Und Nietzsche sang.

Was heißt es eigentlich über Musik zu sprechen? Was ist Musik? Was kann Musik?

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    Und will mir auch kein Lied gelingen [,]

    Wozu die Muse mir den Schwung verleiht [,]

    So tragen dennoch der Begeistrung Schwingen

    Mich über diese kurze Erdenzeit.1

     

     

    Was heißt es eigentlich über Musik zu sprechen? Was ist Musik? Was kann Musik?

     

    In der folgenden Arbeit soll sich die Frage gestellt werden, welchen Bedeutungsaspekt Musik für den Denker, Komponist und Musikliebhaber Friedrich Nietzsche hatte.

    Nietzsches Also Sprach Zarathustra ist eine Schrift, die der gängigen Form der Philosophie als Abstraktion widerspricht und eine fiktive Erzählung eines scheiternden Propheten darstellt. Deswegen lese ich ihn. Deswegen gefällt er mir so gut - Scheinbare Grenzen werden überschritten. Es ist nicht mehr eindeutig, wo Philosophie beginnt, wo Lyrik endet. Der Stil ist kein analytischer Stil, der in klassischer Sachliteratur der Philosophie zu finden ist. Nietzsche will nicht, dass Zarathustra „nur“ gelesen wird, sondern dass er gehört wird. Zarathustra singt. Er antwortet nicht auf die Frage nach dem Sinn des Lebens oder auf die Frage nach der Wahrheit. Er beobachtet singend und singt beobachtend.

    Mag Nietzsche mit seinem Werk vielleicht keine eindeutig zu fassende Antwort auf eine philosophische Fragestellung geben, so verzaubert er doch mit seinem Werk und fordert uns immer wieder auf selbst zu denken und das schöne verzaubernde Kleine und Große niemals aus den Augen zu verlieren.

     

    Und Zarathustra singt

    Mit unseren Worten der

    Gesprochenen Sprache.

     

    Was ist Musik?

     

    Während ich mir die Frage stelle, was Nietzsche unter dem Wort Musik überhaupt versteht und wie verbunden sein Musikverständnis mit seiner Philosophie ist, will ich erfahren, was es mit dem Begriff der Musik, die uns doch so unglaublich alltäglich erscheint, auf sich hat.

    Die Frage nach dem Wesen und der Bedeutung von Musik, ist bereits in den griechischen Mythen, darunter dem Mythos des Orpheus, Sohn des Dionysos, beschrieben worden. Sie wird in zumeist allen Epochen gedanklich untersucht und bietet für die westliche Philosophie ein großes Faszinosum, welches im Bereich der Musikästhetik versucht worden ist zu klären. Spätestens durch Baumgarten wird im 18. Jahrhundert, durch die Etablierung des Wortes Ästhetik, eine Etablierung des Begriffes Musikästhetik stattfinden.2

    Nietzsche betreibt eine Musikphilosophie, die sich von einer Musikästhetik aus musiktheoretischer Perspektive nicht trennen lässt.3 Während er das Wesen der Musik erfragt, bezieht er sich in seiner Schrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik auf konkrete Musikstücke wie die Werke Bachs, Palästrinas oder später die Werke von Bizet. Nietzsche stellt neue Fragen und verbindet, etwas bis dahin strikt Getrenntes: Er verbindet die ontologische Fragestellung nach dem Wesen der Musik mit einer musiktheorischen Frage nach der Umsetzung von Musik als Musik. Dabei kann Musik nicht mehr Kontext unabhängig begriffen werden, denn nicht nur das Wesen oder die Idee dahinter scheinen Grundlage zu sein, sondern auch die praktischen Musikstücke, die mit ihren Instrumenten, mit ihrem Klang, mit ihren Interpreten immer notwendig an einen Kontext gebunden waren und auch heute noch sind. Es würde passen und vieles dafürsprechen, sollte Nietzsche nun auch gegen eine kontextunabhängige Interpretation und Betrachtung der Musik gewesen sein. Ich - jedenfalls - gehe davon aus, dass der Begriff Musik notwendig kontextabhängig erklärt werden muss.

    Ich verstehe Musik in Betrachtung der Gedanken des Philosophen Friedrich Nietzsche als Kommunikationsmittel. Es steht außer Frage, ob es gegenüber der Sprache als Kommunikationsmittel untersucht oder bemessen werden soll. Allein der Gedanke, dass Musik uns Menschen miteinander kommunizieren lässt, bringt – jedenfalls mich – zum Staunen.

    Musik soll Nietzsche helfen eine Bildlichkeit der Natur zu erreichen. Diese Bildlichkeit der Natur ist nicht mehr Abbild der Natur und nicht mehr mittelbar.

     

     

    Wichtige Einflüsse für Friedrich Nietzsche

     

    Die drei wichtigsten Einflüsse für Nietzsches Gedanken zur Musik waren die Antike, die Gedanken Wagners und die Philosophie Schopenhauers.

    Nietzsche bevorzugt in seinen anderen Schriften die vorsokratische Philosophie.4 Ich tue das auch. Sie ist freier, gelöster von Dogmen und vor allem ist sie nicht zentralistisch, nicht anthroposophisch. Sie birgt mehr Geheimnisse und mehr Forscherdrang. Zurück zu Nietzsche: Besonders in seinem Werk Dionysos-Dythiramben zeigt sich die Abkehr des rationalen und normativen Verständnisses für Musik - durch Platon und Aristoteles geprägt - und die Hinwendung zum Mythos des Dionysos-Kultes. Der Mythos des Orpheus´ und Pindars olympische Ode sind dabei besonders lesenswert. So gilt Orpheus als Reformer des Dionysos - Kultes. Orpheus verdeutlicht die Machtwirkung der Musik, die keiner höheren Ethik zugrunde liegt. Die Ode Pindars ist insofern interessant, als dass diese Chorlyrik das vereint, was Nietzsche, später durch Wagner beeinflusst, vereinen will – Wort, Musik und Tanz. Das altgriechische Adjektiv musikós von mousa erscheint in der weiblichen Form in Pindars Olympischer Ode. Dabei sind die Dichtungen in der Zeit Pindars und Bakchylides geprägt von einer Chorlyrik die sowohl Wort, Musik, Geste als auch Tanz verbindet. Die Verbindung der Künste Tanz, Dichtung und Rhythmus versteht sich in den Schriften von Platon (Politea) und denen des Aristoteles vor allem als Weg einer Harmonie, einem Konzept, dass versucht ist mithilfe der Musik eine Ordnung des Kosmos herzustellen.

     

    Die Betrachtung der Musik findet sich bei Schopenhauer in seiner Philosophie Die Welt als Wille und Vorstellung. In seiner später verfassten Schrift Die Welt als Vorstellung folgt ein Kapitel „Metaphysik der Musik.“ Darin räumt Schopenhauer der Musik den größten Platz ein. Musik, als die größte aller Künste, ist der Welt als Wille zuzuordnen. Für Schopenhauer lässt die Kunst den Menschen von seiner Lebensverneinung der Welt entfliehen. Sie dient als Beruhigungsmittel, als „Quietiv des Willens.“ Die Kunst schafft ein Schauspiel, welches frei von Leiden des Lebens ist. Innerhalb der Kunst nimmt die Musik eine besondere Stellung ein. Sie zeigt unmittelbar, ohne Begriffe die Welt des Willens, die Innenwelt, das An-sich der Welt.

     

    So gewiß die Musik, weit entfernt eine bloße Nachhülfe der Poesie zu seyn, eine selbstständige Kunst, ja die mächtigste unter allen ist und daher ihre Zwecke ganz aus eigenen Mitteln erreicht; [...] Die Musik als solche kennt allein die Töne, nicht aber die Ursachen, welche diese hervorbringen.5

     

    Richard Wagner spielt für Nietzsche ein besonders spannungsgeladenes Verhältnis. In Wagners Schriften zeigt sich der Einfluss Hegels und Schopenhauers und der Einfluss der attischen Trägodie. Bekannt wird Wagner durch seine Schriften Das Kunstwerk der Zukunft und Oper und Drama und seinem von ihm darin geprägten Begriff des Gesamtkunstwerkes, indem er sich von Teilen der attischen Tragödie, wie die Trennung von Raum und Zeit distanziert. Wagner fasziniert wie später Nietzsche, die in der attischen Trägodie stattfindende Einheit von „Mythos, Handlung, szenischer Präsentation des Dramas und musikalischer Umsetzung“.6

     

    Und was singt nun Nietzsches Figur des Zarathustra? Warum ist gerade dieses Werk besonders interessant für die Auseinandersetzung mit Musik?

    Nietzsches Also sprach Zarathustra kann nicht eindeutig zugeordnet werden. Es kann als Lehrgedicht, als Gedicht, als Roman, als Tragödie, als Parodie an die vier Evangelien und der Lehre Jesus, aber auch als Symphonie betrachtet werden.7 Dabei ist gerade diese Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuordnung das Ziel von Friedrich Nietzsche. Das Werk besteht aus vier Teilen, wie der Aufbau einer klassischen Symphonie und wurde 1886 veröffentlicht. Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle oder keinen zählt zu Nietzsches Spätwerken. Entstanden sind alle Teile im November 1882 bis 1885, erstveröffentlicht im Jahr 1891 und damit deutlich nach der Zeit der Geburt der Tragödie. Die Hauptthemen des Zarathustra sind der Wille zur Macht und die These der ewigen Wiederkunft des Gleichen. Darin zeigen sich weitere zentrale Themen wie die Metaphorik des Übermenschen, indem Zarathustra den Menschen als Brückenfunktion zwischen Tier und Übermensch erachtet, die Überwindung des Logozentrismus, das Starkmachen des Gottes Dionysos. Der Übermensch dient als Metapher der Selbstüberwindung und dem Willen zum Selbst. Dieser Wille zum Selbst ist die Bedingung für das Schaffen des Künstlers. Zugleich fordert Nietzsche den Menschen auf, die Metaphysik zu überwinden und das Leben nicht zu verneinen. Der Hauptcharakter Zarathustra kann als scheiternder Prophet gesehen werden, welcher zu den Menschen herabsteigt, um diese zum Übermenschen zu erhöhen.

    Der Stil des Zarathustra folgt einem performativen Denken. Nietzsche selbst beschreibt seinen Stil als halkyonisch. Innerhalb seines Werkes ist Zarathustra mit dem Problem der Übermittelbarkeit seiner Lehren aufgrund dieses Stiles konfrontiert. Er findet keine Kommunikationsebene, die Menschen verstehen, sodass er seine Lehren nicht weitergeben kann und am Ende scheitern wird. Während Zarathustra die Lieder singt, hört der Mensch die Töne nicht und bleibt an der Kommunikation der Sprache stecken. Zarathustra ist zu früh und der Mensch noch nicht bereit für diese neue Sprache.

    Besonders wichtigen Stellenwert nehmen dabei die antiken Götter Dionysos und Apollo - oder auch Apollon genannt - ein. Das Auftauchen des Dualismus zwischen Dionysos und Apollo sind von Nietzsche nichts neu Entdecktes, man lese nur die Grundkonzepte von Anselm Feuerbach und Ferdinand Lasalle über die Duplizität von Dionysos und Apollo.

    Apollo- Ἀπόλλων - ist der griechische Gott für Licht, Heilung, Frühling und der Gott der Künste, besonders der Gott der Ästhetik - wörtlich übersetzt Nicht- Viele - A-pollon.

    Dionysos - Διόνυσος - auch genannt Bacchus, Bromios, oder Bakchos, der griechische Gott des Weines symbolisiert das rauschhafte, instinkthafte, formsprengende Element.8 Dionysos symbolisiert den Gott der Verbindung und der durch den Rausch entstehenden Auflösung der Individuation und des Subjektes. Diese Auflösung des Subjekts wird in Also sprach Zarathustra mit der Überwindung des Menschen zum Übermenschen verlangt. Nietzsche fasziniert in der griechischen Chorlyrik im Umkreis des Dionysos-Kultes insbesondere das Maskenspiel, als Teil der Selbstauflösung. Dionysos ist der Gott der Maske - der De-Identifikation.

     

    Der Philosoph als Künstler. Dionysos.9

     

    Und wie wird Musik verwendet? Für Nietzsche spielen die Bewegung des Tanzes, der Rhythmus und das Wort eine zentrale Rolle.10 Der Rhythmus ist in der griechischen Chorlyrik ein zentrales Moment. Er ist für Nietzsche vor dem Wort - woraus sich die Melodie entwickelt - zu finden. In seiner Philosophie verwendet Nietzsche den Begriff des organischen Rhythmus, der als der große Rhythmus des Lebens zu verstehen ist. Er versteht also das Leben als einen Rhythmus.

     

    Wenn wir über unser Leben nachdenken, sollten wir vielleicht versuchen zu hören, welche Takte zu unseren Bewegungen passen und wie wir sie mit anderen neuen Strophen erweitern können.

     

    Die Kunst des grossen Rhythmus, der grosse Stil [...] Leidenschaft ist erst von mir entdeckt; mit einem Dithyrambus wie dem letzten des dritten Zarathustra, „die sieben Siegel“ überschrieben, flog ich tausend Meilen über das hinaus, was bisher Poesie hiess.11

     

    Und neben dem Rhythmus, der unser Leben einen Takt gibt, hat das Denken über die Welt immer etwas mit dem Tanz zu tun. Der Rhythmus lässt uns – wollen wir ihn denn hören – tanzen.

     

    Tanz mit mir

    Für dich zusammen.

    Tanz entlang dem Regen

    Tanz entgegen der Reden

     

    Immer weiter solange du

    Den Rhythmus deiner

    Lebensmelodie erhörst.

     

    Die Musik, Tanz, Lyrik ist die dionysische Symbolik, aus der die Vision geboren wird.“12 Nietzsche bezeichnet in einen Brief an Erwin Rohde 1884 seinen Stil als Tanz. Dieser Stil verhilft Nietzsche Freude an der Sprache. Der Stil soll gesungen und getanzt werden. Zarathustra symbolisiert einen Tänzer.13 Dabei zeigt sich sehr deutlich, das von ihm geforderte dionysische Element des Spiels.14 Der Tanz ist eine Folge des Dionysos-Kultes.

     

    Zwischen Musik und Sprache ist eine Verbindung möglich, die wirklich organisch ist: im Lied.“ 15

     

    Nietzsche wählt das Motiv der Lieder, um seinen halkyonischen Stil zu verdeutlichen. Die Verwendung der Lieder soll diese veränderte Art der Philosophie und Lehre deutlich machen. Das Lied dient als Symbol.16 Gleich zu Beginn des Zarathustra verkündet dieser die Lieder, welche er den Einsiedlern und den Zweisiedlern vorsingen wird. Der Prophet Zarathustra wird die Musik als Kommunikationsmittel verwenden und dabei Lieder singen.17

     

    Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. [...] Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.18

     

    Nietzsche beschreibt in diesem Lied den Wechsel zwischen Nacht und Licht und spielt auf den Wechsel zwischen Apollo, als Gott des Lichtes und Dionysos, als Gott der Nacht an. Das Nachtlied soll als Hommage an die Nacht und als Abwendung des Tages gesehen werden. In der Nacht wird gesungen, am Tag gesprochen. Zarathustra kann die Liebe, die er in sich trägt nicht weitergeben, er lebt „in seinem eigenen Lichte“.19 Das Nachtlied wendet sich vom Leben ab. Zarathustra will in die Nacht eintauchen, wird - da er „von Licht umgeben ist“ - daran gehindert und verfällt in Einsamkeit. Das Nachtlied ist ein Lied von Paradoxien. Es zeigt ein Wesen, dass das, was es zu diesem Zeitpunkt hat, noch haben will. Das Nachtlied zeigt ein Wesen, dass sich auf die Ebene des allgemeinen Menschen herabsetzen will, um das Leben zu bejahen und nicht der Weisheit überdrüssig sein zu müssen. Diese Einsamkeit wird in der musikalischen Kommunikation verstärkt. Zarathustra kann sein Leiden in Form des Liedes zeigen, das wiederrum vom Menschen nicht verstanden werden kann. Das gesamte Nachtlied wird in seinem vierten Buch als vorletztes Kapitel ganz aufgegriffen.

     

    Oh Mensch! Giebt Acht!

    Was spricht die tiefe Mitternacht?

    Ich schlief, ich schlief -,

    Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -

    Die Welt ist tief,

    Und tiefer als der Tag gedacht.

    Tief ist ihr Weh-,

    Lust – tiefer noch als Herzeleid:

    Weh spricht: Vergeh!

    Doch alle Lust will Ewigkeit-,

    -will tiefe, tiefe Ewigkeit!“20

     

    In diesem Lied, zeigen sich wichtige Motive und vor allem Wechselwirkungen. Zunächst wird das halkyonisches Schreiben verwendet. Nietzsche besingt den Menschen in der Nacht. Die Nacht, als Symbol des Dionysos ist es, welche Nietzsches innere Seele singen lässt. Die Tiefe der Welt, stellt den Schwermut des Geistes, der Menschen dar, die weise sein wollen und sich dem Leben nicht bejahend, sondern verneinend verschreiben. Zarathustra steht in Wechselbeziehung zwischen der Tiefe seines Wissens und der Höhe aus der er kommt. Die Welt steht in einem Wechselspiel zu diesem. Zarathustra geht als einsamer Mensch zu den Menschen vom Berge herab, um sie zu erhöhen. Der höhere Mensch, an dem er noch Hoffnung hegt, soll auf die Tiefe Acht geben und sich vom Dogmatismus nicht fangen lassen. Doch ist es am Ende nicht genug und Zarathustra wird scheitern. Ein weiteres wichtiges Motiv ist die ewige Wiederkehr eines dionysischen Weltbildes, was sich in den letzten Versen „Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit-, will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ deutlich zeigt. Doch diese Ewigkeit hat der Mensch noch nicht erreicht. „Ihr flogt nicht hoch genug.“21

    Das Nachtlied und das Grablied zeigen einen traurigen Zarathustra, dessen dionysischer Gott weit entfernt liegt. So heißt es zu Beginn des Grabliedes, „Dort ist die Gräberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Gräber meiner Jugend. Dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens tragen.“22 Es singt das scheinbar einsamste Wesen der Welt. Zarathustra singt traurig über den Verlust der Leichtigkeit, der Bejahung des Lebens. Er beklagt in diesem Grablied den Geist der Schwere, den menschlichen Drang Ratio als Wissenserweiterung zu nutzen, den apollinischen Gott, der nicht mehr in Einklang zu Dionysos steht, sondern dessen Leichtigkeit und Lebensbejahung verhindert und bald auch tötet. Der Tanz als zentrales Element dieser Leichtigkeit und für Zarathustra auch als Mittel zu höheren Dingen wurde von diesem Wesen zerstört. Nun ist es Zarathustra, der Kraft dieser Einsamkeit seinen Willen zum Selbst erzeugt.

     

    Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger. [...] Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer: Heil dir, mein Will! Und nur wo Gräber sind, giebt es Auferstehungen. Also sang Zarathustra.-23

     

    Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Mädchen! Kein Spielverderber kam zu euch mit bösem Blick, kein Mädchen - Feind.“24 Das Tanzlied endet mit Also sprach Zarathustra. Es handelt von Zarathustra, wie er ein Tanz und Spottlied jungen Mädchen vorsingt. Er spottet über den von ihm so sehr gehassten Geist der Schwere.25 Zarathustra führt einen Dialog mit dem Leben und der Weisheit.

     

    So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund auf liebe ich nur das Leben – und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse! Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an das Leben!26

     

    In diesem Lied zeigt sich erneut, das Motiv des Tanzes und das Motiv der Maske, welches als Symbol des Gottes Dionysos gelten soll. In einem kurzen Moment erfreut sich Zarathustra, indem er glaubt, diese Menschen zu erkennen. Doch der Tanz wird beendet und somit auch die Erkenntnis gestoppt.

     

    Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst noch, Zarathustra? Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu leben? - Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine Traurigkeit! Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!27

     

     

    Und nun?

     

    In Anbetracht dieser Arbeit lässt sich keine eindeutige Antwort auf die Frage der Musikphilosophie bei Friedrich Nietzsche finden. Wie zu Beginn erwähnt, soll dies allerdings nicht der Fokus meiner Arbeit gewesen sein. Im Gegenteil, Nietzsches Stil des performativen Denkens und des halkyonischen Schreibens liefert in seinem Zarathustra ein Werk, welches die Frage ins Zentrum des Geschehens stellt und nicht, wie für die Philosophie typisch, eine wissenschaftliche Antwort der Wahrheitsfindung fordert. Es bleibt offen, ob man diese fiktive Geschichte als Philosophie zu sehen vermag oder nicht. Feststeht, dass Nietzsche ein Werk schafft, welches sich von der bisherigen Art des Denkens löst und den Leser in eben diese Art des Denkens führt. Die Frage, was Musik für Friedrich Nietzsche ist, kann in dieser Schrift nicht beantwortet werden, aber gehört und gelesen werden. Musik wird als neue Kommunikation verwendet. Zarathustra singt zu den Menschen und scheitert, weil sie seine Worte noch als Sprache und nicht als Lieder aufzufassen vermögen. Der ganze Zarathustra kann als Lied gesehen werden, oder wie es Nietzsche selbst schreibt, als Symphonie.

     

     

    Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang! Singt mir nun selber das Lied, dass Name ist “Noch ein Mal“, dessen Sinn ist „in alle Ewigkeit“, singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra´s Rundgesang!28

     

     

     

    Literatur und Literaturhinweise

     

    Nietzsche

    Colli, Giorgio; Montinari, Mazzimo (Hrsg.) (1986): Nietzsche Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden (KSA). München.

    Colli, Giorgio; Montinari, Mazzimo (Hrsg.) (2009): Friedrich Nietzsche. Digitale Kritische Gesamtausgabe Werke und Briefe (eKGWB), in: http://www.nietzschesource.org/#eKGWB.

    Nietzsche, Friedrich (EA 1981/ 2012): Also sprach Zarathustra. Stuttgart.



    Zusätzliches Lesenswertes

    Baumgarten, Alexander Gottlieb (1750-1758): Aestethica, in: Dagmar Mirbach (2007) (Hrsg.): Ästhetik. Lateinisch-deutsch. Hamburg.

    Celestini, Federico (2016): Nietzsches Musikphilosophie. Paderborn.

    Deleuze, Gilles (EA 1962/ 2002): Nietzsche et la philosophie, deutsch: Nietzsche und die Philosophie (übers.: Bernd Schwibs) Hamburg.

     

    Deleuze, Gilles; Guatarri, Félix (1972): L'Anti-Œdipe. Paris.

     

    Heit, Helmut (2010): Vom Mythos zum Logos. Ein Methodenwandel?, in: Kremberg, Bettina; Totzke, Rainer (Hrsg.): Sprache-Kultur – Darstellungs-formen. Methodenprobleme in der Philosophie, in: Institut für Philosophie der Universität Leipzig (Hrsg.): Leipziger Schriften, Band 21. Leipzig, S. 219-240.

    Hindrichs, Gunnar (EA 2014/ 2015): Die Autonomie des Klangs. Eine Philosophie der Musik. Berlin.2

    Janz, Curt Paul (1978a): Friedrich Nietzsche. Biographie, Band 1-3 München. Janz, Curt Paul (1978b): Friedrich Nietzsche. Biographie, Band 2. München.

    Luckner, Andreas (2007): Musik - Sprache- Rhythmus. Bemerkungen zu Grundfragen der Musikphilosophie, in: Ulrich Tadday (Hrsg.): Musik- Konzepte. Musikphilosophie. München, S. 34-49.

    Meier, Heinrich (2017): Was ist Nietzsches Zarathustra. Eine philosophische Auseinandersetzung. München.

    Meyer, Theo (1993): Nietzsche und die Kunst. Tübingen.Perrakis, Manos (2008): Nietzsches Musikästhetik der Affekte, in: Volker Gerhardt, Renate Reschke (Hrsg.): Jahrbuch der Nietzsche-Gesellschaft, Band 15. Friedrich Nietzsche-Geschichte, Affekte, Medien. BerlinPlaton: Politea, übers. und hrsg. von Karl Vretska. Stuttgart. 2000.

    Schopenhauer, Arthur (EA 1988/ 2006): Die Welt als Wille und Vorstellung 2. Frankfurt am Main.

    Von Ammon, Frieder; Böhm, Elizabeth (Hrsg.) (2011): Texte zur Musikästhetik. Stuttgart.

    Wagner, Richard (EA 1852/ 1984): Oper und Drama, Kropfinger, Klaus (Hrsg.) Stuttgart, S. 356-365.

    Internetquellen

    http://www.f-nietzsche.de/musik.htm http://www.nietzschesource.org/#eKGWB.

    1 Friedrich Nietzsche, KSG Colli, Berlin, I, 2, S. 26, 4 [31].

    2 Vgl. Baumgarten 2007.

    3 Vgl. Hindrichs 2015.

    4 Vgl. Heit 2010.

    5 Schopenhauer EA 1988/ 2006, S. 521.

    6 Böhm 2011, S. 176.

    7 Vgl. Maier 2016, S. 14.

    8 Vgl. Janz 1987, S. 77.

    9 Nietzsche, ekGWB/ NF-1885,34[201].

    10 Celestini 2016, S. 21.

    11 Nietzsche, eKGWB, EH -4, § 4, in: http://www.nietzschesource.org/#.

    12 Nietzsche, eKGWB/ NF-1870,8[7], in: http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/NF-1870,8 [7].

    13 Nietzsche, eKGWB/ EH-ZA-6.

    14 Vgl. Wakkonig 2011, S. 53.

    15Nietzsche, eKGWB/NF 1874,32 [27]. In: http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/NF-1874,32[27].

    16 Vgl. Nietzsche, eKGWB/ NF-1871,12[1].

    17 Vgl. Nietzsche, eKGWB/ Za-I-Vorrede-9.

    18 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 108.

    19 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 108.

    20 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 341.

    21 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 337.

    22 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 112.

    23 Nietzsche EA 1891/ 2012, S.115.

    24 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 110.

    25 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 112.

    26 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 111.

    27 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 112.

    28 Nietzsche EA 1891/ 2012, S. 341.