Genome Editing am Menschen - Die Ethik-Lernplattform

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    Das Diskursprojekt «GenomEdit», eine Zusammenarbeit des Instituts für Philosophie und dem Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin, brachte 2021 eine kostenlos zugängliche Online-Lernplattform hervor. Ziel des Projekts ist es, die Debatte rund um die brisante Frage des «Genome Editing», auch «Genom-Editierung» oder «Genomchirurgie», also des gezielten Eingriffs in das menschliche Genom, zu fördern.

    Doch was genau ist Genome Editing? Antwort darauf gibt der erste von 6 Teilbereichen des Online-Kurses des Projekts «GenomEdit»: Was ist hier los? In einem 7-minütigen Einführungsvideo wird über Gene, das revolutionäre Verfahren CRISP/Cas9, die sogenannte «Gen-Schere», ethische Urteile und die Debatte rund um das Genome Editing informiert. Dabei kommen Expert:innen aus den Bereichen Philosophie, Gentechnologie, Biologie, Ethik, Didaktik und Rhetorik zu Wort. Wie im Video erklärt wird, erlaubt es uns das Verfahren, mit einiger Präzision Gene im DNA-Strang entweder zu blockieren oder sogar zu ersetzen.

    Dies ist aus verschiedenen Gründen interessant. Das Genome Editing ist weitaus präziser und kostengünstiger als die Züchtung und verspricht Innovationen in verschiedenen Bereichen. Erstens können mittels Genome Editing auch Pflanzenzellen bearbeitet werden. Dies ermöglicht neue Anwendungsweisen für genetisch modifizierte Nahrungsmittelpflanzen wie beispielsweise Getreide. Zweitens hat dieses neue biochemische Werkzeug Implikationen für die medizinische Forschung. Gene können im Laufe der Evolution mutieren, was zu ‘Defekten’ in der DNA führen kann. Beispielsweise wird die Hämophilie, auch Bluterkrankheit genannt, durch ein defektes Gen verursacht und ist über dieses Gen auch vererbbar. Die Arbeit am Genome Editing hilft auch, Krankheiten besser zu verstehen und ermöglichte in der Theorie auch eine ‘Optimierung’ des Genpools.

    Im Optimalfall ermöglicht es das «Genome Editing», vererbbare Krankheiten wie die Hämophilie und bestimmte Formen von Krebs aus dem menschlichen Genpool zu schneiden. Es wird so nicht nur die betroffene Person geheilt, sondern auch die Vererbung der Krankheit gestoppt. Im schlimmsten Fall hat der Eingriff ins Genom unerwartete Nebenwirkungen, da die Wirkungsweisen der Gene äusserst komplex sind. Werden Eingriffe in die Keimbahn, also in die Zellen, die im Laufe der Reproduktion und Individualentwicklung zu neuen Eizellen und Spermien führen, vorgenommen, können unbeabsichtigte Nebenwirkungen über das Erbgut an nächste Generationen weitergegeben werden.

    Die Genschere hat also enormes Potential, birgt aber auch deutliche Risiken. Dementsprechend ist die Debatte rund um das Genome Editing erhitzt und ist gleichzeitig getrieben von kommerziellem wie wissenschaftlichem Interesse.

    Die Debatte kreist dabei nicht nur um konkrete Fragen der Biochemie, sondern auch um juristische, ethische wie wissenschaftliche Fragen. Der Fokus der Online-Plattform liegt auf dem ethischen Aspekt. Die Plattform zielt einerseits darauf ab, Teilnehmer:innen zu informieren, andererseits aber möchte sie spezifische Fähigkeiten fördern. Wie kann ich ethische Entscheidungssituationen erkennen und informiert ethische Urteile fällen? Wie funktionieren überhaupt die verschiedenen Argumente, mit denen die Debatte geführt wird? Wie kann diese Fähigkeit sinnvoll im Schulunterricht oder in Gesprächen vermittelt werden? Diese und ähnliche Fragen stehen im Zentrum des Lernmoduls. Die Antworten darauf und die dazu benötigten Fähigkeiten bilden die Grundlagen für eine informierte und konstruktive Debatte und sind speziell in Bezug auf die politische Sphäre, z.B. für uns als Wähler:innen, relevant.

    Das Lernmodul zielt auf die Beantwortung der folgenden Leitfrage:

    Mit der neuen Bio-Technologie „Genome Editing“ können wir Menschen die Gene von allen Lebewesen einfacher als je zuvor verändern – auch unsere eigenen. - Sollten wir das tun?

    Den Einstieg in den Kurs bildet ein 7-minütiges Video, das als Kurzvortrag mit visueller Unterstützung in Form von Animationen und Grafiken gestaltet ist. In einem ersten Schritt werden Gene und deren allgemeine Funktion erklärt und das Genome Editing eingeführt. Es wird über die Chancen und Risiken informiert. Die Gefahr bei Genome Editing rühre vor allem daher, dass die komplexen Wirkungsweisen von Genen es schwer machen, gezielt an den richtigen Genen zu arbeiten und unerwünschte Nebeneffekte zu verhindern. Gleichzeitig berge die neue Technik enormes medizinisches Potenzial. Die Einführung wird durch Stellungnahmen von Expert:innen aus verschiedensten Fachgebieten aufgelockert und abgerundet. Perspektiven aus der Philosophie, Biologie, Medizin, Linguistik, Pädagogik und vielen mehr verdeutlichen die Vielschichtigkeit und Komplexität der Debatte und schaffen Anknüpfungspunkte.

    Die Online-Plattform ist über 6 Fragen strukturiert:

    Was ist hier los? Im ersten Teil geht es darum, sich mittels des Videos einen Überblick über das Thema zu verschaffen, um sich dann eine erste Meinung zu bilden und diese zu hinterfragen.

    Worum geht es überhaupt? Im zweiten Teil geht es darum, das Phänomen des Genome Editing aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, um ein ausgeprägtes Verständnis dafür zu entwickeln. So sollen auch der Blick für mögliche weitere Argumente geschärft und diese sowie die eigenen hinterfragt werden.

    Welche Normen und Werte sind wichtig? Im Zentrum stehen hier ethische Fragen. Ausführliche Einführungen in die verschiedenen Moraltheorien der Philosophie werden mit der Debatte rund um Werte und Normen verknüpft. Es werden weiter verschiedene philosophische Voten zum Genome Editing eingeführt und gezeigt, inwiefern Werte eine Rolle in der Debatte spielen.

    Wie komme ich zu einem Urteil? Urteile entstehen nicht immer spontan und sind nicht in Stein gemeisselt. Der vierte Abschnitt erklärt, wie Urteile zustande kommen, wie man seine eigenen Urteile hinterfragen und bewusst entwickeln kann, um so schwierige Entscheidungen zu treffen.

    Was kann ich tun? Speziell ethische Fragen oder besonders Antworten darauf sind oft mit einem Handlungsanspruch verbunden. Unabhängig davon, wie zum Beispiel die Frage nach dem Genome Editing beantwortet wird, gibt es verschiedene Alternativen bezüglich den Entschlüssen und Handlungen, die daraus folgen können. Der fünfte Teil des Kurses setzt sich genau mit diesen Alternativen und den Möglichkeiten aktiv zu werden auseinander. 

    Was kann ich hier lernen?  Im letzten Abschnitt geht es darum, das neue Wissen und die neuen Fähigkeiten zu verorten. Wozu nützt das erworbene Wissen? Wie kann ich die neuen Fähigkeiten auf andere ethische Fragen anwenden? Der Kurs schliesst mit Anmerkungen zur Rolle und Wichtigkeit der Philosophie für solche Fragen und einem Beitrag über das Lernen selbst.

    Sämtliche Teilabschnitte der Online-Plattform bieten jeweils reichhaltige und diverse Inhalte. Für Anfänger:innen bieten Artikel, Videos und Übungen verschiedenster Art Einführungen in philosophische Grundlagen der Ethik und Argumentationstheorie. Für fortgeschrittenere Teilnehmende bieten spezifische Vertiefungen in einzelne Aspekte der Debatte neuen Stoff. Die Fragen können in der vorgegebenen Reihenfolge durchgegangen werden, schnell wird aber klar, dass je nach Vorwissen Vor- und Rückgriffe über die zahlreichen kursinternen Verknüpfungen hilfreich sind. Das stört aber überhaupt nicht, sondern ermöglicht ein individuelles Lernerlebnis.

    Der Kurs überzeugt vor allem durch seine Zugänglichkeit. Er ist sinnvoll strukturiert; die Inhalte bauen aufeinander auf, die einzelnen Kapitel sind aber so konzipiert, dass es auch möglich ist, beispielsweise direkt bei Frage 4 einzusteigen. Dieser Spagat zwischen linearer Struktur und Matrix führt jedoch dazu, dass der erste Durchgang etwas überwältigend ist, da schon zu Beginn des Kurses zahlreiche alternative Pfade durch die Kapitel offenstehen. So verirrt mensch sich relativ leicht. Es empfiehlt sich daher, den Kurs in einem ersten Durchgang stur der Reihe nach durchzugehen oder aber sich von vornherein auf eine eher assoziative und thematisch geordnete Reise einzulassen. Beide Wege sind auf ihre eigene Art vielversprechend und die Online-Plattform bietet genügend Stoff für mehrere Durchgänge. Sie bietet sich an für einen kursorischen Überblick sowie auch für ein intensives Studium der Debatte und öffnet Türen zu einer Vielzahl an Themengebieten. Der Kurs ist enorm umfangreich und bietet Einführungen zu Feldern wie Argumentationstheorie, Moralphilosophie und vielen mehr, knüpft aber immer wieder an aktuelle Debatten und an die Kernthematik «Genome Editing» an. Die Diversität der Lernmedien, als Beispiele seien Videos, Texte, Fragen, Übungen, Bilder, Audiospuren und Testmodule genannt, ermöglichen eine höchst abwechslungsreiche Lernerfahrung. Während so der Abwechslungsreichtum für das Selbststudium gewährleistet ist, fehlt trotz einiger Anregungen zu Gruppenübungen, der Austausch. Speziell die Diskussion ist ein zentrales Element der Philosophie und ein Forum oder eine Chatfunktion könnte hier Raum für interaktives Lernen schaffen. Weiter wäre eine abgespeckte Version des Kurses hilfreich für eine erste Auseinandersetzung mit der Onlineplattform. Während der Umfang eine vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Themengebieten ermöglicht und wichtig ist, um der Komplexität der ethischen Frage des Genome Editing gerecht zu werden, ist die Menge an Informationen und Möglichkeiten im ersten Durchgang herausfordernd.

    Der Kurs bietet, abgesehen von wenigen Verbesserungsmöglichkeiten, eine ausserordentlich gelungene Einführung in die Debatte rund um das Genome-Editing. Vielmehr aber gibt er ein hervorragendes Werkzeug an die Hand, das ein generelles Verständnis für die Funktionsweise von Argumenten und den Debatten, in denen sie eingesetzt werden, ausbildet. Ein klarer Prozess zur Meinungsbildung und -weiterbildung kann so im Selbststudium erlernt werden. Der Kurs schult das philosophische Auge, indem er Grundlagen der Ethik mit Übungen zu Argumentstrukturen verbindet und konkrete Anwendungsbereiche aufzeigt. Dank seiner Strukturierung ermöglicht er unterschiedliche Herangehensweisen an den Lernprozess und eignet sich für verschiedene Altersgruppen. Wer die Online-Plattform gewissenhaft durcharbeitet, ist gerüstet für Diskussionen jeglicher Art und lernt, die Vielschichtigkeit und Komplexität von Debatten zu verstehen und mit ihnen umzugehen.