Die scheinbare Antinomie zwischen zyklischer Wiederholung und linearer Selbstüberwindung bei Nietzsche ist gelöst

Wer den Kreis tanzt

Kurzform eines längeren Essays

Abstract
Nietzsches Konzept der ewigen Wiederkehr ist in seiner radikalsten Form mehr als eine metaphysische These – es ist eine existenzielle Herausforderung. In meinem Essay „Wer den Kreis tanzt“ interpretiere ich die ewige Wiederkehr nicht als Zwang, sondern als Initiation in die Möglichkeit der Selbsttransformation. Der Übermensch wird nicht einfach als Endpunkt eines Fortschritts gedacht, sondern als jemand, der den Kreis des Lebens mit einem bejahenden „Ja!“ verwandelt. Gerade in der heutigen Zeit, in der Fortschrittsgedanken ebenso wie nostalgische Rückblicke oft eine lähmende Wirkung haben, möchte ich die Idee eines „Dritten Weges“ anregen: den Weg der Wiederkehr und Transformation.

Die ewige Wiederkehr als Feuerprobe des Übermenschen

Im Herbst 1881, während eines einsamen Spaziergangs am Silvaplanersee, überkam Friedrich Nietzsche eine Vision, die sein Denken radikal veränderte: die ewige Wiederkehr des Gleichen. Kein theoretisches Konstrukt, sondern ein existenzieller Schlag – ein Gedanke, der, wie Nietzsche schreibt, durch Mark und Bein fährt. In Also sprach Zarathustra kehrt dieser Gedanke dramatisch wieder: als psychische, ja physische Erschütterung. Zarathustra ringt nicht mit einer Idee, sondern mit einem Schicksal, das den ganzen Menschen fordert – den Leib nicht minder als den Geist.


Die Prüfung

Oft wird die Wiederkehr als metaphysische Lehre gelesen – als Versuch, die Zeit in einen Kreis zu zwingen. Doch das greift zu kurz. Der „schwerste Gedanke“ ist keine kosmologische Spekulation, sondern eine existentielle Prüfung. Was Zarathustra erfährt, ist kein abstrakter Zwang zur Wiederholung, sondern ein Feuer, das entweder verbrennt – oder läutert.


Und genau hier, so meine These, beginnt die Geburt des Übermenschen: nicht als lineare Überwindung des Menschen, sondern als Durchgang durch den Kreis. Die ewige Wiederkehr widerspricht dem Übermenschen nicht – sie ist seine Voraussetzung. Sie ist der Initiationsritus, der trennt, was vergeht, von dem, was bleibt.


Zarathustras Wandlung

Nietzsche schildert diesen Übergang mit drastischen Bildern: Zarathustra verspürt Würgereiz, versteinert vor Angst, bricht fast zusammen – und lacht dann plötzlich. Dieses Lachen ist nicht ironisch, sondern schöpferisch. Es markiert jenen Moment, in dem das Bewusstsein der Wiederholung nicht mehr lähmt, sondern befreit. Wer den Kreis durchlitten hat, tanzt ihn. Und wer ihn tanzt, überwindet ihn.


Nicht zufällig folgt im dritten Teil des Zarathustra auf die Offenbarung der Wiederkehr unmittelbar das Tanzlied. Es ist kein Stimmungswechsel, sondern die logische Konsequenz eines bestandenen Rituals. Der Tanz ist kein Trotz, sondern Triumph.


Liebe zum Schicksal

Damit erhält auch der oft missverstandene amor fati – die Liebe zum Schicksal – neues Gewicht. Es ist keine passive Ergebung, kein stoisches Nicken zum Unvermeidlichen.

Vielmehr ist er ein schöpferischer Akt: das „Ja“ zum Unabänderlichen. „So wollte ich es!“ – dieser Satz ist das Schöpfungswort des Übermenschen.

Die scheinbare Antinomie zwischen zyklischer Wiederholung und Selbstüberwindung löst sich in diesem „Ja“ auf. Der Kreis wird nicht durchbrochen, sondern verwandelt – in eine Melodie, in einen Reigen, in etwas, das getanzt werden kann. Die sieben Siegel, von denen Zarathustra spricht, besiegeln nicht den Zwang, sondern die Freiheit, sich dem Zwang schöpferisch zu stellen.


Jenseits von Fortschritt und Nostalgie

Diese Lesart stellt gängige Nietzsche-Interpretationen in Frage. Wo etwa Heidegger in der Wiederkehr den Nachhall abendländischer Seinsvergessenheit sah, zeigt sich hier ihr revolutionärer Ernst: Sie ist das Nadelöhr, durch das der Übermensch tritt.

Und sie weist über Nietzsche hinaus. In einer Zeit, die zwischen blinder Fortschrittsgläubigkeit und lähmender Endzeitstimmung schwankt, eröffnet sich ein dritter Weg: nicht voranschreiten um jeden Preis, nicht zurücksehnen ins Gewesene – sondern wiederkehren und verwandeln. Wer die ewige Wiederkehr nicht als Fluch, sondern als Herausforderung begreift, stellt sich dem Leben auf radikalste Weise.

Genau das unterscheidet den Übermenschen von all den modernen Selbstoptimierern: Er will nicht mehr Mensch sein – sondern ein anderer.