Macht Philosophie glücklich?

Es kommt drauf an, ob man Philosophieren als Tätigkeit derjenigen versteht, die dafür bezahlt werden, oder als Tätigkeit all jener, die auf ein philosophisches Problem gestossen sind und es zu lösen versuchen.

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    Christoph Henning von der Universität St. Gallen beantwortet die Frage: Macht Philosophie glücklich?  (Artikel online)

     

    Es kommt drauf an, ob man Philosophieren als Tätigkeit derjenigen versteht, die dafür bezahlt werden, oder als Tätigkeit all jener, die auf ein philosophisches Problem gestossen sind und es zu lösen versuchen.

    Als bezahlte Arbeit ist das Philosophieren mit anderen Arbeiten vergleichbar: Sie macht dann unglücklich, wenn man sich ständig gegen Kollegen und Vorgesetzte durchsetzen muss oder durch zu viele Aufgaben überfordert ist. Doch freilich kann es Freude machen, geistige Prozesse bei sich selbst und anderen reifen zu sehen – und dafür auch noch bezahlt zu werden. Allerdings ist die Arbeit von bezahlten Philosophen keineswegs dieselbe wie die Grübelei an philosophischen Problemen, die auch andere Menschen betreiben können (und Akademiker durch ihr Bescheidwissen oft verlernen).

    Die akademische Philosophie ist in den letzten Jahren immer technischer und bedingt durch bürokratische Überwachung vonseiten der Politik und Verwaltung immer Output-orientierter geworden. Sie arbeitet daher oft an Themen, die für die übrigen Menschen kaum mehr Relevanz haben, und veröffentlicht Dinge, die des Lesens teilweise gar nicht mehr wert sind. Leider hat sie dadurch an Einfluss verloren.

    Persönliches Philosophieren

    Beim Philosophieren, für das man nicht bezahlt wird, ist erneut zu unterscheiden zwischen der Arbeit an Problemen, die mit einem selbst zu tun haben, und solchen, die es draussen in der Welt «wirklich» gibt. Philosophieren kann helfen, ein eigenes Unglück besser zu verarbeiten, da man lernt, sich und seine Situation durch die Beschäftigung mit Philosophie aus der Distanz zu sehen. Dabei kann man zu Einsichten kommen, die für die Situation klärend sind oder zumindest einiges relativieren.

    Allerdings: Ständig über sich selbst nachzudenken (nach dem Motto: Guten Tag, wie geht es mir heute?), das ist kein ausreichender Inhalt für die Philosophie – selbst wenn es Werke gibt, die eine permanente Selbstbespiegelung ihrer Verfasser dokumentieren. Solche Autoren sind vielleicht «glücklich», weil sie ihrer narzisstischen Neigung nachgehen dürfen, aber sie sind dies nicht durch die Philosophie, sondern eher dadurch, sich selbst einmal wieder gedruckt zu sehen.

    Kann man aber über Dinge philosophieren, die nicht aus unmittelbaren persönlichen Angelegenheiten stammen, und dadurch dennoch ein Glück verspüren, das nicht bloss aus Sekundäreffekten stammt (dem Geld auf dem Konto, der Anerkennung von Kollegen oder der Presse)? Ja – und genau dies haben schon die alten Philosophen gemeint. In gewissem Sinn setzt ein solches Philosophieren – buchstäblich über Gott und die Welt – allerdings voraus, dass man bereits glücklich ist. Dass man die Jahre des Sturm und Drangs bereits hinter sich hat und über eine Gemütsruhe verfügt, ist ebenso vorausgesetzt wie eine gewisse Musse – die Möglichkeit, in Ruhe denken zu können und nicht für Geld arbeiten zu müssen (also auch die eigenen Denkprodukte nicht «verkaufen» zu müssen).

    Ein Glück eigener Art

    Dieser Prozess, einem echten Problem auf der Spur zu sein und tatsächlich die Musse zu haben, ihm nachzugehen, kann ein Glück eigener Art spenden – es gleicht dem, was Aristoteles die «Theoria» nannte. Dies ist unter Philosophierenden ein seltenes Erlebnis – gerade die dafür Bezahlten haben recht wenig Ruhe dafür. Und wenn sie Glück bei der Arbeit empfinden, ist dies – so viel Ehrlichkeit muss sein – häufig eher auf anderes zurückzuführen (Gefallen an den eigenen Formulierungen, die man gern als genial einschätzt, auch wenn niemand sie versteht, sowie die anderen, schon genannten sekundären Freuden).

    Diese Art von Glück steht allerdings allen Menschen offen. Sowohl die Einzelnen wie auch die Gesellschaft sollten ein grösseres Sensorium dafür ausbilden. Denn es ist eine Art von Glück, das wenig kostet, niemandem schadet und nachhaltig beglückende Folgen haben kann; wenn man nämlich sein Leben nach einer einmal gewonnenen Einsicht ausrichtet, darf man fortan im Gefühl und Bewusstsein leben, aus eigener Kraft das Richtige zu tun. Ohne einen Prozess der philosophischen Klärung (und Selbstklärung) ist das wohl nur schwer möglich.