PhilosophInnen in der Schweiz

Martina Bernasconi: Grossrätin Basel-Stadt

Lernen Sie die Philosophinnen und Philosophen in der Schweiz kennen. Im Interview bringen wir Ihnen monatlich eine Persönlichkeit näher.

·

    Das Interview führte Sahra Styger.

    Philosophie.ch: Was gehört zu Ihren jetzigen Hauptaufgaben im Berufsalltag und begegnen Ihnen dabei auch philosophische Fragen?

    Martina Bernasconi: Mein Alltag ist durch drei Bereiche geprägt: Um die Lebenskosten zu decken unterrichte ich, da ich allein vom zweiten Bereich - der philosophischen Praxis - nicht leben könnte. Und der dritte Bereich, welcher seit 20 Jahren aktuell ist, nun aber weniger werden wird, ist die Politik. Dort bin ich als Intellektuelle, welche differenziert argumentieren möchte, damit konfrontiert, dass es gilt, mit griffigen Worten, relativ oberflächlich, die eigene Haltung zu verkaufen. Da in der Politik Kompromisse im Vordergrund stehen, geht es um Lösungen und Antworten. In der Philosophie geht es um die Fragen.

     

    Philosophie.ch: Welche Rolle hat die Philosophie in der Gesellschaft und welche sollte sie haben?

    Martina Bernasconi: Die akademische Philosophie hat ein riesiges Potential, welches gesellschaftlich jedoch kaum genutzt wird. Es gilt das „Philosophieren" als vierte Kulturtechnik zu etablieren: Also bereits in Tagesstätten und Grundschule das Philosophieren - analog dem Lesen, Schreiben und Rechnen - zu pflegen. Die eigene Situation zu reflektieren bedeutet, mit Hilfe der Philosophie eine Distanz zum eigenen Ich herzustellen. Das Philosophieren eignet sich, um eine Situationsanalyse anzustellen, um dem eigenen Leben eine neue Qualität und Tiefe geben zu können. Es wäre richtig, wenn sich unser Bildungssystem anpassen würde und dieser Form der Reflexion von Anfang an einen Platz einräumen würde.

     

    Philosophie.ch: Was halten Sie von den Aussagen, dass das Philosophiestudium in die Brotlosigkeit führen wird oder, dass PhilosophieabsolventInnen «nichts Richtiges» können?

    Martina Bernasconi: Es kommt ganz auf die einzelne Person und auf die Fächerkomposition an. Ich wurde sehr unterstützt und man kann aus jedem Studium etwas machen. In der Verwaltung, in den Medien oder dem Unterrichtswesen gibt es sehr viele, die Philosophie studiert haben. PhilosophInnen sind optimale Führungskräfte, weil sie strukturell denken können müssen. Im Studium lernt man ganz basale Sachen, die einem dies erlauben: Es ist die Fähigkeit des "Selber - Denken“, des nicht „alles - Wissen - zu - können", was die allgemeine Frustrationstoleranz enorm verbessert. Personen, welche Philosophie studieren, geben sich selten einfach zufrieden mit dem was ist (und zwar egal was es ist), sondern hinterfragen kritisch. So zum Beispiel auch rassistisches Gedankengut.

     

    Philosophie.ch: Was würden Sie PhilosophInnen für den Berufseinstieg raten?

    Martina Bernasconi: Mein Berufseinstieg war sehr unbeschwert. Ich habe immer viel Energie und wahnsinniges Glück gehabt und war privilegiert, viele Stipendien erhalten zu haben. An der Fachhochschule wurde ich mit offenen Armen genommen. Ich denke, dass es wichtig ist, dass man sich verkaufen kann. Mich einer Oberflächlichgkeit zu verweigern, das habe ich nie gemacht. PhilosophInnen können denken und wissen, wie sie mit Wörtern umzugehen haben, um bei Anderen Inhalte oder Handlungen zu generieren. Philosophie ist immer umsetzbar!

     

    Philosophie.ch: Was hat Ihnen die vertiefte Auseinandersetzung mit der Philosophie gebracht? Inwiefern war diese Auseinandersetzung nützlich?

    Martina Bernasconi: Die philosophische Auseinandersetzung habe ich als extrem bereichernd erlebt. Das Studium hat mir gezeigt, dass man nicht alles verstehen muss (nicht zuletzt auch durch Derrida). Das Gefühl kennen zu lernen, nichts zu verstehen, ist sehr wertvoll. Die Sprache gaukelt uns eine Klarheit vor, die gar keine Klarheit ist. Einen Text zu lesen und begeistert zu sein, obwohl das diskursive Verstehen nicht funktioniert, ist bedeutend: Worte können ganz viel kaputt machen, weil Begriffe einschränkend sind. Die Philosophie hat mich gelernt, dass die Ergriffenheit nicht immer verstanden werden muss. Wenn man sich daran gewöhnt, etwas nicht zu verstehen, lernt man auch das Ausharren. Es gibt nicht immer eine Lösung und genau dies auszuhalten, lernt man durch die philosophische Auseinandersetzung. Diese Erweiterung hat etwas gesprengt und mich von mir selbst befreit.