Schicksal? Wenn ja, wäre dies eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, so sieht es zumindest Sokrates. Um diesem Dilemma zu entkommen, muss es auch im Jenseits eine Art Zwei-klassengesellschaft geben. Im Georgias-Dialog wird erstmals eine solche Zweiteilung in Betracht gezogen:
„[…] dass welcher Mensch sein Leben gerecht und fromm geführt hat, der gelangt nach seinem Tode auf die Insel der Seligen und lebt dort ohne Übels in vollkommener Glückseligkeit, wer aber ungerecht und gottlos, der kommt in das zur Zucht und Strafe bestimmte Gefängnis, welches sie Tartaros nennen.“ (Georgias 523a)
Das Elysion, so sieht es Sokrates, steht nach dem Willen der Götter allen Gerechten offen. Die Bösen hingegen kommen in den Tartaros, den tiefsten Teil des Hades. Damit wäre der Dualismus auch in der griechischen Jenseitstopographie realisiert. Ein Konzept, das später im Christentum in der Zweiteilung von Paradies und Hölle sein Spiegelbild findet. Zudem spricht Sokrates, auf der Anklagebank sitzend, von den „wahren Richtern“, die den Seelen in der Unterwelt ihren gerechten Platz zuweisen werden. Eine Funktion, die in den monotheistischen Religionen dem einen Richter-Gott zugeschrieben wird.
Den philosophischen Hauptströmungen der römischen Antike, dem Epikureismus und der Stoa, liegen solche Jenseitsgedanken fern. Den vorherrschenden Pantheismus und die Riten haben die Römer weitgehend von den Griechen übernommen. Auf ein besseres Leben nach dem Tod kann der gemeine Mensch nicht hoffen. Eine Fortexistenz der Seele ist nicht vorgesehen. Das Augenmerk der Denker richtet sich daher auf das Leben bzw. auf die Frage: Wie kann ein gutes Leben gelingen? Für beide Strömungen heißt philosophieren ‚sterben lernen‘. Es geht darum, sich mit dem unausweichlichen Schicksal der eigenen Sterblichkeit zu arrangieren. Und ihre Vertreter haben die Nachwelt mit klugen Kalendersprüchen reichlich beschenkt.
„Solange wir da sind, ist er [der Tod] nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr. Er hat also weder für die Lebenden noch für die Toten eine Bedeutung; denn für die einen ist er nicht da, die anderen sind für ihn nicht mehr da.“
Epikur (ca. 340 – 270 v.u.Z.) erklärt den Tod kurzerhand für bedeutungslos. Und sein Nachfolger Lukrez (96 – 55 v.u.Z.) gibt in Bezug auf die Frage nach einer unsterblichen Seele zu bedenken: Selbst, wenn die Seele unsterblich wäre, könne es uns egal sein, da es einen Bruch in der Erinnerung gibt und wir ohnehin alles vergessen. Der Stoiker und Asthmakranke Seneca (ca. - 1 – 65) betont einen anderen Aspekt:
„Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allen Übeln, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, er versetzt uns in jene Ruhe zurück, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.“ (Von der Kürze des Lebens – De Brevitate Vitae IX, 1)
Ein Gedanke, den auch schon Sokrates in Erwägung gezogen hatte. Für Seneca ist das Streben nach materiellen Gütern, nach Macht und Reichtum ein bloßes Haschen nach dem Wind. Erst wenn sich der Mensch von diesem fruchtlosen, weil wenig nachhaltigen Begehren befreit, findet er im Diesseits seinen Seelenfrieden. Für Seneca ist der Tod lediglich eine zeitliche Begrenzung. Wer das Leben als zu kurz empfindet, hat es eben nicht sinnvoll genutzt. Er selbst fordert dazu auf, den Tod zu verachten.
Trotz dieser eschatologischen Leere im ersten Jahrhundert des römischen Weltreiches ist es für Apostel Paulus kein Leichtes, diese Lücke mit seiner Christusreligion zu füllen. In Jesus Christus wird der Leib-Seele-Dualismus scheinbar überwunden. Paulus verspricht den Gläubigen die „fleischliche Auferstehung“ nach dem Tod. Ein Zombiekult, der anfangs viele irritiert. Als Paulus in Athen von der Auferstehung des Leichnams Jesu predigt, wird er von den Zuhörern verlacht. Sie nehmen ihn nicht ernst. Auch Statthalter Festus ist fassungslos: „Paulus, du bist von Sinnen! Dein großes Wissen hat dich um den Verstand gebracht.“ (Apostelgeschichte 26:24) Warum sollte man so etwas Unglaubliches glauben? Die Antwort des ersten lateinischen Kirchenschriftstellers Tertullian ist ebenso knapp wie prägnant: Eben, weil es unglaublich ist. Diese phantastisch anmutende Verheißung findet vor allem bei den Unterprivilegierten und Entrechteten Anklang. Für diese Gesellschaftsschicht ist die Aussicht auf eine aufgewertete Weiterexistenz nach dem Tod offensichtlich besonders attraktiv. Im Gegensatz zu den starren Hierarchien besticht das frühe Christentum durch seine klassenlose Konzeption. In den ersten Gemeinden beten adlige Patrizier neben ehemaligen Sklaven. Es ist egal, ob man arm oder reich ist – vor dem einen Gott sind alle gleich. Zur Zeit Kaiser Neros lebten bereits rund 3.000 Christen in Rom, was einem Prozent der damaligen Bevölkerung entsprach. Eine Minderheit mit merkwürdigen Ritualen, die nach dem Großbrand von Rom im Jahr 64 zum Sündenbock gemacht wurde. Der Legende nach fiel auch der Apostel Petrus der neronischen Christenverfolgung zum Opfer und wurde in Rom gekreuzigt. Mit dem Märtyrertod des ersten Bischofs wurde das Papsttum begründet und Rom später zur Machtzentrale einer neuen Weltreligion. Ob allerdings Petrus, der erste Jünger Jesu, jemals in Rom war, ist historisch nicht belegt. Fakt ist: Drei Jahrhunderte später, im Jahr 393, wird das Christentum zur römischen Staatsreligion.
Wiederum drei Jahrhunderte später betritt die dritte große monotheistische Religion die Weltbühne. Von der arabischen Halbinsel aus expandiert der Islam. Der Prophet Mohammed (ca. 570 – 632) überliefert mit dem Koran seine Offenbarung. Diese neue Religion teilt viele Gemeinsamkeiten mit den bereits existenten und somit konkurrierenden Religionen des Juden- und Christentums. Auch für Muslime ist Abraham der Stammvater, und sie haben im Grundsatz ähnliche Vorstellungen von einem einzigen Gott und vom Jenseits. So glauben Muslime an „(1) die körperliche Wiederauferstehung nach dem Tod und das Jüngste Gericht, (2) die Unsterblichkeit der Seele sowie (3) die Existenz von Paradies und Hölle als reale physische Welten.“1 Am Tag der Auferstehung werden Körper und Seele im Grab wieder vereint und kommen, je nach Lebenswandel, entweder in das Paradies oder in die Hölle. Wie im Christentum ist für Märtyrer ein Logenplatz im Jenseits reserviert. Männliche Muslime dürfen sogar auf Jungfrauen hoffen, was suggeriert, dass Sexualität im islamischen Paradies möglich ist. Vor allem in den Hadithen wird diese erotische Lesart des Korans verstärkt und teils detailliert ausgemalt.
Nach dem Tod Mohammeds im Jahr 632 in Medina entbrannte ein Streit um seine rechtmäßige Nachfolge. Daraus entwickelten sich die beiden Hauptströmungen der Sunniten und der Schiiten. Um die Jahrtausendwende wird im persischen Großreich der Schiit Avicenna (ca. 980 – 1032) geboren. Ein Universalgenie, dessen Wirken auch das Abendland nachhaltig prägen wird. Er brilliert vor allem in zwei Disziplinen: der Medizin und der Philosophie. Sein „Kanon der Medizin“ zählt auch in Europa über Jahrhunderte zum Standardwerk. Avicenna ist es auch zu verdanken, dass die abendländischen Gelehrten auf einen ihnen bis dahin unbekannten antiken Philosophen aufmerksam werden. Sein Name: Aristoteles (ca. 384 – 322 v.u.Z.). An seinen Schriften arbeitet sich Avicenna ein Leben lang ab und verfasst unzählige Kommentare. Aristoteles bietet in seiner Schrift „De anima“ eine völlig neue Theorie von der Beschaffenheit der Seele. Für ihn ist die Seele kein eigenständiges Wesen, das sich vom Körper lösen kann – und er stellt sich damit diametral der Auffassung Platons entgegen. Pflanzen, Tiere und Menschen – alle organischen Körper sind beseelt, verfügen aber über unterschiedliches Seelenvermögen. Die höchste Stufe stellt die Vernunft (gr. nous) dar, über die allein der Mensch verfügt. Die von Aristoteles vorgenommene Intellektualisierung der Seele hat gravierende Konsequenzen. Es ist allein die Vernunft, die Unsterblichkeit besitzt, nicht aber das einzelne Wesen an und für sich. Damit stellt der Philosoph posthum alle Jenseitskonzepte der großen Religionen in Frage. Denn ohne eine eigenständig existente Seele ergeben paradiesische Freuden oder höllische Qualen keinen Sinn. Im Mittelalter sehen sich viele Gelehrte herausgefordert, die gegensätzlichen Positionen von Platon und Aristoteles zu überbrücken. So auch Avicenna. Und sein Lösungsansatz ist verblüffend. Für Avicenna ist der Koran nicht wörtlich zu verstehen, sondern allegorisch. Himmlische Freuden und höllische Qualen werden nicht körperlich erfahren, sondern vom Intellekt als Imagination erlebt. Ein geistiger Spagat, der dem gemeinen Volk nicht zugemutet werden kann. Von daher sei es gerechtfertigt, so Avicenna, dass der Koran in dieser real-physischen Bildlichkeit von Paradies und Hölle spricht.
Mit dem Untergang des römischen Imperiums verschwinden aus Mitteleuropa zivilisatorische Errungenschaften der Antike. Unter dem Einfluss des Christentums erfährt vor allem die Konzeption des Körpers einen radikalen Wandel. In der Antike herrschte ein austariertes Gleichgewicht zwischen Körper und Seele. „Mens sana in corpore sano“, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, galt als Leitbild. Der Körper wurde ästhetisiert, er wurde in Gymnasien trainiert, in Wettkämpfen mit anderen gemessen und von Bildhauern in Statuen verewigt. Im europäischen frühen Mittelalter ist damit Schluss – es gibt keine Thermen, keine Amphitheater oder Sportstätten mehr. Für Papst Gregor den Großen (540 – 604) ist der Körper nichts weiter als ein „verabscheuenswertes Kleidungsstück der Seele.“2 Eine pessimistische Sicht, die sich im Laufe der Jahrhunderte noch verschärft. Für Kleriker ist der Leib zuvorderst eins: eine Angriffsfläche für die Sünde. Askese und Enthaltsamkeit gelten als die probaten Gegenmaßnahmen. Die Abkehr von der Antike und der Wandel hin zu einem lustfeindlichen Körperbild werden später von Nietzsche und nach ihm von Foucault heftig attackiert.
Zudem lebt der mittelalterliche Mensch in der Erwartung des bevorstehenden Weltendes. Die biblischen Schriften sind noch nicht kanonisiert, und im frühen Christentum zirkulieren zahlreiche Apokalypsen, die den Weltuntergang in drastischen Katastrophengemälden ausmalen. Der nahende Untergang und das anschließende Weltgericht machen es umso dringlicher, sich aktiv um sein Seelenheil zu bemühen. Der Fokus der Lebenden ist vollkommen auf das Jenseits ausgerichtet.
Im Hochmittelalter (11. – 13. Jahrhundert) kommt es im Christentum zu einer Ausdifferenzierung der Jenseitstopographie. Das dualistische Konzept von Himmel und Hölle wird um einen dritten Ort erweitert: die Vorhölle bzw. das Purgatorium. In vielen Kulturen wird dem Feuer eine heilige und reinigende Kraft zugesprochen. Und so ist es auch hier. Im Fegefeuer werden die Seelen einiger Sünder gereinigt, damit auch sie am Tag der Auferstehung ins Paradies gelangen können. Der Mediävist Jacques Le Goff definiert diesen neuen Ort wie folgt: „Das Fegefeuer ist ein intermediäres Jenseits, in dem bestimmte Tote eine Prüfung zu bestehen haben, die durch die Fürbitte – die geistliche Hilfe – der Lebenden verkürzt werden kann.“3 Der Umweg über das Purgatorium ermöglicht es Menschen, trotz kleiner Verfehlungen ins Paradies zu gelangen, und – das ist bemerkenswert – erstmals können die Hinterbliebenen direkten Einfluss auf das Seelenheil der Verstorbenen nehmen. Jetzt werden für die Toten Messen gelesen, und reiche Adlige stiften gleich ganze Kirchen und Abteien. In den folgenden Dekaden entwickelte sich dieses Konzept der zeitlich begrenzten Hölle zu einer wahren Gelddruckmaschine für die Kirche. Der Ablasshandel erreichte einen beispiellosen Höhepunkt. Der Reformator Martin Luther hingegen verwarf das Konzept des Fegefeuers und legte mit seinem Thesenanschlag zu Wittenberg 1517 den Grundstein zum Schisma.
Definitiv keine Hoffnung auf das Paradies dürfen sich Häretiker machen. Ihnen drohen wegen ihrer Irrlehren der Feuertod und die ewige Verdammnis. So auch dem Dominikanermönch Giordano Bruno (1548 – 1600). Was die Existenz des Universums anbelangt, so gibt es logisch betrachtet nur zwei denkbare Möglichkeiten: Entweder das Universum ist einmal entstanden, oder es ist ewig und war schon immer da. Von Letzterem überzeugt ist Giordano Bruno. Damit stellt er nicht nur die biblische Schöpfungsgeschichte in Frage, sondern viele zentrale Glaubensdogmen der Kirche. Brunos Gedanken sind im Kern nicht neu, besitzen aber für die Kirche eine außerordentliche Sprengkraft. Schon der Vorsokratiker Empedokles (ca. 495 – 435 v.u.Z.) vertrat eine ähnliche Kosmologie. Die Grundstoffe des Universums (nämlich Luft, Feuer, Wasser und Erde) sind gleich, jedoch unterliegen sie einem beständigen Formungs- und Transformationsprozess.
„Es gibt nichts Neues auf der Welt, keine Geburt und auch nicht wirklich einen Tod. Es existieren lediglich Vermengung sowie Austausch von gemischten Stoffen.“4
Weitere argumentative Unterstützung meint Bruno auch bei einem Zeitgenossen zu finden, dem Astronomen Nikolaus Kopernikus. Dieser verwirft das geozentrische Weltbild und ersetzt es durch ein heliozentrisches. Wenn, wie es Bruno annimmt, das Universum unendlich ist, gibt es kein Außen, also keinen Platz für einen transzendenten Gott. Das Göttliche ist folglich im Universum enthalten, und zwar überall und in jeder Materie. Wenn wir sterben, zerfällt der Körper in seine Atome. Diese setzen sich später wieder neu zusammen, in welcher organischen oder anorganischen Gestalt auch immer.
Giordano Bruno hatte Jesus Christus einst einen Betrüger genannt und endete auf dem Scheiterhaufen. Doch in den kommenden Jahrhunderten wächst die Skepsis an den Glaubensdogmen. In der Frühaufklärung im 17. und 18. Jahrhundert kursieren zahlreiche sogenannte klandestine Schriften, die meist anonym und im Geheimen verbreitet wurden. Zu diesen Untergrundautoren zählt auch die Naturwissenschaftlerin und Philosophin Émilie du Châtelet (1706 – 1749). Unter dem Einfluss von Isaac Newton unterzieht sie die biblischen Inhalte einem Faktencheck. Und unter dem scharfen Blick einer Naturwissenschaftlerin haben die biblischen Weltentstehungsmythen und Wundergeschichten keinen Bestand. Offenbarungsreligionen lehnt sie kategorisch ab. Sie bezeichnet sich selbst als Deistin und glaubt an einen vernünftigen Schöpfergott. Allerdings greift dieser anschließend nicht mehr in die von ihm erschaffene Welt ein. Dieser vernünftige Schöpfergott offenbart sich ausschließlich in den universell geltenden physikalischen Naturgesetzen.
Gleichzeitig zirkulieren radikal atheistische Schriften. Ein besonders berüchtigtes Beispiel ist der 1719 in Frankreich anonym erschienene Traktat mit dem Titel „Le traité des trois imposteurs“ (dt. Traktat über die drei Betrüger). Darin werden die drei Begründer der abrahamitischen Religionen Moses, Jesus und Mohammed als Betrüger bezeichnet, da sie vorgaben, von Gott Offenbarungen erhalten zu haben. Das alles sei Lug und Trug. Der Traktat gilt als einer der Schlüsseltexte der französischen Aufklärung. Dem Verfasser nach gibt es weder einen Gott noch das Jenseits, weder Freiheit noch Verantwortung. „Die Menschen – das war das Verheißende des Textes – sollten von den Fesseln befreit werden, die sie in ihrem Handeln und Denken einschränkten, von den Fesseln einer Moral, die im Bunde mit einer fragwürdigen, repressiven Herrschaft stand.“5 Diese radikal-atheistische Haltung elektrisiert Ende des 18. Jahrhunderts auch einen gewissen Marquis de Sade (1740 – 1814). In seinen eigenen Werken wie der „Histoire de Juliette“ übernimmt er Passagen aus dem Traktat nahezu wortgleich. Unter den Aufklärern zählt Sade zum materialistischen Flügel. Alles ist Materie beziehungsweise Natur. „Belebt sein“ ist eine Eigenschaft der Materie. Auch Gedanken, Emotionen und Bewusstsein sind – modern gesprochen – das Resultat biochemischer Prozesse im Gehirn. Damit werden Begriffe wie Gott, Seele oder Moral obsolet. Für Sade ist der Mensch ein egoistisches und triebgesteuertes Tier. Der Zweck seines Seins besteht allein in der sinnlichen Lustmaximierung. Und für Sade ist sogar der Lustmord legitim und er desavouiert damit jede herkömmliche Moralvorstellung. Mit dem Tod zerstäubt ein Mensch – mehr nicht.
Mit Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) gerät eine große, bis dahin im Abendland kaum bekannte Religion in den Blickpunkt: der Buddhismus. Schopenhauer ist einer der ersten, der intensive Studien betreibt und der seine eigene Philosophie mit den Grundüberzeugungen dieser Jahrtausende alten Religion in Einklang wähnt. Für den Pessimisten und Skeptiker Schopenhauer wirkt im Menschen ein „Wille zum Leben“, ein zielloser, sinnfreier Lebenstrieb. „Alles drängt zum Dasein“, heißt es in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Doch das Dasein ist untrennbar mit Leid verbunden, sei es in Form von Krankheit, Alter oder Schmerz. Und es ist eben jener ziellose Wille, der das Elend am Laufen hält. Die Auffassung, das Leben sei Leiden, findet sich auch in den „Vier edlen Wahrheiten“ des Buddhismus. Ursache des Leidens sind zuallererst sinnliche Begierden. Der „Durst nach sinnlichen Genüssen, nach Dasein, Werden und Nichtsein“ ist der Grund, warum der Mensch in einem ewigen Kreislauf aus Leben und Tod gefangen ist. Ziel ist der Austritt aus dem Samsara, diesem Kreislauf aus Leiden, Dasein und Wiedergeburt. Erreichen lässt sich dieses Ziel durch eine asketische und spirituelle Lebensführung. Der Buddhismus stellt hohe ethische Ansprüche an den Menschen, betont aber die Eigenverantwortung des Individuums. Es liegt am einzelnen Menschen und seiner Willenskraft, ob er reinkarniert - oder ob er Erleuchtung findet und ins Nirwana eintritt. Ein ethisches Konzept, das ohne ein Weltende, ein Jenseits und einen Richtergott auskommt – und das auch Schopenhauer nachhaltig beeindruckte. Was aber genau unter Nirwana zu verstehen ist, wird höchst unterschiedlich interpretiert. Wörtlich bedeutet es „erlöschen, verwehen“. Es wird aber auch transzendent gedeutet. Für Buddha bedeutete Nirwana zugleich das „höchste Glück“. Zur Zeit Schopenhauers wurde das Wort Nirwana mit dem lateinischen „nihil“ („nichts“) übersetzt. Damit ist der Grundstein für eine neue philosophische Strömung gelegt, den Nihilismus.
Schopenhauer hat viele Dichter und Denker nachhaltig geprägt. Auch die Philosophen Philipp Mainländer und Friedrich Nietzsche zählen dazu. Philipp Mainländer (1841 – 1876) ist ein eher unbekannter Philosoph, der aber mit einer sehr exzentrischen Kosmologie auf den Plan tritt. Bei ihm kommt Gott zu der (buddhistischen) Einsicht, dass das Nichtsein dem Sein vorzuziehen sei. Allerdings kann der „AllEine“ Gott nicht direkt in den Zustand des Nichtseins wechseln. Gott begeht also Selbstmord - und das Universum ist das Resultat, sprich der verwesende Kadaver Gottes, der sich erst mit der Zeit nach und nach auslöscht. Da, wo Schopenhauer einen „Willen zum Leben“ erkennt, sieht Mainländer allerorts eine destruktive Kraft wirken. Der Mensch beschleunigt mit seinem hohen Ressourcenverbrauch den universellen Zerfallsprozess. Eine Sichtweise, die heutige Ökologen und Umweltschützer sicher aufhorchen lassen muss. Mainländer bezeichnet sich selbst als linken Buddhisten und führt, inspiriert von den „Vier edlen Wahrheiten“, ein Leben in Keuschheit. So hofft er selbst im Nirwana, dem Nichtsein, zu verlöschen.
Auch für Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 – 1900) ist Gott tot. Jedoch hat er nicht Selbstmord begangen, sondern wurde von den Menschen unwissentlich ermordet. Mit dem Tod Gottes fehlt der sinnstiftende Moment, und es beginnt das Zeitalter des Nihilismus, in dem es keine Werte und keine absoluten Wahrheiten mehr gibt. Der Glaube an einen christlichen Gott hat allein den einen Zweck, eine Vielzahl an stupiden „Heerdenmenschen“ hervorzubringen. Nietzsche sieht sein Zeitalter in der Phase der Dekadenz, in der die Menschen den Verlust von Kultur und Werten nicht eigenständig zu füllen vermögen. Diesem Niedergang stellt er jedoch eine Utopie entgegen: Der Nihilismus kann durch einen neuen Menschentypus überwunden werden. Dem zukünftigen „Übermenschen“ wird die „Umwertung aller Werte“ gelingen, sodass er den Sinn aus sich selbst schöpfen kann. Das ist jedoch Zukunftsmusik. Für den Atheisten Nietzsche sind Begriffe wie „Gott“, „Unsterblichkeit der Seele“ oder „Jenseits“ nur leere Worthülsen. Der Tod ist für ihn daher ein sinnloses Ereignis, das als dionysisches Fest zelebriert werden sollte.
Die Französische Revolution und die daraus resultierenden Umbrüche haben die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770 – 1831) nachhaltig geprägt. Hegel interpretiert die Weltgeschichte als Fortschrittsgeschichte, in der sich der „Weltgeist“ (d.h. die absolute Vernunft) verwirklicht. Historische Prozesse geschehen dialektisch, sprich nicht frei von Widersprüchen. Dennoch wirkt im Hintergrund stets die absolute Vernunft. Karl Marx und Friedrich Engels wollen Mitte des 19. Jahrhunderts Hegels Philosophie „vom Kopf auf die Füße stellen“. Sie übertragen Hegels Dialektik auf die Geschichte selbst: Den grundsätzlichen Widerspruch sehen sie zwischen der arbeitenden Klasse und den Eigentümern von Produktionsmitteln, sprich den Kapitalisten. Dieser dialektische Widerspruch muss folglich mittels Klassenkampfs überwunden werden. Ihr historisches Endziel ist die klassenlose Gesellschaft.
Die Theorien von Hegel und Marx wirken noch weit ins 20. Jahrhundert hinein und prägen auch das Denken des Intellektuellen Walter Benjamin (1892 – 1940). Doch nach dem Ersten Weltkrieg und dann später der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die den assimilierten Juden ins Exil zwingt, kann er den Fortschrittsoptimismus Hegels nicht mehr teilen. Im Gegenteil: Benjamin attestiert der Weltgeschichte eine Anhäufung von Katastrophen. Einen Ausweg aus dieser fatalen Abfolge bietet eine „schwache messianische Kraft“, die in jeder Epoche wirkt. Benjamin versucht in dialektischer Tradition, marxistisches Denken mit einem revolutionär interpretierten jüdischen Messianismus zu verbinden. Mit dem Anbruch der messianischen Zeit (Benjamin spricht auch „von einem Tigersprung ins Vergangene“) wird das Zeitkontinuum gesprengt, sodass alle Unterdrückten und Entrechteten nachträglich Gerechtigkeit erfahren. Benjamin sieht, wie Marx, das einzelne Individuum immer im Kontext der Gesellschaft. Er zeichnet ein humanistisches Bild einer Endzeit, auf das alle, Verstorbene wie Lebende, hoffen dürfen. Denn die messianische Erlösung bezieht sich nicht allein auf die Zukunft, sondern bindet die Vergangenheit mit ein.
Im Mittelalter tobte unter den Scholastikern ein heftiger Konflikt, der als Universalienstreit in die Geschichte eingehen wird. Im Kern des Streites geht es um die Frage, ob allgemeine Wörter (wie z.B. Freiheit oder Gerechtigkeit) auf Reales (Universalien) verweisen, oder ob sie nur Namen sind (Nominalismus), ohne faktischen Bezug zum Seienden. Auch für Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) ist die Sprache das Schlachtfeld seiner Philosophie. Sprache und Denken sind eng miteinander verknüpft. Dennoch ist Sprache nicht selten unlogisch und irreführend. So kann ein und dasselbe Wort sogar, je nach Kontext, das genaue Gegenteil ausdrücken (Alle Kinder sind da – Die Milch ist alle). Auch Philosophen verwenden ein und denselben Begriff in höchst unterschiedlicher Weise. So versteht Platon unter der „Seele“ etwas völlig anderes als zum Beispiel Aristoteles oder Nietzsche. Wittgenstein will der „Verhexung des Verstandes durch die Sprache“ ein Ende bereiten. Für ihn erhalten Wörter erst im Gebrauch ihre Bedeutung. Erst im konkreten Kontext – Wittgenstein spricht von Sprachspiel – erschließt sich der Sinn. Über Gott oder das Göttliche kann hingegen keine sinnvolle Aussage getroffen werden. „Gott offenbart sich nicht in der Welt“, er ist absolut transzendent und entzieht sich somit jeder sprachlichen Annäherung. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, so lautet der letzte Satz aus Wittgensteins berühmtem Tractatus logico-philosophicus. Die Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg haben aus Wittgenstein einen tief religiösen Menschen gemacht. Er nähert sich Gott in der Tradition einer negativen Theologie. Sprachlich lässt sich Gott nicht fassen, aber doch spirituell erahnen. Denn das Unaussprechliche ist – unausgesprochen – im Gesprochenen enthalten.
Michel Foucault (1926 – 1984) ist, ähnlich wie Walter Benjamin, kein Philosoph im klassischen Sinne, sondern ein Intellektueller, der sich auf vielen Gebieten der Geisteswissenschaften tummelt. Auch er befasst sich mit der Weltgeschichte. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Frage: Wer hat die Macht und wie wird sie ausgeübt? Einem Therapeuten ähnlich durchleuchtet er in seinen Diskursen, wie er sein Denken nennt, die Machtstrukturen zu unterschiedlichen Zeitepochen. Welcher Art sind die Machtverhältnisse, die bestimmen, wie sich der Mensch ernähren, wie er arbeiten und wie er sich sexuell verhalten soll? In Frankreich protestierte er in den 1960er Jahren gegen die massenhafte Inhaftierung von Kleinkriminellen sowie die Wegsperrung von psychisch Kranken in Irrenanstalten. Foucault, im bürgerlich-katholischen Milieu groß geworden, wandelt sich rasch zum überzeugten Atheisten. Eine Unterordnung unter religiösen Machtstrukturen kommt für ihn nicht in Frage. Für Foucault ist der Tod Endzweck des Lebens und zugleich „der privateste Punkt der Existenz“. Mit Nietzsche teilt er nicht nur den Atheismus, sondern auch die Idealisierung der griechischen Antike. Da den Menschen nach dem Tod nichts erwartet, fordert Foucault die Menschen in antiker Tradition auf zu einer aktiven „Sorge um sich selbst“.
Eine erfrischend klare Antwort auf die ultimative Frage nach dem Leben, dem Universum und überhaupt allem („life, the universe and everything“) liefert uns der britische Autor Douglas Adams in seiner Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ (1979). Ein Supercomputer namens „Deep thought“ spuckt nach Millionen Jahren des Rechnens schließlich die Antwort aus. Sie lautet: 42.
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1 Sebastian Günther: Paradiesvorstellung und Himmelsreisen im Islam. In: Jenseitsreisen. Hg. von E. Hornung u. A. Schweizer. Basel 2011. S. 17.
2 Jacques Le Goff: Une histoire du corps au Moyen Âge. 2006. S. 39.
3 Jacques Le Goff: Die Geburt des Fegefeuers. Vom Wandel des Weltbilds im Mittelalter. 2. Aufl. München 1991, S. 14.
4 Petra Gehring: Theorien des Todes zur Einführung. Hamburg 2010. S. 16.
5 So Winfried Schröder, der Herausgeber einer zweisprachigen Edition aus dem Jahr 1994, im ZEIT-Interview vom 20.05.2010. Quelle: meiner.de/traktat-uber-die-drei-betruger
References
Martin Schnick: Ich sterbe, also bin ich. Über das dramatische Ableben großer Denker und ihre Theorien vom Tod. Von Sokrates bis Michel Foucault. Ahrensburg 2024.