Warum brauchen wir Vertrauen?

Bernd Lahnos und Claudia Welz's Inputs zum Gedankenexperiment "Warum brauchen wir Vertrauen?", welches am 22. März im Schlachthaus Theater Bern mit Kindern und Erwachsenen diskutiert wurde.

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    Ein Gedankenexperiment

    Stelle dir vor, eine Zauberfee schenkt dir einen Ring, mit dem du dir jederzeit jeden Wunsch erfüllen kannst (oder alternativ für die etwas älteren Teilnehmenden: einen Ring, der dir (wie ‘der eine Ring’ bei Tolkien) absolute Macht über die Handlungen anderer Personen verleiht). 

    Wäre es dir in so einer Situation egal, ob du anderen Personen vertraust oder nicht? Kannst du dir eine Situation vorstellen, in der es dir nicht gefallen würde, dass die Person, mit der du es zu tun hast, eine Person ist, der du nicht vertraust, auch wenn dir daraus kein Nachteil erwächst und du auch keine Gefahren zu befürchten hast? (Gedankenexperiment von Christian Budnik)

     

    Der Kommentar von Bernd Lahno

    Ich teile einen Traum mit meinem Freund: wir wollen gemeinsam ein kleines Restaurant eröffnen. Mein Freund ist ein begnadeter Koch, aber er kann kein Geschäft führen. Ich bin eigentlich Geschäftsmann, kann allenfalls für den Hausgebrauch kochen. Nun wird uns das Traumobjekt in bester Lage zur Übernahme angeboten. Voller Freude vereinbaren wir, dass ich mich um das Geschäftliche — den Übernahmevertrag, die Finanzierung Behördengänge etc. — kümmere, und er seine Anstellung bei seinem gegenwärtigen Arbeitgeber kündigt und ein kulinarisches Konzept für unser Restaurant entwirft.

    Weil wir einander vertrauen, können wir Ziele erreichen und Dinge tun, die uns ansonsten nicht oder nur zu großen Kosten offen stehen. Das ist der instrumentelle Wert des Vertrauens. Würden wir Vertrauen nur wegen seines instrumentellen Wertes schätzen, sollte es uns egal sein, wenn wir einer Person nicht vertrauen können, die Verwirklichung unsere Ziele jedoch gleichwohl ohne zusätzliche Kosten auf anderem Wege — etwa mit Hilfe eines Zauberrings — sicherstellen können.

    Spinnen wir die Eingangsgeschichte etwas weiter. Stellen Sie sich vor, ich erfahre, dass mein Freund seine Stelle nicht, wie er mir versicherte, gekündigt hat, sondern die Situation nutzt, um Verhandlungen über einen Wechsel als Küchenchef in das Nobelrestaurant des Arbeitgebers zu führen. Mein Traum platzt. Ich kann meinem vermeintlichen Freund nicht vertrauen. Ich schreibe meine Investitionen ab und stoppe das Projekt, um weiteren Schaden abzuwenden.

    Wenn ich aber einen Wunschring besäße, könnte ich das Projekt immer noch sicherstellen. Ich könnte z.B. bewirken, dass der Arbeitgeber den Freund entlässt, statt ihn zu befördern. Der wäre nun auf ein Gelingen des Projektes angewiesen und alles liefe wie geplant.

    Aber, auch wenn ich die vorteilhaften Aussichten des Projektes in dieser Weise aufrecht erhalten könnte, erlitte ich doch einen wesentlichen Verlust. Das mag man schon daran erkennen, dass sich meine Freude an dem Projekt sicher erheblich vermindern würde. Mit dem Verlust des Vertrauens ist mehr verbunden als der — hier ausgeglichene — Verlust der vorteilhaften Aussichten kooperativer Unternehmungen. Meine Beziehung zu dem vermeintlichen Freund hätte entscheidenden Schaden genommen. Und das Projekt wäre auch nicht mehr in der gleichen Weise unsere gemeinsames Projekt.

    Folgt man Aristoteles, so sind Freundschaften und die Möglichkeit, sein Leben mit anderen zu führen, wesentlicher und notwendiger Teil eines guten Lebens. Vertrauen ist integraler Bestandteil von Freundschaften und jeder Unternehmung, die man im eigentlichen Sinne 'gemeinsam' nennen kann. Darin besteht sein intrinsischer Wert jenseits jedes instrumentellen Nutzens.

    Anmerkung: Wunschringe werden allgemein überschätzt. Einige Wünsche können sie prinzipiell nicht erfüllen, z.B. dass eine Person (auch der Wünschende selbst) aus sich heraus um der richtigen Gründe willen in einer bestimmten Weise handelt, dass sie eine bestimmte Person ist. Das kann nur die Person selbst hervorbringen.

     

    Der Kommentar von Claudia Walzer

    Das Gedankenexperiment impliziert die Vermutung, dass wechselseitiges Vertrauen vor allem deshalb relevant und förderlich ist, weil wir verletzliche Menschen sind, die auf die Hilfe anderer Menschen und die Zusammenarbeit mit ihnen angewiesen bleiben, um (über)leben zu können. Auf dieser Grundlage fragt es sich, ob Vertrauen darüber hinaus einen ‚Mehrwert‘ für uns hat: Wollten wir einander auch dann vertrauen, wenn wir einander in lebenswichtigen Angelegenheiten nicht mehr im selben Maße ausgeliefert wären wie wir es jetzt sind, und zwar von der Wiege bis zur Bahre?

     

    Mir kommen viele Situationen in den Sinn, in denen ich auf den genannten Zauberring gern verzichten würde. Insbesondere die mir nahestehenden Menschen möchte ich nicht erst mit einem Ring manipulieren müssen, um sicher sein zu können, dass sie meine Schwächen nicht ausnutzen, dass sie privateste Dinge, die ich ihnen ‚im Vertrauen‘ erzählt habe, nicht weitergeben oder gar hinter meinem Rücken gegen mich intrigieren. Wir alle wissen, dass derlei leider nicht auszuschließen ist, wenn intime Beziehungen zerbrechen, wenn Freundschaft sich in Feindschaft verkehrt oder Kollegen zu rücksichtslosen Konkurrenten werden. Wenn unser Vertrauen in solchen Zusammenhängen enttäuscht wird, ist dies nicht nur schmerzlich; es kann durch nichts ersetzt werden, durch keine Kontrollinstanz dieser Welt und auch durch keine erdenkliche Zauberkraft, welche die üblen Folgen des Vertrauensbruchs wieder ins Positive wenden würde.

     

    Denn das, was in solchen Fällen verloren geht, ist nicht nur unser Vertrauen, das ja als blindes oder naives Vertrauen durchaus problematisch sein kann, sondern auch das, worin jedes ‚berechtigte‘ Vertrauen gründet: die Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers. Ich stimme der britischen Philosophin Onora O’Neill zu in ihrer Betonung der trustworthiness – und zwar aus dem folgenden Grund: Allein hier haben wir Handlungsmöglichkeiten. Wir können es nicht verhindern, dass andere unser Vertrauen missbrauchen; aber wir können an uns selber arbeiten und dadurch verhindern, dass wir das Vertrauen, das andere in uns gesetzt haben, missbrauchen.

     

    Man könnte einwenden, dass wir fehlbare Menschen sind und deshalb nicht einmal uns selbst hundert Prozent vertrauen können. Werden wir uns des Vertrauens würdig erweisen, das uns entgegengebracht wird? Wir wissen es nicht im Voraus, sondern erst dann, wenn wir in Versuchung geführt werden und ihr entweder widerstehen oder ihr erliegen. Eins aber ist sicher: Keiner von uns wollte leben in einer Welt, in der man niemandem mehr vertrauen kann. Denn selbst wenn keine Gefahr für Leib und Leben bestünde, veränderte sich unser Zusammenleben in einer Weise, die uns die Freude an unserem Dasein vergällte. Wenn wir meinten, aufgrund zureichender Selbstsicherung ganz auf Vertrauen verzichten zu können, würden wir vermutlich auch unsere eigene Vertrauenswürdigkeit nicht mehr kultivieren, und dies wäre eine Verarmung an jener Bildung, die Herzensbildung ist und uns dazu befähigt, jenes unsichtbare Gut zu bewahren, das ‚zwischen uns‘ das Kostbarste und zugleich Zerbrechlichste ist.

     

    Bei aller Zurückhaltung gegenüber einer quantifizierenden Betrachtung von Vertrauen muss doch konstatiert werden, dass eine Verringerung des Vertrauens einer Gesellschaft erhöhte Kosten für Kompensationsmaßnahmen aufbürdet, z.B. Extra-Ausgaben für die Rechts- und Polizeigewalt zur Lösung eskalierender Konflikte, aber auch für die Pflege all derer, die krank werden in einem sozialen Klima, das von shit storms, Mobbing und Misstrauen geprägt ist.

     

    Was also können wir tun, damit das zwischenmenschliche Vertrauen wächst und wir ohne Zauberring auskommen können? Vertrauen als social capital (Robert D. Putnam) ist eine ‚Ressource‘, die sich durch reichlichen Gebrauch nicht vermindert, sondern vermehrt. Dies gilt zumindest so lange, als die ‚Währung‘ des Vertrauens durch die Vertrauenswürdigkeit derer, denen Vertrauen geschenkt wird, gedeckt ist. Und dazu können wir glücklicherweise alle beitragen.