Ein Beitrag von Eve-Marie Engels

Alternativen zur Massentierhaltung!

Tierethische Anforderungen und Ethik der Ernährung*

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    In den letzten Jahren ist der Umgang mit Nutztieren verstärkt zum Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit, Besorgnis und Kritik geworden. Dabei gerät vor allem die Massentierhaltung immer wieder in die Schlagzeilen. In der Tagespresse wird wiederholt auf Missstände in der Tierhaltung aufmerksam gemacht und durch Bildmaterial anschaulich untermauert. Zahlreiche engagierte Einzelpersonen und Institutionen haben sich damit befasst und Monografien und Stellungnahmen dazu veröffentlicht1. Der Deutsche Ethikrat publizierte 2020 seine Stellungnahme Tierwohlachtung – Zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren.  Der Bundesverband der Tierversuchsgegner „Menschen für Tierrechte“ hält eine „Gesamtstrategie für eine Agrar- und Ernährungswende“ für „unumgänglich“. Die Deutsche Umwelthilfe e.V. und Global Nature Fund verweisen auf den Zusammenhang von Tierhaltungsform und dem Austreten klimaschädlicher Gase und betrachten die „Massentierhaltung als Treiber des Klimawandels“. Dies sind nur einige Beispiele für die öffentliche Wahrnehmung der Nutztierhaltung und ihrer Missstände. Statt von „Massentierhaltung“ wird auch von „Intensivtierhaltung“ gesprochen2. Der englische Begriff „Factory Farming“ charakterisiert diese Form der Tierhaltung auf prägnante und treffende Weise.

    In meinem Beitrag stehen Nutztiere im Mittelpunkt, die für die menschliche Ernährung gezüchtet und gehalten werden. Dabei stellen sich zahlreiche bioethische Probleme, die zu benennen sind. Die Bioethik ist ein Hauptgebiet der interdisziplinären anwendungsbezogenen Ethik. Ihr Ziel ist eine normative Verständigung über die Spielräume und Grenzen menschlichen Handelns im Umgang mit der lebenden Natur einschließlich der Natur des Menschen. Die Notwendigkeit einer Bioethik als Disziplin und öffentlicher sowie institutionalisierter Reflexion hat sich insbesondere seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss unerwünschter Folgen von Industrie und Technik und der Eröffnung qualitativ neuer Eingriffsmöglichkeiten von Biologie und Medizin in den Menschen und andere Lebewesen herausgebildet. Inzwischen hat sich die Bioethik in eine Vielzahl von Bereichsethiken ausdifferenziert. Hierzu gehören die Tierethik, die Natur- und Umweltethik und die Ethik der Ernährung („Food Ethics“). Diese sind im Kontext dieses Beitrags besonders relevant.

    Was bedeutet Massentierhaltung?

    Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau beschreibt die Massentierhaltung auf folgende Weise: „Massentierhaltung: Es werden Nutztiere gleicher Art und Altersgruppe in großen Beständen auf begrenztem Raum gehalten. Kennzeichen der Massentierhaltung ist der geringstmögliche Einsatz von Arbeitskräften zur Versorgung und Fütterung sowie die Verwendung mechanischer Einrichtungen für die Unterbringung und Haltung der Tiere. In den letzten Jahrzehnten nahmen in der gesamten Nutztierhaltung Technik und Rationalisierung eine vorrangige Stellung ein. In den Hintergrund traten dagegen individuelle Betreuung des einzelnen Tieres und die Berücksichtigung der arteigenen Bedürfnisse der Nutztiere. Große Bestände und technisierte Haltungsformen haben sich zunächst bei Geflügel durchgesetzt, dann auch bei Kälbern, Rindern und Schweinen.“3

    Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde beschreibt weitere Merkmale: „Massentierhaltung kann definiert werden als intensive Haltung von Nutztieren in Großbeständen. Typische Merkmale sind: Die Haltung nur einer Tierart bzw. Nutzungskategorie, der Einsatz von Hochleistungstieren, das Fehlen landwirtschaftlicher Nutzflächen und der komplette Zukauf von Futter und Jungtieren sowie die ausschließliche Kraftfutterfütterung bei Schweinen und Geflügel  (mit hohem Importanteil). Aber auch […]  viele Tiere je Arbeitskraft und eine wenig oder nicht tiergerechte Haltung […] können als Merkmale für Massentierhaltung gesehen werden.“4

    Die Art und Weise des Umgangs mit Nutztieren ist maßgeblich durch unsere Ernährungsweise in den Industrienationen bestimmt. In Brasilien, Argentinien und Paraguay werden riesige Flächen des Regenwaldes für den Anbau von Soja gerodet, das als Futter für die hiesigen Nutztiere dient. Ohne die große Nachfrage nach Fleisch und anderen Tierprodukten gäbe es keine Massentierhaltung. Diese beeinträchtigt nicht nur das Wohlergehen der Tiere selbst, sondern sie hat auch massive negative Auswirkungen auf Umwelt und Natur anderer Länder. So sind es letztlich die Konsument*innen  und ihre Nachfrage nach Fleisch, welche die Massentierhaltung befördern und damit für die Zerstörung von Natur und Umwelt anderer Länder mitverantwortlich sind.

    Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. Juli 2002 wurde der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Artikel 20a GG hat nunmehr folgende Fassung: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“5 Dies hat bisher jedoch nicht zur Abschaffung der Massentierhaltung geführt.

    Ich beleuchte das Thema meines Beitrags im Rahmen einer Ethik der Ernährung, da die Art und Weise des Umgangs mit Nutztieren maßgeblich durch unsere Ernährungsweise in den Industrienationen beeinflusst ist.

    Tierethische Grundannahmen und Tierschutzgesetzgebung

    Die Tierethik ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem festen Bestandteil der anwendungsbezogenen Bioethik geworden. Seit dem 18. Jh. hat sich der Tierschutz in Deutschland und anderen Ländern zunehmend verbessert. Dies gilt sowohl für das moralische Bewusstsein und die Sensibilität gegenüber Tieren, welche sich in der Tierethik widerspiegeln, als auch für die Rechtslage. Die Einführung des Begriffs „Thier-Ethik“6 gegen Ende des 19. Jh.s und die Aufarbeitung der Rechtslage zum Tierschutz im In- und Ausland7 verdeutlichen augenfällig ein verändertes Bewusstsein gegenüber Tieren. Im 20. und 21. Jh. setzte sich diese positive Entwicklung fort. Fritz Jahr formuliert ab 1926 seinen „bio=ethischen Imperativ“: „Achte jedes Lebewesen grundsätzlich als einen Selbstzweck und behandle es nach Möglichkeit als solchen!“8 Nicht nur der Mensch, sondern auch Pflanzen und Tiere sind in Jahrs Imperativ eingeschlossen. Die gelebte Moral vieler Menschen ist heute eine Pathozentrik, ein Sentientismus, wonach leidensfähige Lebewesen, Tiere, einen Eigenwert haben und um ihrer selbst willen schützenswert sind, mit Übergängen zu einer Biozentrik, die für alle Lebewesen einen Eigenwert anerkennt. Der prominenteste Vertreter einer Biozentrik ist der Theologe, Philosoph und Mediziner Albert Schweitzer mit seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. „Wahre Philosophie muß von der unmittelbarsten und umfassendsten Tatsache des Bewußtseins ausgehen. Diese lautet: <<Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.>>“9 Aus Gründen der „Wahrhaftigkeit gegen mich selbst“ habe ich allem Leben die gleiche Ehrfurcht entgegen zu bringen wie dem eigenen Leben.10 Da wir Menschen einen Lebenswillen haben und für uns in Anspruch nehmen, dass dieser Wille von anderen respektiert wird, ist es nur konsistent, wenn wir den Lebenswillen anderer Lebewesen respektieren. Schweitzer lehnt es ab, „allgemeingültige Wertunterschiede zwischen den Lebewesen zu statuieren“. Dies läuft für ihn darauf hinaus „sie danach zu beurteilen, ob sie uns Menschen nach unserm Empfinden näher oder ferner zu stehen scheinen, was ein ganz subjektiver Maßstab ist. Wer von uns weiß, was das andere Lebewesen an sich und in dem Weltganzen für eine Bedeutung hat?“11 Die „Ethik der Wahrhaftigkeit gegen sich selbst“ geht nach Schweitzer „unmerklich in die „Hingebung an andere über“.12 Schweitzers Gedanken sind heute in einer Zeit der industriellen Massentierhaltung und quälerischen Tiertransporten aktueller denn je. „Wenn so viel Mißhandlung der Kreatur vorkommt, wenn der Schrei der auf dem Eisenbahntransport verdurstenden Tiere ungehört verhallt, wenn in unsern Schlachthäusern so viel Roheit waltet, wenn in unsern Küchen Tiere von ungeübten Händen qualvollen Tod empfangen, wenn Tiere durch unbarmherzige Menschen Unmögliches erdulden oder dem grausamen Spiele von Kindern ausgeliefert sind, tragen wir alle Schuld daran.“13

    Das veränderte Bewusstsein gegenüber Tieren spiegelt sich sowohl in der Tierschutzgesetzgebung als auch in den Verfassungen einzelner Länder wider, wie in der Schweiz („Würde der Kreatur“) und in Deutschland. In Deutschland hat zunächst der Umweltschutz und seit 2002 auch der Tierschutz Eingang in das Grundgesetz (Art. 20a) gefunden: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Nach § 1 unseres Tierschutzgesetzes ist es dessen Zweck, „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“14 In der neuen EU-Richtlinie 2010/63/EU „zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ heißt es in Erwägungsgrund 12: „Tiere haben einen intrinsischen Wert, der respektiert werden muss.“15

    Die Anerkennung der Würde der Kreatur, des Eigenwertes des Tieres, seine Mitgeschöpflichkeit, sollen der Verfügbarkeit von Tieren durch den Menschen zum Schutz der Tiere Grenzen setzen. Tiere sollen in erster Linie um ihrer selbst willen respektiert werden und nicht, weil sie für Menschen nützlich sein können. Auch dann, wenn Tiere vom und für den Menschen genutzt werden, hat sich diese Nutzung am Eigenwert der Tiere zu orientieren.

    Allerdings werden Menschenwürde und Eigenwert des Tieres in Theorie und Praxis nicht als gleichwertig betrachtet. Während die Würde des Menschen als unantastbar gilt, wird dies Tieren in dieser Strenge nicht zugestanden. Der Eigenwert des Tieres schützt dieses nicht auf die gleiche Weise wie die Menschenwürde den Menschen. Dies wird auch an der Formulierung im Tierschutzgesetz deutlich, dass Tieren „ohne vernünftigen Grund“ keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen. Tiere haben jedoch einen intrinsischen Wert, der unabhängig von ihrer möglichen Nützlichkeit für Menschen besteht. Kennzeichen aller Lebewesen sind ihre Autopoiesis und Teleonomie. Sie zeichnen sich durch ihre Selbsttätigkeit aus, verfügen über Bedürfnisse und Zielgerichtetheit und streben danach, ihre Ziele zu erreichen, ihre Interessen zu befriedigen und Gefahren und Schäden abzuwehren. Dies gilt nicht nur für Wirbeltiere, sondern bereits für Insekten, die bei Bedrohung ein Fluchtverhalten zeigen.

    Vor allem im Kontext menschlicher Ernährung gibt es keinen „vernünftigen Grund“, Tieren „Schmerzen, Leiden oder Schäden“ zuzufügen16. Vielmehr sprechen zahlreiche gute Gründe für einen Verzicht auf Fleisch als Nahrungsmittel. Neben der Förderung des Tierwohls sind dies Ansprüche an eine gesunde menschliche Ernährung und ökologische Gründe, der Schutz der Biodiversität. „Die Nutztierhaltung in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wirtschaftlich sehr erfolgreichen Sektor entwickelt. Es wurden große Fortschritte in Bezug auf die Ressourceneffizienz erzielt. Gleichzeitig gibt es erhebliche Defizite vor allem im Bereich Tierschutz, aber auch im Umweltschutz. In Kombination mit einer veränderten Einstellung zur Mensch-Tier-Beziehung führte dies zu einer verringerten gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung.“17 Diese veränderte Einstellung zugunsten von Nutztieren bezieht sich hauptsächlich auf Rinder, Schweine und Geflügel. Im öffentlichen Bewusstsein ist weniger bekannt, dass auch Fische keine „Reflexmaschinen“ sind, sondern über kognitive Fähigkeiten verfügen sowie schmerz- und leidensfähig sind18. Die Anzahl gefangener Wildfische für die menschliche Ernährung ist im Vergleich zur Anzahl herkömmlicher Nutztiere vielfach größer. Der Bestand freilebender Fische und damit auch die Vielfalt an Fischen sind durch Überfischung gefährdet. Zuchtfische leben selten unter artgerechten Bedingungen19

    Da die Intensivtierhaltung vielfältige Probleme für Tiere, Umwelt und Konsument*innen mit sich bringt, ist die Abschaffung der Massentierhaltung zugunsten einer Ausweitung der Freilandhaltung notwendig und ethisch geboten. Dies erfordert eine Reduktion des Nutztierbestandes sowie des Konsums tierlicher Produkte. Eine für viele wünschenswertere und daher bevorzugte Alternative ist eine vegetarische oder vegane Lebensweise.

    Die Anliegen einer Ethik der Ernährung

    In der Öffentlichkeit ist das Bewusstsein für eine anspruchsvolle Ernährung, eine artgerechte Tierhaltung und den Schutz der Vielfalt der Lebewesen gewachsen. Davon zeugen die Bioläden und Biomärkte, die in den letzten Jahren entstanden sind, sowie die Integration von Bioprodukten in herkömmliche Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte. In Teilen der Bevölkerung setzt sich ein Trend zu einer Ernährungsweise durch, bei der nicht nur auf die eigene Gesundheit geachtet wird, sondern auch die Nachhaltigkeit der Produktion, der Schutz der durch unsere Ernährung betroffenen Lebewesen und das Tierwohl in den Vordergrund rücken. Ein zunehmend dringliches Anliegen ist für viele Menschen darüber hinaus der Schutz der biologischen Vielfalt, die mit rapider Geschwindigkeit abnimmt. Ursachen hierfür sind „Änderungen in der Landnutzung (zum Beispiel Entwaldung oder Umwandlung von Feuchtgebieten in landwirtschaftliche Nutzfläche), die Ausweitung von Wohn- und Infrastrukturgebieten, eine intensive landwirtschaftliche Nutzung, die mit hohen Stickstoffeinträgen und Pestizideinsätzen einhergeht, die Einführung neuer Arten (Neophyten) in empfindliche Ökosysteme und der Klimawandel.“20 In der Studie Naturbewusstsein 2017, einer Bevölkerungsumfrage des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) zu Natur und biologischer Vielfalt, kommt die Zuversicht zum Ausdruck, dass sich der Verlust der biologischen Vielfalt „durch eine Änderung von individuellen Präferenzen und Verhaltensweisen, durch eine andere Art des Wirtschaftens und durch eine veränderte Politik“ aufhalten lässt, da alle genannten Prozesse „menschengemacht“ sind, „das heißt an ihrem Ursprung stehen individuelle Präferenzen, wirtschaftliche Interessen und politische Entscheidungen.“21 Das Umweltbundesamt weist auf den Zusammenhang der Viehhaltung („Massentierhaltung“) und der landwirtschaftlichen Nutzung von Böden mit klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen (Methan, Lachgas) hin22.

    Nicht zuletzt besteht eine besorgniserregende Diskrepanz zwischen Unterernährung und Mangelernährung auf Grund von Armut einerseits, wie sie in Teilen Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Ozeaniens vorliegt, und der Zunahme Übergewichtiger sowie der Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln in den Industrienationen andererseits23. Im Zuge dieser globalen vernetzten Probleme hat sich eine Ethik der Ernährung, die „Food Ethics“ etabliert. Wegen der globalen und langfristigen Auswirkungen unserer Ernährungsweise auf das Ökosystem, der Vielzahl der betroffenen Schutzgüter und der Komplexität der Problemzusammenhänge ist eine Reihe von Aspekten zu berücksichtigen, die im Folgenden dargestellt werden24. Die Matrix ist dem von Ben Mepham herausgegebenen Sammelband Food Ethics (1996 S.106)25 entnommen und wurde von mir ins Deutsche übersetzt. Ben Mepham hat diese Matrix in Anlehnung an die von Tom Beauchamp und James F. Childress vorgestellten vier Prinzipien der biomedizinischen Ethik26 entwickelt. Die Prinzipien der Medizinethik sind Respekt vor der Autonomie der Patient*innen, Nichtschädigung, Wohltun und Gerechtigkeit. In seinem Schema zeigt Mepham im Überblick die verschiedenen Schutzgüter, die von der Art und Weise menschlicher Ernährung betroffen sind und in einer Ethik der Ernährung zur berücksichtigen sind. Dies sind nichtmenschliche Lebewesen, Tiere und Pflanzen, die Biodiversität sowie zum anderen Produzent*innen und Konsument*innen.

    Bild1

    Diese Matrix eignet sich nicht nur zur Strukturierung des komplexen Problemfeldes, mit dem wir es bei der menschlichen Ernährung zu tun haben. Darüber hinaus regt sie dazu an, in ihrem Licht den menschlichen Umgang mit anderen Lebewesen selbstkritisch zu reflektieren und zu fragen, welche Konsequenzen dieser Umgang haben kann und wie wir ihn verbessern können.

    Die Welttierschutzgesellschaft e.V. (WTG) hat fünf international anerkannte Freiheiten der Tiere formuliert, die als Kriterien für weltweites Tierwohl gelten. Diese sind die Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung, die Freiheit von Unbehagen, die Freiheit von Schmerz, Verletzung und Krankheit, die Freiheit von Angst und Leiden und die Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens [27].

    In Brasilien, Argentinien und Paraguay werden riesige Flächen des Regenwaldes für den Anbau von Soja abgeholzt, das als Futter für die hiesigen Nutztiere dient. Ohne die große Nachfrage nach Fleisch und anderen Tierprodukten gäbe es keine Massentierhaltung. Diese beeinträchtigt nicht nur das Wohlergehen der Tiere selbst, sondern sie hat auch massive negative Auswirkungen auf Umwelt und Natur anderer Länder. So sind es letztlich die Konsument*innen und ihre Nachfrage nach Fleisch, welche die Massentierhaltung befördern und damit für die Zerstörung von Natur und Umwelt anderer Länder mitverantwortlich sind.

    Das Fazit meines Beitrags lautet, dass Alternativen zur Massentierhaltung dringend notwendig, ethisch geboten und realisierbar sind. Wir können und müssen unsere Ernährungsgewohnheiten ändern, und dies nicht nur aus tierethischen Gründen, sondern auch, weil wir Pflichten gegenüber unseren Mitmenschen auf anderen Kontinenten der Welt und ihrer Natur haben, welche durch unserer Ernährungsweise negativ betroffen sind. Dies ist ethisch nicht vertretbar.

     

     

    Fussnoten

    * Dieser Beitrag ist die gekürzte und stellenweise ergänzte Fassung meiner Publikation „Alternativen zur Massentierhaltung? Tierethische Anforderungen und Ethik der Ernährung“, die auf einem Vortrag beruht, den ich am 12. September 2020 im Hohenwart Forum Pforzheim auf der von Herrn Prof. Dr. Werner Zager veranstalteten Tagung „Albert Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben am Beispiel der artgerechten Tierhaltung und der ökologischen Landwirtschaft“ gehalten habe. Sie ist 2021 in dem von Werner Zager herausgegebenen gleichlautenden Sammelband zur Tagung, Leipzig 2021, S. 121-137, erschienen.

    [1] Roger J. Busch, Peter Kunzmann, Leben mit und von Tieren. Ethisches  Bewertungsmodell zur Tierhaltung in der Landwirtschaft, 2. überarb. und erw. Aufl. München 2006; Anton Hofreiter, Fleischfabrik Deutschland. Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können. München 2016; Cornelie Jäger, Die Sache mit dem Suppenhuhn. Wie landwirtschaftliche Tierhaltung endlich allen gerecht wird. Stuttgart 2018; EKD Evangelische Kirche in Deutschland,  Nutztier und Mitgeschöpf! Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus Evangelischer Sicht. September 2019, EKD-Texte 133; Deutscher Ethikrat, Tierwohlachtung – Zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren. Stellungnahme 16. Juni 2020; Deutsche Umwelthilfe e.V. und Global Nature Fund 1/2021.

    [2] Bündnis 90 Die Grünen, Landtag Thüringen https://www.gruene-thl.de/massentierhaltung/fakten/was-bedeutet-eigentlich-massentierhaltung; Hervorhebungen von Eve-Marie Engels

    [3] Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FIBL) https://www.fibl.org/de/;  https://www.gruene-thl.de/massentierhaltung/fakten/was-bedeutet-eigentlich-massentierhaltung Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde; Was bedeutet eigentlich Massentierhaltung?; Grüne Fraktion Thüringen (gruene-thl.de);| Hervorhebungen von Eve-Marie Engels.

    [4] Ebd.

    [5] Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) Vom 26. Juli 2002.

    [6] Ignaz Bregenzer: Thier-Ethik. Darstellung der sittlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen Mensch und Thier. Preisschrift. Herausgegeben von dem Verbande der Thierschutzvereine des Deutschen Reichs. Bamberg 1894.

    [7] Robert von Hippel: Die Tierquälerei in der Strafgesetzgebung des In- und Auslandes, historisch, dogmatisch und kritisch dargestellt, nebst Vorschlägen zur Abänderung des Reichsrechts. Berlin: Verlag von Otto Liebmann 1891. Andreas-Holger Maehle: Kritik und Verteidigung des Tierversuchs. Die Anfänge der Diskussion im 17. und 18. Jahrhundert. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1992.

    [8] Fritz Jahr „Wissenschaft vom Leben und Sittenlehre“, in: Die Mittelschule. Halle 1926, S. 604-605;  „Bio=Ethik. Eine Umschau über die ethischen Beziehungen des Menschen zu Tier und Pflanze“, in: Kosmos. Handweiser für Naturfreunde. Stuttgart 1927, S. 2-4.

    [9] Albert Schweitzer, „Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben“ (1923), in: Kulturphilosophie.  München: Beck 2007. S. 308

    [10] A.a.O. S. 313  

    [11] Albert Schweitzer: Aus meinem Leben und Denken. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1995, 5. Aufl. 2001, S.200.

    [12] Albert Schweitzer, „Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben“ (1923), in: Kulturphilosophie.  München: Beck 2007. S. 313

    [13] A.a.O. S. 318

    [14] Tierschutzgesetz vom 18. Juli 2016

    [15] Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere

    [16] Damit behaupte ich nicht, dass es hierfür in anderen Kontexten vernünftige Gründe gibt. Dies müsste für jeden einzelnen Kontext untersucht werden.

    [17] Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (WBA) 2015:  Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung.

    [18] Hanno Würbel „Biologische Grundlagen zum ethischen Tierschutz“, in: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Tierethik (Hrsg.): Tierrechte. Eine interdisziplinäre Herausforderung. Erlangen: Harald Fischer Verlag 2007.

    [19] Torsten Engelbrecht, Heinz Peter Studer: Fischzucht. fish-facts 7: 2010;

    http://www.fair-fish.ch/files/pdf/feedback/facts-7.pdf

    [20] Naturbewusstsein 2017 https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/naturbewusstseinsstudie_2017_de_bf.pdf  

    BMUB und BfN 2016, S. 70

    [21] ebd.

    [22] Umweltbundesamt: „Beitrag der Landwirtschaft zu den Treibhausgas-Emissionen“: https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/ abgerufen am 20.11.2021

    [23] Valentin Thurn: Taste the Waste. Deutscher Dokumentarfilm 2011; Valentin Thurn, Stefan Kreutzberger: Harte Kost. Wie unser Essen produziert wird – Auf der Suche nach Lösungen für die Ernährung der Welt. München: Ludwig Verlag, 2. Aufl. 2014.   

    [24] Verwiesen sei auch auf das umfangreiche Gutachten Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vom März 2015 und auf das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum der Bundesregierung. Als Überblick über die Thematik siehe Lieske Voget-Kleschin, Ulrich Hampicke „Landwirtschaft und Ernährung“, in: Konrad Ott, Jan Diercks, Lieske Vogel-Kleschin (Hg.): Handbuch Umweltethik. Stuttgart: J. B. Metzler 2016, S. 247-256.

    [25] Tom L. beauchamp, James Childress (eds): Principles of Biomedical Ethics. Fifth Edition Oxford:Oxford University Press 2001

    [26] Ben Mepham (Ed.): Food Ethics. London, New York 1996

    [27] https://welttierschutz.org/themen/tierwohl-in-die-agenda-2030/die-fuenf-freiheiten-der-tiere/