Psycho-Neuro-Nonsens

Wissenschaftskritik im Comicformat

Auf das 1. Cartooment in der vorigen Bulletin-Ausgabe (Greiner 2020) folgt nun in diesem Heft eine weitere kompakte Begründung eines Arguments unter vermittlungstechnischer Zuhilfenahme von Cartoons (Cartoon + Argument = Cartooment). Das Postulat, das mittels Cartooment Nr. 2 begründet werden soll, lautet: Psycho ist nicht Neuro!

Seit dem "Jahrzehnt des Gehirns“ durchforsten Naturwissenschaftler*innen die Nervengewebsstrukturen des Gehims emsig nach dem Psychischen, weil sie davon überzeugt sind, dass der Geist, die Seele und das Unbewusste in der neuro- biologisch erklärbaren Prozessdynamik des Cerebrums verortet sein müssen (vgl. dazu u.a. Kandel 2006, Kaplan-Solms & Solms 2005, Roth 2006). Seltsam, dass sich niemand von den Neuro-Psycho-Detektiven die grundsatzliche Frage zu stellen scheint, ob diese Suche überhaupt sinnvoll ist; zeigt ein Phänomenvergleichender Blick doch, dass „Neuro“ und „Psycho“ auf zwei grundverschiedene Gegenstandsbereiche gerichtet sind, deren Erforschung die Anwendung grundverschiedener Untersuchungsmethoden verlangt (vgl. dazu u.a. Greiner 2007, Greiner 2010, Werbik & Benetka 2016).

Screenshot 2023-05-23 151058
Cartoon A: Die Suche nach der Seele im Him (©Kurt Greiner 2020)

„Psycho“, für das sich die Psychotherapie interessiert, bezieht sich als Begriffskürzel für psychisches Geschehen auf das Phänomen des menschliche Seelenlebens bzw. des subjektiven Erlebens. Subjektives Erleben, das stets an die je konkrete Perspektive menschlicher Individuen gebunden ist, lasst sich über die Anwendung idiographischer Methoden (Hermeneutik) zwar sinnverstehend-qualitativ erkunden, jedoch nicht kausalanalytisch-quantitativ erfassen.

Screenshot 2023-05-23 151724
CartoonB: Das "Psycho" der Psychotherapie (©Kurt Greiner 2020)

„Neuro“, für das sich die Neurowissenschaft interessiert, bezieht sich als Begriffskürzel für neuronales Geschehen auf biochemophysikalische Prozesse im körperlichen Organ des Nervensystems. Biochemophysikalische Prozesse im Nervensystem lassen sich über die Anwendung nomothetischer Methoden (Empirie) zwar kausalanalytisch-quantitativ erfassen, jedoch nicht sinnverstehend-qualitativ erkunden.

Screenshot 2023-05-23 152043
Cartoon C: Das "Neuro" der Naturwissenschaft (©Kurt Greiner 2020)

Da die phänomenale Betrachtung lehrt, dass Psycho nicht Neuro ist, kann folglich auch die Suche nach dem Geistig-Seelischen im Gehirn nur unsinnig sein, weil psychisches Geschehen im neuronalen Wirkungszusammenhang weder mit hermeneutischen Techniken aufgestöbert noch mit empirischen Verfahren nachgewiesen werden kann. Mithin entpuppt sich das ambitionierte Projekt der Neuro-Psycho-Fahndung als purer Psycho-Neuro-Nonsens.

Screenshot 2023-05-23 152413
Cartoon D: Der Psvcho-Neuro-Nonsens (©Kurt Greiner 2020)

Literaturverzeichnis

Greiner K (2020) Wissenschaftliches Wissen inn akademischen Sinne. In SFU Forschungsbulletin 8/1. SFU Wien

Greiner K (2007) Ist die psychoanalytische Neurophorie begründet? In Psychotherapie Forum 15/3 2007. Springer, Wien New York

Greiner K (2010) Das Selbstmissverständnis der Neuro-Psychoanalyse. In Greiner, Jandl, Wallner: Aus dem Umfeld des Konstruktiven Realismus. Peter Lang, Frankfurt/M

Kandel ER (2006) Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes. Suhrkamp, Frankfurt/M

Kaplan-Solms K, Solms M(2005) Neuro-Psychoanalyse. Klett-Cotta, Stuttgart Roth G (2006) Geist, Seele, Gehim. In Kandel: Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes. Suhrkamp, Frankfurt/M

Werbik H, Benetka G (2016) Kritik der Neuropsychologie. Psychosozial, Giessen