Brauchen wir eine gendergerechte Sprache? - Kontra

An der Frage, ob die deutsche Sprache gendergerechte Formulierungen braucht, scheiden sich die Geister. Rudolf Friederich, Mitarbeitender der ETH Zürich, steht für seine Position ein. 

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    Kontra

    Liebe Leser, stellen Sie sich Belletristik in geschlechtergerechter Sprache vor, mit Wörtern wie Bürger*innen (Gendersternchen), MitarbeiterInnen (Binnen-​I) oder Student_innen (Gender-​Gap): So ein Buch – zum Beispiel ein Roman von Thomas Mann mit langen Schachtelsätzen – wäre nicht nur grammatisch falsch, sondern auch unlesbar. Der Lesefluss ginge völlig verloren.

    Wer gendert, will nicht wahrhaben, dass das grammatische Geschlecht (Genus) und das biologische Geschlecht (Sexus) nichts miteinander zu tun haben. Der Mann meint den biologischen Mann und die Frau die biologische Frau. Auch ist der Knabe ein männliches Kind. Aber ist das Mädchen eine Sache? Eben. Man merkt es selbst. Genderbefürworter argumentieren, dass Sprache das Bewusstsein prägt, und deshalb soll man die deutsche Sprache von patriarchalischen Erblasten befreien. Gut gemeint, aber trotzdem falsch. Es ist genau umgekehrt: Die Sprache wird vom Bewusstsein geprägt. Mit künstlichem Herumdoktern an der Sprache wurde noch nie eine Gesellschaft verändert.

    Früher hat man sich sehr wohl unter dem Begriff die Schriftsteller nur Männer vorgestellt, da dies damals auch ein ausgesprochener Männerberuf war. Aber mit Schriftsteller ist das Handwerk gemeint – und alle Mitglieder dieses Handwerks. Da gehören Männer und Frauen natürlich dazu.

    Möchte man Gendersternchen und dergleichen vermeiden, verwendet man gerne das substantivierte Partizip. Es heisst dann, die Studierenden oder die Mitarbeitenden. Das ist grammatikalisch genauso falsch. Studierende sind momentan am Grübeln und Mitarbeitende am Arbeiten. In der Freizeit sind es einfach Studenten und Mitarbeiter. Der Unterschied zwischen beiden Substantiven ist einfach und klar.

    Gendern ist ausserdem inkonsequent. Es gibt keinen Konsens darüber, wie, was und wann gegendert wird. Man findet zwar Bürger*innen, aber keine Straftäter*innen, sondern nur Straftäter. Und das soll keine Diskriminierung sein?

    Eine Sprache verändert sich im Laufe der Zeit, kein Zweifel. Ausser im Theater spricht niemand wie zu Paracelsus’ Zeiten. Aber eine Sprache ändert sich immer zum Einfachen hin, nie zum Komplizierten, Unleserlichen. Die Leserlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung für die Lust am Lesen und das Lesen wiederum für die Meinungsbildung. Und da das Lesen zum Glück nicht nur den Männern vorbehalten ist, haben Sie sich, liebe Damen, bei meiner Anrede zu Beginn des Textes sicher genauso angesprochen gefühlt – zu Recht!