Künstliche Intelligenz als philosophisches Problem?

Schafft die künstliche Intelligenz mehr Probleme als sie löst?
Verliert der Mensch schlimmstenfalls gar den Sinn des Lebens?

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    Technologischer Fortschritt im IT-Bereich begleitet den grössten Teil der Menschen seit einigen Jahrzehnten. In Europa trägt fast jede Person ein Smartphone auf sich, das bereits jetzt mit sogenannter schwacher künstlicher Intelligenz ausgestattet ist: Den eigenen Interessen angepasste Werbevorschläge, die Auswertung des Fitnessgrades aber auch die vom GPS vorgeschlagene Stauumfahrung sind nur wenige Beispiele dieses Fortschrittes. Pragmatisch ist Technik stets durch das Erreichen der Überlebenssicherung der Menschheit legitimiert, aber eine entsprechende Risikovorsorge und nachhaltige Entwicklung ist dennoch angezeigt.
    Wie lässt sich also eine Bewertung der Technik vornehmen? Bernhard Irrgang schreibt dazu: „Welche Auffassung etwa in der Medizin als human betrachtet wird, in welchem Rahmen etwa die Gentechnik als akzeptabel gilt, oder welche Art der Energie- und Verkehrstechnik als umweltverträglich eingeschätzt wird, hängt demnach weniger von der Analyse der jeweiligen Techniken ab als von den stillschweigend vorausgesetzten Idealen von Mensch und Natur. (…)
    Legitimation der Technik geschieht in der Regel durch eine eingeführte Praxis, durch technische Routine, durch das Gelingen technischer Handlungen. In diesem Sinne ist insbesondere innovatorische technische Praxis von der Legitimitätsfrage bedroht. Bei einer noch nicht erprobten Technik kann die Legitimitätsprüfung nicht mit dem Hinweis auf eine gelingende technische Praxis ad acta gelegt werden. Dann müssen vielmehr die Rahmenbedingungen technischer Praxis selbst thematisiert werden, insbesondere das selten befragte Hintergrundwissen und Vorverständnis technischer Praxis (…).“ (1)
    Wie also stehen wir Computerprogrammen gegenüber, die aus ihren eigenen Erfahrungen lernen können? Welche Grenzen soll die Gesellschaft zur Entwicklung oder Nutzung von Systemen, die unabhängig vom menschlichen Kommando denken und handeln können, ziehen? Kann man ein selbststeuerndes Auto für das Überfahren eines Menschen verantwortlich machen?

    Der Experte für künstliche Intelligenz Jerry Kaplan unterstreicht die Dringlichkeit dieser Fragen folgendermassen: „Fortschritte im Hinblick auf die intellektuellen und physischen Fähigkeiten der Maschinen werden die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten, spielen, eine Partnerin oder einen Partner suchen, unsere Kinder erziehen und unsere älteren Mitbürger pflegen, verändern. Sie werden auch bestimmte menschliche Betätigungsfelder am Arbeitsmarkt überflüssig machen, einen gesellschaftlichen Wandel verursachen und private ebenso wie öffentliche Institutionen bis an ihre Belastungsgrenze bringen. Dabei ist es völlig egal, ob wir diese Maschinen als bewusst oder geistlos betrachten, sie als neue Lebensform würdigen oder einfach nur als clevere Apparate ansehen: Sie werden aller Voraussicht nach eine immer wichtigere Rolle spielen und mit vielen Bereichen unseres täglichen Lebens untrennbar verbunden sein.“ (2) An Kaplans Zeilen lässt sich bereits ablesen, dass die technischen Entwicklungen, welche mit künstlicher Intelligenz in Verbindung stehen, beispielsweise auch die Robotik, oftmals mit Sorge betrachtet werden.

    Doch wie gross müssen unsere Sorgen wirklich sein? Was konkret sollte uns, gegebenenfalls, tatsächlich in Sorge bringen?


    Künstliche Intelligenz um uns herum
    Künstliche Intelligenz hat sowohl das Labor als auch das Filmset bereits verlassen und ist bei uns zu Hause angekommen. Von „Alexa“ über „Siri“, „Uber“ oder „Waze“; Wir sind umgeben von intelligenten Maschinen, die auf selbstlernenden Softwareprogrammen basieren. Bis anhin scheinen diese Neuerungen durchaus angenehm zu sein und wir stören uns nicht daran, dass uns Netflix den perfekten Film für den Sonntagabend vorschlägt. Künstliche Intelligenz verändert aber nicht nur als „kleiner Helfer“ unseren Alltag, sondern übertrifft die menschlichen Leistungen in vielerlei Hinsicht:

    • Autofahren: Auch wenn das fahrerlose Fahrzeug noch relativ neu ist, verunfallt es seltener als ein menschlich gesteuertes. Weder lässt sich das fahrerlose Fahrzeug durch ankommende SMS irritieren, noch hat es Müdigkeitserscheinungen oder ein Bier zu viel getrunken.
    • Börsenhandel: 2015 gewannen sechs der acht besten Hedgefunds rund acht Milliarden US-Dollar. Diese basierten grösstenteils oder sogar ausschliesslich auf Algorithmen von künstlicher Intelligenz.
    • Gesundheitswesen: Die Analysefähigkeiten von intelligenter Software übertreffen die Geschwindigkeit sowie die Genauigkeit der menschlichen Ärzte. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz konnten in einem Krankenhaus in Housten Gewebeentnahmen verhindert werden, welche in 20 Prozent der Fälle durch Ärzte unnötigerweise angeordnet waren.
    • Rechtswissenschaften: Diverse Studien sagen voraus, dass der grösste Teil von juristischen Analysen demnächst schneller, besser und kostengünstiger durch Software ausgeführt werden wird.

    Anhand dieser Beispiele lässt sich erkennen, dass die menschlichen Fähigkeiten und Analysen, gegenüber der Verlässlichkeit von computerisierter Arbeit, eine grössere Fehlerquelle birgt. (3)
    Obwohl die Schätzungen weit auseinander gehen, zeichnet sich der Verlust diverser Arbeitsstellen ab. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass neue Technologien auch mit neuen Arbeitsstellen verbunden sind. Was im Fall der künstlichen Intelligenz jedoch noch stärker ins Gewicht fallen wird, ist die technische Unterstützung von menschlicher Arbeit. So ist es auch vorstellbar, dass rund 75 Prozent der Arbeitsstellen durch die Anwendung künstlicher Intelligenz erweitert werden, eine grössere Effizienz aufweisen oder Resultate von höherer Qualität ermöglichen. (4)

     

    Untergrabener Sinn des Lebens?
    Man könnte sich an dieser Stelle fragen, was nun das Schwinden von Arbeitsplätzen durch die Anwendung von künstlicher Intelligenz mit Philosophie oder mit Ethik zu tun hat. Viele ethische Fragen im Bereich der künstlichen Intelligenz stellen sich ebenfalls bei anderen, sich schnell entwickelnden Technologien. Dabei bilden sich stets dieselben ethisch relevanten Problemkreise: Die Schwierigkeit der Vorhersagen, die mögliche Manipulation oder der Missbrauch von Daten, die schwer überschaubare Komplexität der Systeme und der entsprechend schwierigen Zuweisung von Verantwortung sowie die sozialen und kulturellen Konsequenzen, welche durch den Technologiegebrauch hervorgerufen werden.

    Die ethischen Fragen, welche sich spezifisch bei der künstlichen Intelligenz stellen, sind jene nach deren typischem Nutzen, menschliche Arbeit zu verbessern, zu ergänzen oder zu ersetzen. Paula Boddington schreibt in ihrem Werk „Towards a Code of Ethics for Artificial Intelligence“: „Was charakteristisch ist an der künstlichen Intelligenz, ist nicht nur, dass sie menschliche Handlungen erweitert oder verbessert; oder, dass es das menschliche logische Denken verbessert oder erweitert. Sondern: Künstliche Intelligenz verbessert oder ersetzt menschliche Entscheidungsprozesse und menschliche Beurteilungen. Sie könnte auch menschliche Handlungen oder menschliche Wahrnehmung verbessern oder ersetzen und könnte versuchen, menschliche Emotionen zu simulieren. (…) In manchen Fällen erledigt künstliche Intelligenz das, was Menschen tun würden, hätten sie genug Zeit. In anderen Fällen scheint es, dass sie die menschlichen Handlungen und Überlegungen mit Hilfe von Berechnungen verbessert und somit Handlungen hervorbringt, die der Mensch – ohne die Hilfe der künstlichen Intelligenz – schlicht nicht kann.“ (5)

    Hinsichtlich der Problematik der wegfallenden Arbeitsstellen zeigt sich auch unsere Einstellung gegenüber Arbeit: Sie ist sinnstiftend; Zu Gute kommen uns durch die Arbeit schliesslich diverse weitere Faktoren wie soziale Kontakte, der Sinn zu etwas Grösserem zu gehören, eine Routine, ein Grund, das Haus zu verlassen, eine Identität, Anerkennung in Form des Salärs oder durch die Teammitglieder etc. Künstliche Intelligenz bedroht nicht nur Arbeitsplätze, welche gefährliche oder langweilige Arbeit umfassen, sondern auch kreativere und komplexere Tätigkeiten beinhalten. (6)

    In den Worten von Boddington ausgedrückt, stellt sich durch die künstliche Intelligenz gar noch eine viel grössere Frage: „Wenn du um dein Überleben kämpfst, wird die Frage, warum du lebst, vielleicht nicht auftauchen. Wenn aber dein Leben gefüllt ist von endloser Freizeit, alle Probleme der Welt gelöst sind, und wenn eine Maschine den Liebesbrief an deine/n Liebste/n besser schreibt als du das kannst, und ein Roboter die sexuellen Wünsche deiner Geliebten besser erfüllt als du, und die Version von „Krieg und Frieden“, die durch Roboter geschrieben und verfilmt wurde, besser ist als diejenige von BBC, dann wirst du dich wahrscheinlich zu fragen beginnen, warum du am Leben bist. Auch wenn kein moralischer Kodex für künstliche Intelligenz diese Frage angemessen beantworten kann, so wird die Frage dennoch gestellt werden (…): Was ist der Sinn des Lebens?“ (7)

     

    Quellen

    1. Bernhard Irrgang, Philosophie der Technik, Technischer Fortschritt – Legitimitätsprobleme innovativer Technik, Schöningh Verlag, Paderborn 2002, ISBN 3-506-74206-X, S. 8 und 9
    2. Jerry Kaplan, Künstliche Intelligenz, Eine Einführung, MITP Verlag, Frechen 2017, ISBN 978-3-95845-632-7, S. 13
    3. Vgl. die gesamte Aufzählung mit: Malcom Frank, Paul Roehrig, Ben Pring, What to do when machines do everything, Wiley New Jersey 2017, S. 2
    4. Ebenda, S. 35
    5. Paula Boddingteon, Towards a Code of Ethics for Artificial Intelligence, Springer International Publishing AG, Oxford/Cham 2017, ISBN 978-3-319-60647-7, S. 29
    6. Vgl. ebenda, S. 74
    7. Ebenda

     

     

    Frage an die Leserschaft

    Macht die künstliche Intelligenz die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen überflüssig?