Der Schweizer Rohstoff-Gigant Glencore betreibt Minen in afrikanischen Ländern. Zu Lasten der dortigen Bevölkerung und Umwelt. Umdenken wäre angesagt. (Bild: Keystone)

Ein Artikel von Christoph Rehmann-Sutter

Stoppt den Klima-Kolonialismus!

Industrieländer verpesten die Umwelt, andere Länder leiden. Dagegen hilft der dritte Teil unserer philosophischen Miniserie zum Klimawandel.

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    Dieser Artikel erschien zuerst am 24. Juli in Der Bund.

    Um zu sehen, in welcher Situation wir uns befinden, brauchen wir nicht nur einen nüchternen Blick auf die Treibhausgasemissionen. Wir müssen nicht nur genau analysieren, woher sie kommen und welches die Faktoren sind, die zum ungebremsten, mittlerweile katastrophalen Anstieg geführt haben. Wir brauchen auch einen nüchternen Blick auf die kolonialen Verhältnisse, die sich in der Klimakrise wiederholen.

    Anders als die Kolonisierung des «Orients», Amerikas, Australiens und des globalen Südens durch europäische Mächte, die seit dem 15. Jahrhundert begann und die Neuzeit ausmacht, wurde Klimakolonialismus als politisches und kulturelles Expansionsprogramm nicht explizit formuliert. Der Klimaeffekt ist eine ungewollte Konsequenz. Er wurde aber in real existierenden Industrie- und Konsumgesellschaften bewusst in Kauf genommen.

    Dahinter steckt ein Entwicklungsmodell, das in den Industrieländern Wohlstand herstellte. Dieser ist aber nur möglich, weil er zu Lasten von weniger hoch entwickelten Ländern geht. Die reichen Länder lagern Lasten in die Länder mit kleineren Fussabdrücken aus. Die Menschen der Industrieländer leben auch auf Kosten der zukünftig Lebenden; das heisst, sie besetzen Zukunftsraum.

    Wenn ein gutes Leben möglich bleiben soll, sind die atmosphärischen Fassungskapazitäten begrenzt. Man spricht heute vom «Kohlenstoffbudget» und meint die rasch schwindende Menge an Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten, die noch in die Atmosphäre gelangen darf, um etwa das +2-Grad-Ziel nicht zu überschreiten. Das Kohlenstoffbudget ist ein Globalbudget, das sich die Länder untereinander aufteilen müssen. Die Ausgangsposition der Länder in diesem Aufteilungskampf ist aber so, dass die Lebenspraktiken der Industrienationen pro Kopf viel mehr Kohlenstoff emittieren, als es für alle möglich wäre.

    Wenn ich von Klimakolonialismus spreche, dann mit dem Vorbehalt, dass es bei dieser Form der räumlichen und zeitlichen Auslagerung von Nutzgebieten schwieriger ist, die imperialen Strukturen zu erkennen, mit denen die Länder die Bewohner der jeweils anderen Länder beherrschen. Es gibt freilich nach wie vor Herrschaftsstrukturen zwischen den reichen Industrieländern und den ehemals durch sie kolonialisierten Gebieten, vor allem auf ökonomischer Ebene. Die hauptsächliche Form der Macht, die sich in dem Phänomen des Klima-Kolonialismus auswirkt, zeigt sich darin, dass Entwicklungsmöglichkeiten ungleich verteilt sind.

    Eine postkoloniale Perspektive kann helfen, dieses Phänomen besser zu verstehen. Es ermöglicht eine Analyse. «Kolonialismus» bedeutet, dass Siedlungen in entfernten Gebieten errichtet werden, und ist mit einer imperialen Struktur von Herrschaft verbunden, um Güter und Produkte ins eigene Land zu bringen. Diese Definition ist auch im Fall des Klima-Kolonialismus erfüllt, sofern man berücksichtigt, wie einseitig die Wirtschaftsmacht verteilt ist.

    Damit zeigt sich die Grösse des Problems. Die Aufgabe, die sich uns heute stellt, lässt sich mit der Aufgabe vergleichen, welche die Gesellschaften – die Kolonialsysteme und die Kolonisierten – lösen mussten, als sie sich postkolonial transformierten. Es braucht eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung mit einer Neudefinition der Rolle von Technologie, Produktion und Konsum im Leben. Und die Aufmerksamkeit wird auf die Herrschaftsstrukturen gelenkt, welche zwischen den reichen Industrieländern und den anderen Ländern bestehen. Weil das Selbstverständnis der Gesellschaften und der Individuen in den privilegierten Ländern an den Systemen ihrer Privilegierung hängt, behindern sie die notwendige ökologische Transition.