Benötigt die Liebe die Ehe?

"Wer Paare kennt, weiß jedoch auch, dass das mit der Kooperation immer so eine Sache ist. Kooperationen sind brüchig, sobald das andere Individuum keinen Nutzen mehr darin erkennt."

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    Der 1. Oktober 2017 gilt für homosexuelle Paare in Deutschland als wichtiges Datum: Es ermöglicht ihnen die Eheschließung mit denselben Rechten und Pflichten, wie sie heterosexuelle Paare bereits in Anspruch nehmen. Es geht dabei vor allem um zwei Dinge: Um die finanzielle Absicherung des Lebenspartners und um Kinder.

    Das Gesetz hat nicht nur Beifall gefunden, sondern auch Kritik. Unter den Kritiken sind vor allem jene interessant, die versuchen, ohne homophobe Argumente auszukommen, zum Beispiel in dem sie sich gegen die staatliche Subventionierung von Ehen generell wenden. Ein Argument lautet z.B.: „Es kann nicht sein, dass Alleinstehende mit ihren Steuerabgaben auch noch das Glück der anderen mitfinanzieren dürfen“. Greift man diese Kritik auf, wird man zugeben müssen, dass die Ehe nichts weiter als eine Fördermaßnahme für die Erzeugung von Kindern ist. Denn letztendlich schafft der Staat Gesetze, zu dem Zweck, seinen Fortbestand zu sichern. Dass Kinder volkswirtschaftlichen Nutzen haben, wurde schon oft nachgewiesen. Eine Studie der Schweizer Autoren Karin Müller Kucera und Tobias Bauer1 bezifferte beispielsweise ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1 zu 4 je Kind. Diese Nutzenrechnung widerlegt die Aussage, die Ehe würde privates Glück subventionieren, denn dieses Glück ist zwar eine durchaus erwünschte, aber letztlich doch nur untergeordnete Nebenwirkung der Ehe, deren förderbedürftiger Zweck die Kinderproduktion ist.

    Die Ehe ist ein Rechtskonstrukt. Wer sich liebt, kann das natürlich auch ohne Eheschließung tun, nur hat die Liaison dann keinen bindenden, keinen verbindlichen Charakter und kann so ständig in Gefahr geraten, unter die Mühlen und Untiefen von Zeit und Raum zu geraten. Besonders für die Kinder als ein mögliches (und wünschenswertes) Produkt einer Ehe stellt eine Verrechtlichung eine – nicht unbedingt allumfassende – aber doch eben basale Grundsicherung dar.

    Vielleicht sollten wir zunächst den Begriff der „Liebenden“ verwenden. Was bedeutet es, wenn sich in der Schule zwei Jugendliche einen Zettel zuschieben, auf dem das berühmte: „Willst Du mit mir gehen?“ steht? Es bedeutet, dass – Zustimmung vorausgesetzt – auf Grundlage eines mündlichen – und jederzeit aufkündbaren – Vertrages eine Verbindung zweier Individuen hergestellt wird, die viele Kräfte freisetzen kann. Spielerisch zum Ausdruck gebracht haben es die beiden Autoren Philippe des Phallières und Hervé Marly mit dem Gesellschaftsspiel „Die Werwölfe von Düsterwald“ (es ist auch unter dem Namen „Mafia“ bekannt), bei dem zwei willkürlich bestimmte Spieler die Funktion der Liebenden übernehmen (müssen) und so dass Leben für die übrigen Spielteilnehmer schwer machen, die ansonsten fieberhaft nach mordenden Werwölfen Ausschau halten müssen.

    Liebe ist also Freundschaft plus die Möglichkeit, Kinder produzieren zu können (die offenbar besonders schutz-, und daher förderungsbedürftig sind). All das beruht auf einer zunächst lockeren Vertragsbeziehung, die auf Wunsch auch staatlich reglementiert werden kann.

    Woher kommt aber die Freundschaft? Natürlich kennen wir Beispiele aus Literatur und dem eigenen Erleben, bei denen es einfach „funkt“ (so wie bei der willkürlichen Spielerbestimmung im Werwolf-Spiel). Doch so spannend solche Beispiele auch sind, möchte ich diese biologische Komponente des „Sich-Verliebens“ an dieser Stelle einmal außer acht lassen. Wichtiger ist die Frage: Kann Liebe auch strategisch angegangen werden? Natürlich kann sie das, auch wenn es die wenigsten zugeben würden.

    Jedes Individuum orientiert sich zunächst an seinen Einzelinteressen, ist also „Egoist“. Der Egoismus ist die Grundlage der Vertragstheorie, denn wer keine eigenen Interessen hat, hat auch kein Vertragsabschlussinteresse. Das Interesse, einen Vertrag abzuschließen muss also notwendig egoistisch sein. Dieser Logik folgte auch der schottische Nationalökonom Adam Smith mit seiner Feststellung, dass das Streben Einzelner notwendig zum Nutzen aller sei2. Doch ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Denn einige hundert Jahre später fand der Mathematiker John Nash heraus, dass dies durchaus nicht immer der Fall ist3. So können individuell handelnde Personen in einer Gemeinschaft suboptimale Ergebnisse erzielen, ein Phänomen, das als „Nash-Gleichgewicht“ in einem „Gefangenendilemma“ bekannt ist. Nash-Gleichgewichte lassen sich jedoch optimieren (sog.: Pareto-Optimierung), und zwar, indem zwei Individuen miteinander kooperieren. Dies ist die natürliche Aufgabe der Liebenden – nicht nur im Werwolf-Spiel.

    Wer Paare kennt, weiß jedoch auch, dass das mit der Kooperation immer so eine Sache ist. Kooperationen sind brüchig, sobald das andere Individuum keinen Nutzen mehr darin erkennt. Eine Pareto-Optimierung ist immer auf Langfristigkeit angelegt und vertraut auf die Lerneffekte der Partner. Weil viele kooperative Entscheidungen immer wieder getroffen werden, sprechen Spieltheoretiker von „iterierten Gefangenendilemmata“. Auch daraus lässt sich ein Plädoyer für die Ehe ableiten. Zwar ist es prinzipiell sinnvoll für beide Partner, kooperativ zu sein, doch der erste, der die Kooperation verlässt, profitiert von diesem Verstoß auf Kosten des anderen („Suckers payoff“ genannt). Kooperationen haben also stets die Aura der Anfälligkeit. Das kennt man z.B. von Gangsterfilmen, bei denen sich die Bankräuber nach dem Raub gegenseitig eliminieren, um den eigenen Anteil zu erhöhen. Die Ehe schützt die Kooperierenden vor solchen Ausfallmöglichkeiten. So verfügen Paare in der Regel über gemeinsame Vermögen. Der erste, der sich böswillig aus der Kooperation lösen würde, könnte sich im Prinzip mit diesem Vermögen aus dem Staub machen. In Abwandlung eines alten Spruches könnte man also sagen: Die Liebe ist gut, die Ehe ist besser!


    1 Vgl.: Müller Kucera, Karin und Bauer, Tobias in Sozialdepartement der Stadt Zürich (Hrsg): Kindertagesstätten zahlen sich aus, Zürich 2001, S. 7

    2 Vgl.: Smith, Adam: Der Wohlstand der Nationen, München 1974 [London 1776], S. 369

    3 Vgl.: Nash, John F.: Essays on Game Theory, Brookfield WI 1996, S. 155ff.