Eine Ansprache an Studierende

Gehalten von Lars Allolio-Näcke in Erlangen während der "Uni brennt" Streiks von 2009

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    Ich bin heute gekommen, um Ihnen zu gratulieren – nicht jedem einzelnen persönlich, sondern Ihnen als bundesdeutscher Studierendenschaft!!! Ich möchte Ihnen gratulieren, dass Sie nach 11 Jahren Bologna-Prozess endlich aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht sind und sich in den wohl größten Geldumverteilungsprozess nach der Wiedervereinigung zu Wort zu melden. Bravo!

    Wenn Sie aufmerksam zugehört haben, dann ist Ihnen aufgefallen, dass ich nicht 10 Jahre Bologna-Prozess gesagt habe, sondern 11. Wieso? Weil Sie im Jahr 1998 suchen müssen, wenn Sie nach Gründen und Begründungen für eine Entwicklung suchen, deren Symptome – und nicht mehr – sie hier beklagen. Bologna hat einen Vorlauf, einen wichtigen, die Sorbonne Erklärung vom 25. Mai 1998. Dort hätten Sie bereits lesen können, wohin die Reise nach Bologna geht und was die Logik des Systems ist, die sie offensichtlich nicht verstanden haben, sonst kämen Sie nicht zu einem Forderungskatalog, der nicht mehr ist als eine kosmetische Korrektur einer grundsätzlich falschen an merkantilen Zielen ausgerichteten Reform. Doch zu Ihren Forderungen komme ich gleich im Einzelnen.

    Was steht in der Sorbonne-Erklärung?! Dort steht, ich zitiere: »Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse […] mit dem Ziel, die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäi­schen Bürger […] zu fördern. Einführung eines Systems, das sich im wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt […] Der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluß attestiert eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene« (1999, S. 3f.).

    Übersetzen Sie diesen Text, dann sagt er Ihnen, dass von Anfang an klar war: Hier geht es um die Ökonomisierung von Bildung, was heißt Bildung zur Ausbildung zu degradieren und entsprechend schlechter zu entlohnen. Irgendwie komisch, dass der gleiche Passus, den ich Ihnen gerade vorgelesen habe, auf der Homepage des BMBF wie folgt lautet: »Einführung eines Systems leicht verständ­licher und vergleichbarer Abschlüsse und ein zweistufiges System von Studienab­schlüssen (undergraduate/graduate) zu schaffen«. Nennen Sie das Transparenz und Dienst am Bürger? Wundert Sie, dass eine Annette Schavan Ihnen beipflichtet? Dass Rektor Grüske sich demonstrativ hinter sie stellt? Dass müsste Sie doch stützig machen?! Sie tun dass, weil Ihre Forderungen nichts oder nur wenig kosten, weil sie froh sind, dass Sie die Kröte geschluckt haben, die für Sie bedeutet, später mit einem Bachelor-Abschluss monetär keinen Diplom-AbsolventINNen gleichgestellt zu werden, sondern wie eine FH-StudentIN oder besser noch wie ein BA-StudentIN eingestuft zu werden. Sie erhalten eine Ausbildung – mehr nicht. Und das heißt einige hundert Euro weniger Verdienst. Sie dürfen sich zwar AkademikerIN nennen – de facto aber sind sie keine und sie werden auch nicht als solche entlohnt.

    Zu Ihren Forderungen aber im Einzelnen:

    3a) Reduzierung der Arbeitsbelastung, des Notendrucks und der psychischen Belastung

    Warum die meisten Studiengänge so vollgestopft sind, ist kein handwerklicher Fehler, wie behauptet, sondern zumeist der Versuch, von Bildungsinhalten zu retten, was zu retten ist, insofern hat man die Studiengänge vollgepfropft mit Dingen, von denen wir als Hochschullehrer denken, dass diese wichtig sind, um eine akademische Bildung zu erhalten. Mit Ihrer Forderung noch mehr an Inhalten zu kürzen und die Anforderungen herunterzusetzen, nehmen Sie sich selbst die Chance, noch ein wenig Teil zu haben, an etwas, das man Bildung und Persönlichkeitsbildung nennt. Jeden Teil der wegfällt, werden sie später bitter bereuen und monetär in Zusatzausbildungen erwerben müssen. Das ist die Logik eines effizienten, kurzen und nur auf das notwendigste beschränkten Studiums merkantiler Art. Wenn sie ein Vorbild suchen, dann schauen Sie auf die Lehrerbildung. Inhalte sind hier schon lange nicht mehr wichtig, Didaktik und Pädagogik stehen im Mittelpunkt – weil die Inhalte ausgedünnt wurden. Jetzt fragen sie sich bitte, warum die Schüler nicht mehr angemessen inhaltlich unterrichtet werden und wesentliche Defizite aufweisen, wenn sie an die Universität wechseln?

    Reduktion der Belastungen ja, aber nicht zu Lasten der Inhalte. Die Bachelorstudiengänge sind jetzt schon soweit reduziert, dass jemand, der im bisherigen Bildungssystem groß geworden ist, Bauchschmerzen bekommt.

    Sie fordern die Flexibilisierung des Studiums und die Ausweitung der Studiendauer. Tun sie das, verschwenden Sie wertvolle Lebenszeit für ein Bachelorstudium, für dass Sie dann genau so lange brauchen wie die Studierenden vor Ihnen fürs Diplom. Sie werden die Differenz, die Sie erwirtschaften müssen, um eine annähernd vergleichbare Rente zu erhalten, NIE ausgleichen können.

    3c) Akkreditierung aller Studiengänge

    Mit der Forderung nach Akkreditierung unterstützen Sie ein System, dass erstens nicht verfassungskonform ist, zum anderen erlauben Sie so Politik und Wirtschaft direkt in die Studien einzugreifen und deren Inhalt wie Verlauf zu bestimmen. Sie machen quasi den Bock zum Gärtner. Sie brauchen keine Vernetzung von Universität mit der Wirtschaft zu fordern, hier haben Sie sie handfest vor sich liegen, sie ist Realität!

    Der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland gehören 4 Hochschulvertreter (Professoren), 4 Landesvertreter (Ministerien), als Vertreter der Berufspraxis 2 Gewerkschafter (IG Metall und ver.di), 2 Vorstände (BMW AG und Telkom AG) sowie ein weiterer Ministe­rialer, zwei Studierende und schließlich zwei ›internationale Vertreter‹ aus Wirtschaft und Wissenschaft an, den von ihm berufenen Agenturen, wie die AQUIN,  eine variable Anzahl der gleichen Kategorien ohne Ministerienvertreter. Allein die beschriebene Zu­sammensetzung macht schon klar, dass die in den Agenturen Arbeiten­den weder in der Lage sind, selbstständig eine Wissenschaft zu bewerten, noch das ganze Wissenschaftsspektrum. Also arbeiten sie – im besten Falle – im Prinzip wie Unternehmensberatungen: »Sie holen sich das Fachwissen von denen, von denen sie sich bezahlen lassen« (Brenner, 2007, S. 86f.), also den Hochschulen selbst; im schlimmsten Falle hinge­gen entscheiden sie selbst, denn »[d]ie Akkreditierungskommission kann zu ihren Beratungen externe Experten als Gäste zuziehen […] Gäste und Beobachter besitzen kein Stimmrecht« (ACQUIN-Satzung, §9 Abs. 1). Welchen Sinn solche Agenturen haben, weiß keiner, außer dass sie Pseudobjektivität gewährleisten sollen und Unmengen an Geldern verschlingen. Mal abgesehen von den Kosten, die dem Steuerzahler zur Last gelegt werden, ist die Zusammensetzung der Agenturen mit am »Wirtschaftsleben Betei­ligten, die von der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite vorge­schla­gen« werden, äußerst fraglich, zumal zu den Qualifikationsanfor­derun­gen der Beteiligten keine Angaben gemacht werden. Was prädes­ti­niert einen Vorstandschef zur Begutachtung und Bewertung eines Fagott-Stu­diums, der Slawistik oder auch nur der Mathematik? Warum dürfen im Akkreditierungsrat Vertreter der Ministerien (staatliche Ver­waltung) sit­zen, wo doch Artikel 5 Abs. 3 GG Forschung und Lehre dem staat­li­chen Zugriff bewusst entzieht, indem er beide für »frei« erklärt? Be­denklich. So ist es »gekommen, wie es kommen muss: Es hat sich eine Funktionärskaste herausbildet, die gemeinsam mit den Exper­ten der Agenturen und fernab von jeder öffentlichen Wahrneh­mung und parla­mentarischen Kontrolle die Definitions- und Exekutions­macht über die deutschen Hochschulen ausübt (vgl. Brenner, 2007, S. 87). Fordern sie Akkreditierung, dann fordern Sie die Abschaffung der Autonomie der Hochschule, dann bilden wir nur noch nach wirtschaftlichen und politischen Interessen aus.

    3d) Masterplätze für jede/n Bachelor-Absolventen/-in

    Mit dieser Forderung werden Sie erreichen, dass ein paar wenige mehr zu einem Masterstudium zugelassen werden, nicht aber alle. Es ist beabsichtigtes Ziel der Reform des Studiums in ein zweigliedriges System, der Masse einen billigen, arbeitsqualifizierenden Abschluss zukommen zu lassen, und nur einer kleinen Elite Bildung zu gewähren, sprich sie zu einem Masterstudium zuzulassen. Solange sie an dieser zweigliedrigen Struktur Bachelor/Master festhalten, werden Sie diese Logik nicht durchbrechen, Sie nehmen bewusst in Kauf, dass noch mehr Menschen Bildung verwehrt wird. Wachen Sie auf!!!, es ist kein Geld da, um dies zu finanzieren. Bologna wurde nicht ins Leben gerufen, um irgend etwas besser zu machen: der klamme Staat hat kein Geld. Und er ist nicht bereit noch mehr Geld aufzuwenden. Genau dieser Logik folgt der gesamte Umbau des Bildungssystems: Die Herabsetzung der Professorengehälter zur W Besoldung, die Beschaffung von zusätzlichen Einnahmen über Studiengebühren, die massenhafte Zulassung privater Hochschulen, eine schnelle Studierbarkeit in möglichst kurzer Zeit. Der Staat spart, wo es geht und er wird an Ihnen lebenslang sparen, wenn Sie diese Studienabschlüsse nicht abschaffen: die öffentliche Hand wird sie NIE als Akademiker bezahlen, es geht um die massive Senkung von Löhnen und damit um Milliarden Entlastungen der Personalhaushalte der Länder und des Bundes.

    Und wenn Sie glauben Sie hätten mit Stipendien und höherem Bafög etwas erreicht, sie täuschen sich. Die Summen sind geradezu Peanuts verglichen mit dem, was gespart wird.

    Eines möchte ich Ihnen noch zum nachdenken geben, denn Zahlen und Summen kann man nur im Zusammenhang verstehen. Im vergangen Jahr wurde beim Bildungsgipfel in Dresden beschlossen, bis 2015 die Ausgaben für Bildung und Forschung auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu steigern. Vor wenigen Tagen meldete sich die Finanzministerkonferenz (FMK) zu Wort. Die Finanzminister haben nämlich ausgerechnet, dass es nicht nötig sei, auf diesem Feld noch mehr – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – Mittel einzusetzen. Das genau vor zwölf Monaten auf dem Bildungsgipfel in Dresden verabredete Finanzziel werde bereits in diesem Jahr erreicht – Toll oder? Wie schnell das geht, wo ein politischer Wille, da auch ein Weg!

    Nur hat das ganze einen Haken: Nicht die Mittel wurden erhöhnt, sondern das BIP ist gesunken, so dass die Quote zu Stande kommt. Niemand ist gewillt – und auch finanziell in der Lage – mehr Geld in dieses System zu pumpen. Das wenige Geld, das man hat, wird in Elite Universitäten fließen, der Rest weiter ausgehungert. Noch sind wir in der Lage Bildung zu vermitteln, dauert der Prozess aber länger, wird es keinen wissenschaftlichen Nachwuchs mehr geben, der in der Lage ist, mehr als Wissen zu vermitteln, was heißt sie employability zu machen, auszubilden.

    3e) Sicherung bzw. Wiederherstellung der Vielfalt des Studiums

    Widerspricht das nicht ihrer Forderung nach mehr Mobilität? War es nicht Sinn und Zweck der Profilbildung von Universitäten, attraktiv für Studierende zu sein? Schwerpunkte zu bilden, aber heißt an anderer Stelle zu sparen. Würde überall ein breites Studium in allen Möglichkeiten möglich sein, warum sollten Sie die Hochschule wechseln?

    Und wieso zu wenig Studienvielfalt? Sie können heute alles mögliche Studieren, wenn Sie das wollen – zumeist Studiengänge die Kopfgeburten sind und die niemand auf dem Arbeitsmarkt benötigt. So differenziert und diversiviziert war Studieren in Deutschland nie! Sie sollten die Rückkehr zu grundständigen Studienrichtungen fordern, statt noch mehr Studiengänge, die ›Business Ethics‹« (Liessmann, 2006, S. 112). »Kultur, Individuum und Gesellschaft« (an der Ruhr-Universität Bochum), »Gesellschaften, Globalisierung und Ent­wicklung« (an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) oder „Ethik der Textkulturen“ (FAU Erlangen) heißen.

    Unter diesem Punkt fordern Sie weiter: Ein Hochschulstudium muss die Möglichkeit selbstbestimmten Lernens bieten. Selbstbestimmtes Lernen heißt auch, dass die Anwesenheit nicht kontrolliert wird. Auch diese Forderung ist nur ein Scheingefecht. Es geht doch gar nicht um Anwesenheitskontrolle, niemand will sie gängeln. Es geht vor allem darum, den Prüfungsaufwand noch handhabbar zu machen. Früher bedurfte es einer Prüfung, egal ob sie vier Semester anwesend waren oder nicht. Heute soll der Abschluss objektiver und gerechter werden, als nur diese eine Benotung. Und das hat zur Folge, dass frühzeitig Teilleistungen abgeprüft werden, die in eine Endnote eingehen. Die einfachste Variante, eine Leistung zu erbringen, ist der Sitzschein. Nur anwesend zu sein, mehr nicht – heißt, die Leistung ist erbracht. Sie können gern auch noch eine Prüfung fordern, die eine solche Praxis ersetzt, aber dann wird der Druck und die Arbeitslast noch größer.

    Und glauben sie nicht, weil jetzt die Prüfungsordnungen verändert und die ETCS Punkte runtergesetzt werden, dadurch würde sich etwas ändern. Papier ist geduldig, der reale Arbeitsaufwand oder Workload wie man heute sagt, wird sich für die nicht ändern!

    Selbstbestimmt wird Lernen nicht dadurch, dass sie nicht anwesend sind, sondern sie selbst entscheiden, wie sie Ihr Studium in welcher Reihenfolge durchlaufen. Das aber ist in Bachelor- und Masterstudiengängen gerade nicht mehr gewährleistet. Sie müssen, linear aufbauend oder neudeutsch konsekutiv ein Modul nach dem anderen Studieren, sie müssen meist alle Veranstaltungsarten hören, auch wenn Ihnen eine Vorlesung gar nicht liegt. Selbstbestimmung ist etwas ganz anderes.

    3g) Das NC-System ist für die Feststellung der Eignung der Bewerber für den Studiengang nicht ausreichend.

    Dann legen Sie einen besseren Vorschlag vor. Ihre Forderung beruht darauf, zusätzliche Kriterien durch die Hochschule zu erheben, ob sich jemand für ein Studium eignet oder nicht. Fordern sie das, dann wären 25% von Ihnen hier im Saal gar nicht zur Hochschulbildung zugelassen worden. Noch immer entscheidet im Wesentlichen die Herkunft und das Aussehen in Deutschland, ob jemand in einem persönlichen Auswahlgespräch eine Stelle bekommt oder nicht. Das können Sie in jedem Lehrbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie nachlesen. Solche Auswahlverfahren erfordern Eloquenz – genau das haben sogenannte bildungsferne Schichten nicht. Fordern sie zudem schriftliche Leistungen, sieben sie nochmals Studierende aus. Im Zeugnis steht zwar die Note 2, aber haben sie einmal Seminararbeiten angeschaut, die in den letzten zwei Jahren abgegeben wurden? 10% der Studierenden sind nicht in der Lage einen logisch-stringenten zusammenhängenden Text zu schreiben – ganz abgesehen davon, dass er auch wissenschaftlichen Kriterien entsprechen soll.

    Fordern Sie den Umbau des Schulsystems, dort werden die Weichen gestellt, nicht hier im universitären Auswahlsystem. Dort werden Bildungschancen eröffnet oder für immer zugeschüttet – nicht hier.

    3h) Durchlässigkeit im Bildungssystem verbessern

    Wir lehnen ein sozial selektives Bildungssystem entschieden ab, heißt es. Hier müssen Sie noch mal an meine Ausführungen zum zweigliedrigen Studium zurückdenken. Solange Sie Bachelor und Master fordern, fordern sie ein sozial selektives Bildungssystem. Auch früher war das Bildungssystem nicht blind gegenüber Selektionsprozessen, aber Elitebildung fand auf breiteren Schultern statt. Durchlässigkeit ist gut – aber in Grenzen. Und vor allem nur da, wo es sinnvoll ist. Nicht jeder FH-Studierende eignet sich zu einem Universitätsstudium und auch nicht jeder Handwerksmeister wie absurder Weise beschlossen!

    4) Verbesserung der Studienbedingungen

    4a) Verbesserung der Lehre

    Sie fordern zusätzliche Vergabe von Dozenturen an den Hochschulen – wissen sie eigentlich, dass Sprache Welt strukturiert? Wittgenstein hat einmal gesagt: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt!“ Ja, machen Sie das, fordern sie Dozenturen, so wie sie anfänglich immer von Studenten auf ihrer Homepage gesprochen haben. Wir dozieren gern und wir dozieren alles, was sie wissen wollen. Und wenn Sie wollen ignorieren wir auch, dass es Studentinnen gibt. Lehrprofessuren, ja, fordern Sie die.

    Wissen, das ist es, was sie damit fordern, nicht Bildung – da können Sie drei Mal dick unterstreichen, Bildung sei ein existenzielles Gut der Gesellschaft. Wissen fordern Sie und das werden sie willfährig erhalten. Sie werden eine Generation sein, die so viel weiß wie keine andere – nur eines werden sie nicht können, dieses Wissen verdauen und verstehen, dass heißt in erster Linie aber auch, dass sie es nicht anwenden können – entschuldigen sie, aber das bezeugt bereits dieser Forderungskatalog anschaulich.

    Worum es in der Unterscheidung von Wissen und Bildung geht, ist die Frage, ob man das, was man weiß, verstanden und somit reflexiv durchdrungen hat, durch Verknüpfung von Wissensinhalten angemessen erklären und weiterdenken kann; nichts anderes hatte Humboldt von der Bildung gefordert: ein mit Kant begründetes, theoretisch wie praktisch vernünftiges Individuum, dass sich selbst in der Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Welt kreativ (er)findet und durch das wiederum der Mensch zu sich selbst findet. Zu wissen dagegen bedeutet lediglich, dass man einen Wissensinhalt gelernt, sich gemerkt hat und bei Bedarf abru­fen kann. Bildung verweist also auf ein Mehr als nur die reine Kenntnis, sie verweist zugleich auf imago (Bild) und creatio (Bildung). Warum Des­cartes in seinen Meditationes de prima philosophia zu dem Schluss kommt, »cogito, ergo sum«, ist aus der Wissensperspektive nicht von Be­deutung. Wichtig ist, dass man weiß, dass er es sagte. Dass an diesem fol­genreichen Satz unser gesamtes neuzeitlich-modernes Denken und Stre­ben entstanden und noch immer durch ihn bestimmt ist, kann vernach­lässigt werden. Was sagt uns schon ein Satz aus dem Jahre 1641, wenn die heutige ›Halbwertzeit‹ des Wissens lediglich von Bildungsreform zu Bildungsreform reicht. Dass mit der Negation der Frage nach dem Wa­rum auch die nach Wahrheit und Erkenntnis obsolet wird, ist nur konse­quent

    4b) Verbesserung der finanziellen Situation der Studierenden

    Sie fordern ein umfassendes Stipendiensystems endlich umzusetzen und dabei vor allem die finanzielle Situation der Studierenden stark zu berücksichtigen. Sie bekommen Ihr Stipendiensystem, freuen Sie sich. 10% ihrer Kommilitonen werden in den Genuss dieses Stipendiums kommen – und weil sie die Anhebung der Vermögensgrenze fordern – die 10% werden nicht nach Einkommen gestaffelt verteilt. Sozial ungerechter als ein Stipendiensystem ist kein vergleichbares Instrument! Oder haben Sie sich einmal damit beschäftigt, welche Kinder von staatlichen und parteilichen Stiftungen gefördert werden – ganz sicher NICHT überwiegend Arbeiterkinder. Zudem werden diese Stipendien wohl zur Hälfte von privaten Geldgebern gefördert, wie das bereits in Nordrhein-Westfalen geschieht. Welche Abhängigkeiten und Loyalitäten dadurch entstehen – dürfen Sie sich unter der anderen Forderung selbstbestimmten Lernens gern noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

    5) Zentralisierung des Bildungssystems

    Letztlich geben Sie damit jede Form des Widerstandes und der Diversifikation auf. Frau Schavan wird es ihnen danken, dass sie dann ex cathedra nach unten durchexekutieren kann, was ihr und ihren KollegInnen in Europa noch so alles einfällt. Loben sie stattdessen den Förderalismus und dass Bildung Ländersache ist, sonst sähe die Bildungslandschaft in Deutschland noch weitaus schlimmer aus, als sie es jetzt ist. Glauben Sie allen ernstes, dass es in einem vom Bund durchregierten Bildungssystem weiterhin so viele Universitäten geben wird, dass die Finanzierung auch von Orchideenfächern wie sie fordern, vom Bund gestemmt werden kann? Zentralisierung führt in erster Linie zu Uniformität, aber das wollen Sie doch eigentlich nicht? Das aber ist das Ziel von Bologna – überall das gleiche Studium anzubieten – bis zum Bachelor, dann im Masterbereich, kann es diversifizieren. Zuvor aber definitiv nicht. Dass es noch nicht so ist verdanken sie nur dem Widerstand des Föderalismus! Die Psychologie hat es vorgemacht, was es heißt, zu zentralisieren. Dort hat die Deutsche Gesellschaft für Psychologie die Macht an sich gezogen. Was ist daraus geworden? Wer heute Psychologie studiert, studiert an jeder Universität das gleiche Curriculum. Wollten Sie nicht Mobilität? Wozu?

    Drei Punkte zum Schluss möchte ich Ihnen mit auf den weiteren Weg geben:

    1. Nutzen Sie Ihre Chance und überarbeiten Sie ihren wirklich unsäglichen, undurchdachten und widersprüchlichen Forderungskatalog. Holen Sie sich Rat, historischen Sachverstand und politische Hintergründe – die Experten hierzu sitzen an dieser Universität, sie müssen sie nur befragen!!!

    2. Vernetzen Sie sich Bayern- und Deutschlandweit. Stellen Sie einen gemeinsamen Forderungskatalog auf, demonstrieren sie zentral in Berlin. Nur eine vernetzte und in geschlossene Studierendenschaft wird einen solchen Streik zum Erfolg führen. Dass sie sich alle in ihren Hörsälen verschanzen und einigeln, interessiert letztlich niemanden.

    3. Und seien Sie um Himmels willen radikaler. So brav wie Sie war keine Studierendengeneration. Durchbrechen Sie die interne Logik in der Sie sich befinden, systemimmanent zu denken – damit schadet man nämlich nicht. Machen Sie sich Gedanken, wie sie das System effektiv lähmen können, statt dem Rektor einen roten Teppich auszurollen. Ohne Konflikte – und das heißt insbesondere die Unterbrechung von Kapitalströmen oder infrastrukturellen Abläufen – wird sich an dem System nichts ändern. Man wird Sie weiter belächeln und ihnen anerkennend auf die Schulter klopfen. Weiter so!!!

    Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.