Stellen Sie sich vor: Sie sitzen im Zug und müssen dringend auf die Toilette. Weil sie aber gerade von längeren Ferien zurückkommen haben Sie zwei Koffer sowie einen Rucksack dabei – zu viel, um alles mit in die enge WC-Kabine zu nehmen. Deshalb lassen Sie Ihre Habseligkeiten im Abteil liegen und vertrauen darauf, dass Ihre Mitreisenden diese nicht beschädigen oder entwenden.
Handelt es sich in dieser Situation tatsächlich um Vertrauen, das Sie den anderen, unbekannten Passagieren entgegenbringen? Oder muss für echtes Vertrauen eine tiefgründigere Beziehung vorhanden sein? «Das alles sind Fragen, die man sich im Zusammenhang mit dem Thema Vertrauen stellen kann», erklärt Christian Budnik, Oberassistent am Philosophischen Institut der Universität Bern.
Normalerweise diskutiert Budnik solche Fragen mit Fachkollegen oder Studierenden. Am kommenden Montag jedoch werden seine Gesprächspartner verschiedenste, meist mit Philosophie nicht vertraute Menschen sein. Budnik leitet den ersten von insgesamt vier Abenden der neuen Diskussionsreihe von Philosophie.ch, welche sich ganz um das Thema Liebe und Gesellschaft drehen. Als Experte auf dem Gebiet wird er die Frage «Kann man Fremden vertrauen?» thematisieren.
Vertrauen ist allgegenwärtig
Für Laien kann Philosophie ganz schön angsteinflössend sein – verbindet man diese Wissenschaft doch mit Grössen wie Aristoteles und Plato oder mit komplizierten Überlegungen wie dem kategorischen Imperativ. «Vor der Philosophie muss man keine Angst haben», weiss Anja Leser, Geschäftsführerin von Philosophie.ch und Organisatorin der Diskussionsabende, «dabei geht es nämlich um viel mehr als nur um trockene Theorie.» Wer sich mit philosophischen Themen beschäftige, merke nämlich schnell, dass sich diese fast überall im Alltag verbärgen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Vertrauen, so Christian Budnik: «Gäbe es in unserer Gesellschaft kein Vertrauen, wäre nichts so, wie es ist.» Dieser Aspekt sei es auch, welcher ihn persönlich fasziniere und der Grund sei, warum er sich seit Jahren mit dem Thema Vertrauen beschäftige. Egal, ob bei zwischenmenschlichen Beziehungen, politischen Strukturen oder Alltagsbegegnungen wie jener im Zug: Vertrauen ist allgegenwärtig.
Den Horizont erweitern
Wer Freude am Nachdenken und am Diskutieren hat, dürfte viel aus den Diskussionsabenden mitnehmen. «Natürlich können wir in zwei Stunden keine Ja-oder-nein-Antwort auf die Frage liefern, ob man Fremden vertrauen kann oder nicht», räumt Leser ein. Deshalb gehe es auch mehr darum, den Horizont der Teilnehmer zu erweitern.
Diesen Vorsatz hat sich auch Christian Budnik gesetzt: «Wenn die Teilnehmer künftig mehr reflektieren, was für eine Art Vertrauen ihnen in Werbungen oder politischen Kampagnen suggeriert wird, habe ich mein Ziel erreicht.»
(...)