Dark Enlightenment

Die Philosophie der “Alt-Right”: zwischen Hyperkapitalismus und Faschismus

 

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    Einleitung: blaue und rote Pillen

    Matrix gehört zu den ikonischen Filmen der 90er Jahre. Die Verbindung von dunkler Techno-Ästhetik und tiefen Fragen über die Beschaffenheit unserer Realität brachten eine neue, faszinierende Bildsprache. Noch heute geniesst der Film breite Beliebtheit – gerade bei philosophisch interessierten Menschen: Erkennen wir die Welt, wie sie wirklich ist? Oder sind wir doch nur Gehirne in einem Tank, gefangen in einer unbekannten und möglicherweise gefährlichen Umgebung?

    Kaum ein Film eignete sich so gut, um Einsteiger:innen grundlegende erkenntnistheoretische Konzepte näherzubringen. Ein voller Erfolg könnte man meinen. Aber die Geschichte hat ihre Schattenseiten: In der Internetkultur der neuen Rechten – einem Sammelbegriff für rechte politische Strömungen, die versuchen klassisch völkisch-nationales Gedankengut mit neuen Narrativen und pseudo-theoretischen Überlegungen wiederum Salonfähig zu machen – wird die Symbolik von Matrix gebraucht, um sich gegen die vermeintliche Scheinrealität egalitärer Demokratien abzugrenzen.

    Eine zentrale Szene des Films spielt dabei eine wichtige Rolle: Morpheus stellt Neo, der erste unheimliche Begegnungen mit den Mechanismen der Matrix gemacht hat, vor die Wahl: Er kann die blaue Pille schlucken, diesen Moment vergessen und sein gewohntes Leben wieder aufnehmen. Oder er kann sich für die rote Pille entscheiden und einen Blick hinter den Vorhang der Matrix auf die wahre Welt werfen.

    Neo wählt, wie von der Dramaturgie zu erwarten ist, die rote und erwacht nackt, mit einer schleimigen Flüssigkeit bedeckt in einer dunklen, dystopischen Welt. Die Menschen, so geht die Geschichte weiter, werden von den „Maschinen“ als lebendige Batterien gehalten. Neos Welt, in der er vor der Einnahme der Pille gelebt hat, ist nichts anderes als ein Trugbild, entworfen von den Maschinen, um ihre Energieträger zufriedenzustellen.

    Im Kosmos der neuen (Online-)Rechten wurde diese Szene zum Inbegriff für jene, die sich von den falschen Ideologien einer verfehlten und im Untergang begriffenen demokratischen Gesellschaft befreit haben. Für die sogenannten „Redpillers“ ist klar, die Demokratie und ihre Werte stellen eine Lüge liberaler Eliten dar, um Menschen gefügig zu machen und ihnen ihre Freiheiten zu rauben.

    In einer Zeit, in der die Anhänger:innen eines ehemaligen Präsidenten eine demokratische Wahl nicht akzeptieren wollen, und überdies erschreckend viele von ihnen davon überzeugt sind, dass ihre politischen Gegner:innen Kinder gefangenhalten und missbrauchen, erscheint es nicht verwunderlich, dass es Personen gibt, die auch die Grundlagen demokratischer Gesellschaften für eine Lüge halten. Das war aber nicht immer so. Und die verschiedenen Schritte auf dem Weg dorthin müssen sorgfältig analysiert werden.

    Einen Teil dieser Geschichte stellt eine abstruse Internetphilosophie dar, die unter dem Titel „The Dark Enlightenment“ behauptet, dass das wahre Erbe der Aufklärung im Autoritarismus liegt: Die rote Pille führt direkt in den Faschismus – und das sei gut so.

    Woher kommt sie? Was behauptet sie? Und spielt sie heute noch eine Rolle? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden auf den Grund gehen.

     

    Würmer und Parasiten

    Der Ursprung des „Dark Enlightenment“ liegt, will man für einen Moment seinen Vertreter:innen glauben schenken, bei einer Figur: dem Blogger Mencius Moldbug, der im realen Leben Curtis Yarvin heisst und als Programmierer im Silicon Valley arbeitet. Dieser Moldbug entwarf zwischen 2007 und 2016 ein mehrere hundert, wenn nicht tausende Seiten umfassendes System an Blogbeiträgen, in welchen er behauptet die fehlerhafte Funktionsweise der liberalen Demokratien aufzuzeigen. In den Augen seiner Anhänger:innen und auch seinen eigenen stellt dies die ultimative rote Pille dar.

    „[O]ur genuine red pill is not ready for the mass market. It is the size of a golfball, though nowhere near so smooth, and halfway down it splits in half and exposes a sodium-metal core, which will sear your throat like a live coal. There will be scarring. What can we say? That’s what you get for being an early adopter.“1

    Trotz ihrer angeblichen Unverträglichkeit konnte Moldbugs „rote Pille“ – insbesondere online – einige Anhänger:innen für sich gewinnen. Unter ihnen befindet sich der ehemalige akademische Philosoph Nick Land, der in seiner Rezension von Moldbugs Ideen als erstes den Begriff „Dark Enlightenment“ verwendete.

    Moldbugs Theorien, wenn man sie denn als solche bezeichnen möchte, weisen ungefähr die folgende Form auf: Die Aufklärung hat uns versprochen, dass wir das Rationale und das Irrationale trennen. Doch das ist nicht geschehen: Die moderne Moral ist genauso irrational wie herkömmliche Religionen, von denen wir behaupten, uns emanzipiert zu haben. Darum braucht es eine zweite, „dunkle“ Aufklärung, die die Dinge in der Welt wieder gerade rückt. Und damit meint er in erster Linie die Abschaffung der Demokratie.

    Intellektueller Ausgangspunkt für Moldbug stellt seine eigenwillige Rezeption von Richard Dawkins, einem Evolutionsbiologen und einem öffentlichen Verfechter von „Aufklärung“, dar. Dieser schuf unter dem Begriff „Mem“ ein sozial-theoretisches Äquivalent zum Gen in der Evolutionsbiologie.2 Ein Mem stellt die kleinste Einheit der sozialen Reproduktion dar und beinhaltet so etwas wie den Code für gesellschaftliche Praktiken: Jegliches soziale Verhalten, welches nicht durch die Evolutionsbiologie begründet werden kann, ist auf die Internalisierung eines Mems zurückzuführen.

    Dawkins selbst analysiert, ausgehend von dieser Theorie, religiöse Praktiken und kommt zum Schluss, dass diese parasitär strukturiert sind: Anders als andere soziale Praktiken erfüllen sie in Dawkins Augen keine Funktion für den Menschen. Dies könne daran beobachtet werden, dass Menschen, die das Mem einer religiösen Praktik internalisiert haben, sich weniger rational verhalten und gegen ihre eigenen Interessen handeln. Das religiöse Mem kann nur deshalb überleben, weil es den Menschen ein Trugbild einflösst – etwa die Existenz Gottes –, welches sie zu irrationalem und unfreiem Verhalten verleitet.

    Moldbug treibt diese Analyse weiter und nimmt die Moralvorstellungen liberaler Demokratien ins Visier. Für ihn weisen auch diese ein parasitäres Wesen auf, von dem man sich befreien oder heilen muss:

    „And we begin the treatment. Again, our goal is to detach you—by “you,” of course, I mean only the endogenous neural tissue—from the annelid parasite which now occupies a significant percentage of your cranium, and of course is fully integrated with your soul.

    This worm goes by many a name, but today we’ll just call it democracy.”3

    Nur seine eigene „rote Pille“, eine zweite Aufklärung, könne die Menschen, so Moldbug, aus den Fängen der Demokratie, diesem Überbleibsel der Irrationalität, befreien.

    Moldbugs Gründe, die Demokratie zusammen mit der Religion in die Schublade der parasitären Irrationalität zu stecken, sind vielfältig und gelinde gesagt: verworren. In einer von vielen Erklärungen behauptet er, dass die US-amerikanische Demokratie eine im Geheimen geplante Weiterführung des Puritanismus darstellt. Damit kritisiert er nicht etwa, dass religiöse Gruppierungen in den USA noch heute eine enorme politische Macht entfalten können. Sondern zeichnet die Entwicklung einer Verschwörung nach, die im Verborgenen den Staat kontrolliert und ihn nach irrationalen Gesichtspunkten strukturiert. Die Indizien dafür findet er in einer eklektizistischen Zusammenstellung verschiedenster historischer Dokumente und den sehr eigenwilligen Interpretationen einiger wissenschaftlicher Abhandlungen.

    Diese Verschwörungserzählung, so gut sie zu gegenwärtigen Entwicklungen in der amerikanischen Rechten passt, stellt allerdings, so vermute ich, nicht den Kern seiner Theorien dar. Vielmehr geht er davon aus, dass die Demokratie Teil eines ideologischen Systems darstellt, welches die Freiheiten des Menschen untergräbt – insbesondere die Gewissensfreiheit.

    Der Universalismus, welcher von Moldbug als die dominierende Moralvorstellung liberaler Demokratien identifiziert wird, würde die Menschen dazu zwingen, gewisse Dinge zu denken und für wahr zu halten, die es nicht sind und die sie auch nicht denken wollen: in erster Linie, dass die Menschen alle gleich sind. Moldbug schreibt: „Let’s start with what might well be Universalism’s central belief, the principle of fraternism. Fraternism is the belief that all men men and women are created born equal“.4 (Die durchgestrichenen Wörter geben die vermeintliche Kontinuität zu religiösen Vorstellungen an).

    Ein Sammelsurium von staatlichen Institutionen – allen voran die Universität – würden dafür sorgen, dass diese Indoktrination mit vermeintlich schädlichen Werten aufrechterhalten wird. In Anlehnung an den Vergleich von Universalismus und religiösem Aberglauben taufte Moldbug dieses Institutionengeflecht „Cathedral“. Gegen diese „Cathedral“ bringt Moldbug einen eigenen, autoritären Entwurf staatlicher Organisation ins Spiel, welcher, so unwahrscheinlich dies klingen mag, die Freiheiten der Menschen sichern soll.

     

    Jenseits der Demokratie

    In ihrem Kern ist Moldbugs politische Philosophie libertär. Sie ist darum bemüht, die Kompetenzen des Staates zu beschränken. Für ein ideales Fantasieland „Fnargland“ entwarf Moldbug sechs Freiheiten, die alle eine eindeutig libertäre Ausprägung aufweisen. Bespiele hierfür sind etwa:

    „Four, freedom of industry. As long as they are not making weapons to assault each other, Fnargites can build anything they like any time for any reason. Fnargland is also not beholden to any patent monopolies. “Intellectual property” does not increase the value of FnargCo’s real estate—quite the contrary.

    Five, freedom of instruction. Bizarre as it may seem in this day and age, Fnargites are responsible for raising their own children. They may instruct them as they see fit, and own them until they choose to emancipate them.“5

    Der Staat soll einzig eine minimale Rolle einnehmen und sich nicht in die Belange seiner Bürger:innen einmischen. Dies wird speziell klar, wenn Moldbug fordert, dass die Erziehung Sache der Eltern sein soll und nicht des Staates. Hierbei knüpft er an seine Theorie der Cathedral an: Jede staatliche Erziehung ist eine illegitime Indoktrination der Kinder mit den Werten einer Gesellschaft. Der Staat darf einzig grundlegende Kontrollaufgaben übernehmen – etwa bei der Produktion von Waffen. Alle anderen Belange liegen im Hoheitsgebiet der Individuen.

    Es muss allerdings angemerkt werden, dass durchaus Unterschiede zum klassischen Libertarismus der USA vorliegen. Waffen beispielsweise sind für diesen heilig. Auch würden sich wohl wenige klassische Libertäre finden lassen, die so eindeutig geistiges Eigentum ablehnen, wie Moldbug dies tut.

    Ungeachtet dieser Differenzen liegt die intellektuelle Verbindung auf der Hand. Wie aber konnte es dazu kommen, dass Moldbug von einer libertären, den Staat einschränkenden Position zu einer autoritären Position gelangte?

    Einen Hinweis hierzu liefert eine Debatte, die zur gleichen Zeit als Moldbug aktiv war, in Teilen der libertären Szene in den USA – beispielsweise rund um das Cato Insitute – über die vermeintliche Inkompatibilität von Freiheit und Demokratie geführt wurde.6 Unter den Beitragenden waren beispielsweise Patri Friedman, der Enkel des neoliberalen Vordenkers Milton Friedman, oder Peter Thiel, Silicon Valley Milliardär und späterer Trumpunterstüzer.

    Allerdings gingen ihre Argumentaionen nicht gleich weit wie die Moldbugs. Sie kritisierten zwar die Demokratie, waren aber nicht bereit, ein klares Bekenntnis zum Autoritarismus auszusprechen. Was unterscheidet Moldbug von diesen Überlegungen?

    Nick Land stellte in seiner Rezeption von Moldbugs Blogbeiträgen die Behauptung auf, dass dessen Analyse der Politik deshalb anderen libertären Konzeptionen überlegen sei, weil er den Blick für die Macht des Staates nicht verliert.

    „His awakening into neo-reaction comes with the (Hobbesian) recognition that sovereignty cannot be eliminated, caged, or controlled. Anarcho-capitalist utopias can never condense out of science fiction, divided powers flow back together like a shattered Terminator, and constitutions have exactly as much real authority as a sovereign interpretative power allows them to have. The state isn’t going anywhere because — to those who run it — it’s worth far too much to give up, and as the concentrated instantiation of sovereignty in society, nobody can make it do anything. If the state cannot be eliminated, Moldbug argues, at least it can be cured of democracy (or systematic and degenerative bad government) […].“7

    Staatsmacht, so Lands Interpretation von Moldbug, ist ein gegebenes Faktum. Sie kann nicht verschwinden, wie dies radikal libertäre Vorstellungen erreichen möchten. Aber sie kann richtig verwaltet werden, was für Land – und Moldbug – bedeutet, die Demokratie loszuwerden und klare Hierarchien zu etablieren.

    Moldbugs und Lands Methode, dieses Ziel zu erreichen, liefert einen weiteren Hinweis darauf, wie in ihren Theorien Libertarismus und Autoritarismus zusammenhängen. Der libertären Maxime folgend, wonach die Wirtschaft die besten Lösungen für gesellschaftliche Probleme anbietet, wollen Moldbug und Land Gesellschaft ohne Politik und einzig von einer wirtschaftlichen Perspektive aus denken. Moldbug schreibt hierzu:

    „My theory, which I admit is unorthodox, is that most attempts to defeat or limit the growth of the State have failed mainly because they’ve tended to attack it on political grounds. That is, they have proposed governmental mechanisms to limit the growth of government. […]

    Instead, I think there is a basic economic problem that needs to be solved.“8

    Diese Absage an das Politische impliziert für Moldbug, dass der Staat an die Struktur eines kapitalistischen Unternehmens angeglichen werden soll. Das bedeutet, dass die Besitzverhältnisse der Macht wie in einem Aktionärssystem klar aufgeteilt werden sollen.

    In Lands Umformulierung von Moldbugs Konzepten bedeutet dies, dass alle inoffiziellen Machtstrukturen wie etwa Lobbying, Bestechung, Manipulation etc. formalisiert werden sollen. Anstatt diese Dinge zu kriminalisieren, braucht es eine klar geregelte monetäre Verteilung dieser Einflussnahmen in sogenannten Staats Shares. Das Resultat ist ein Gebilde, in dem nur jene mitbestimmen können, die eine Anleihe am Staat besitzen. Alle anderen müssen schweigen. Und auch die, die sich eingekauft haben, können nur indirekt partizipieren, um eine irregeleitete Geschäftsführung zu stoppen. Das Ziel ist also eine Art hyperkapitalistische Technokratie.

    Damit ist allerdings die Analogie zwischen kapitalistischem Unternehmen und Staat noch nicht erschöpft. Getreu dem libertären Ursprung seiner Ideen will Moldbug Freiheit in sein Staatskonstrukt hineinretten. Wenn aber der Staat gleich funktionieren soll wie ein Unternehmen, dann sind Freiheiten so etwas wie sein Produkt. Und wie alle wissen, die die Grundprämissen des „freien“ Markes teilen, kann die Qualität von Produkten nur durch Konkurrenz gesichert werden. Deshalb braucht es nicht nur einen Staat, der wie ein Unternehmen funktioniert, sondern viele solcher Staaten, die um Bürger:innen wie um Konsument:innen konkurrieren.

    Land theoretisiert diese Vorstellung unter dem Begriff „Exit“, welchen er vom deutsch-jüdisch-amerikanischen Ökonomen Albert O. Hirschmann (1915–2012) übernimmt. Hirschmann argumentierte, dass es in demokratischen Staaten zwei Möglichkeiten der Einflussnahme gibt: „Voice“ und „Exit“. Unter „Voice“ versteht Hirschmann alle Formen der politischen Kommunikation, seien dies Wahlen, Petitionen, Proteste oder andere Formen. Einflussnahme durch „Exit“ bedeutet, dass Menschen ihrer Unzufriedenheit dadurch Ausdruck verleihen, dass sie einen Staat verlassen – auch „voting by feet“ genannt.9

    Da es im Theoriensystem des „Dark Enlightenment“ so etwas wie „Voice“ nicht gibt, oder besser gesagt, „Voice“ immer schon durchsetzt ist von den vermeintlichen Lügen der „Cathedral“, kann nur „Exit“ wirkliche Freiheit garantieren. Land schriebt hierzu:

    „More dialectics is more politics, and more politics means ‘progress’ – or social migration to the left. The production of public agreement only leads in one direction, and within public disagreement, such impetus already exists in embryo. It is only in the absence of agreement and of publicly articulated disagreement, which is to say, in non-dialectics, non-argument, sub-political diversity, or politically uncoordinated initiative, that the ‘right-wing’ refuge of ‘the economy’ (and civil society more widely) is to be found.“10

    Wenn man sich aus Lands Sicht auf politische Diskussionen einlässt, führt dies unweigerlich dazu, dass man im politischen System nach „links“ gezogen wird. Lands „Dialektik“ funktioniert hier ähnlich wie Moldbugs „Cathedral“ und stellt ein System des diskursiven Zwangs dar, welchem nur duch „Exit“ widerstanden werden kann. Land geht sogar soweit, dass er mit eine nicht zu verifizierenden Zitat von Patri Friedman behauptet, dass die Möglichkeit einen Staat zu verlassen – also: „Exit“ – das einzige Menschenrecht darstellen sollte.11

    Langsam nimmt ein Bild Gestalt an, wie autoritäre Politik im „Dark Enlightenment“ aussieht. Noch bleibt aber die Verbindung zwischen diesem autoritären Libertarismus und der Kritik an der vermeintlichen demokratischen Ideologie, die im vorangegangenen Abschnitt thematisiert wurde, unscharf. Insbesondere stellt sich die Frage, wie Moldbug ein autoritäres politisches System als Garant der Gewissensfreiheit verstehen kann?

    Moldbug bringt hierzu ein erstaunliches – und verworrenes – Argumente vor: Entgegen allem, was man gemeinhin über autoritäre Regime und deren Propaganda zu wissen meint, behauptet Moldbug, dass wirklich autoritäre Regime, anders als Demokratien, gar nicht daran interessiert sind, die Gedanken ihrer Bürger:innen zu kontrollieren. Dies sei so, da wirklich autoritäre Regierungen ohnehin alles über Zwang regeln könnten:

    „An authoritarian state has no need to tell its subjects what to think, because it has no reason to care what they think. In a truly authoritarian government, the ruling authority relies on force, not popularity. It cares what its subjects do, not what they think. It may encourage a healthy, optimistic attitude and temperate lifestyle proclivities, but only because this is good for business. Therefore, any authoritarian state that needs an official religion must have something wrong with it. (Perhaps, for example, its military authority is not as absolute as it thinks.)“12

    In Moldbugs politischer Philosophie wird ein autoritärer Staat zu einem freien Staat, da in ihm gedacht werden kann, was man will. Und so lange es die Möglichkeit gibt, diesen Staat auch wieder zu verlassen („Exit“), scheint für ihn der staatlich verwendete Zwang kein Problem darzustellen. Die Gewissensfreiheit wird demnach wie folgt garantiert: Eine Bürgerin im Staat A kann alles denken, was sie will, so lange sie sich an die Regeln von Staat A hält. Passen ihr diese Regeln nicht mehr, kann sie nach Staat B umsiedeln, wo sie wiederum alles denken und sagen kann, so lange sie sich an die Regeln von Staat B hält. Weder Staat A noch Staat B haben ein Interesse daran, besagte Bürgerin zu indoktrinieren, da sie im Notfall auch mit Zwang dafür sorgen können, dass sie sich an die Regeln hält.

    Worin aber besteht die Täuschung, die Bürger:innen in einer Demokratie erleben? Es wurde bereits angesprochen, dass dies etwas mit der universalistischen Vorstellung der Gleichheit aller Menschen zu tun hat. Was ist daran aber störend für Moldbug? Und wie hängt dies mit dem Staatsverständnis von „Dark Enlightenment“ zusammen?

     

    Ungleich

    Wie alle Theorien am Rand des rechten politischen Spektrums nimmt auch „Dark Enlightment“ Bezug auf rassistische Überlegungen. Dies geschieht nicht etwa unterschwellig oder beiläufig: Nein, sie nehmen eine, wenn nicht sogar die zentrale Rolle ein. Land selbst merkt dies mit unverhohlener Bewunderung während seiner Rekonstruktion von Moldbugs Theorien an:

    „It gets worse.[...]. This sure ain’t vanilla-libertarian reaction anymore — it’s getting seriously dark, and scary. [citing Moldbug] ‚In all seriousness, what is the evidence for fraternism? Why, exactly, does Professor Dawkins believe that all neohominids are born with identical potential for neurological development? He doesn’t say. Perhaps he thinks it’s obvious‘.”13

    Wie ich weiter oben bereits zitiert habe, ist Moldbug davon überzeugt, dass die Annahme, alle Menschen seien gleich geboren, die Grundannahme des Universalismus darstellt. Weiter ist er davon überzeugt, dass diese falsch ist. Und dies ist auf genetische Gründe zurückzuführen: Da Menschen variierende Gene und daraus variierende Entwicklungspotenziale aufweisen, können sie nicht gleich sein. Er stellt dabei genetische Identität und politische Gleichheit auf dieselbe Stufe: politische Gleichheit fusst für ihn auf der vermeintlich falschen Annahme einer prinzipiellen biologischen Identität der Menschen.

    Moldbug und auch Land nehmen hierbei Bezug auf die Diskussion um die sogenannte Human Bio Diversity – oder kurz: HBD. Unter diesem Titel werden in den Blogosphären der Neuen Rechten Theorien der Ungleichheit menschlicher ‚Rassen‘ thematisiert. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass genetische Unterschiede, welche starke Einflüsse auf das Verhalten oder die Intelligenz von Menschen ausüben, bestehen würden. In den Online-Foren, die zur HBD Sphäre gehören, wird vermehrt über angebliche gravierende Unterschiede in der Intelligenz (gemessen in IQ Punkten) zwischen verschiedenen ‚Rassen‘ diskutiert und behauptet, dass gewisse ‚Rassen‘ anderen überlegen seien.14

    Diese Ideen sind sicherlich alles andere als neu. Und sie stehen in einer langen Tradition rassistisch motivierter ‚Wissenschaft‘, die in der Alt-Right und dem „Dark Enlightment“ nur eine weitere Auffrischung erlebt.15 Für Land und Moldbug sind diese Ideen allerdings weniger wegen ihres tatsächlichem Gehaltes interessant – auch wenn beide durchaus Andeutungen machen, den Inhalt für wahr zu halten –, sondern weil sich darin die täuschende Kraft der Cathedral äussern würde. So schreibt etwa Land:

    „Whatever one’s opinion on the respective scientific merits of human biological diversity or uniformity, it is surely beyond contention that the latter assumption, alone, is tolerated. Even if progressive-universalistic beliefs about human nature are true, they are not held because they are true, or arrived at through any process that passes the laugh test for critical scientific rationality. They are received as religious tenets, with all of the passionate intensity that characterizes essential items of faith, and to question them is not a matter of scientific inaccuracy, but of what we now call political incorrectness, and once knew as heresy.“16

    Er behauptet, dass zwischen denbeiden, in seinen Augen wissenschaftlich gleich akzeptablen, Positionen ein diskursives Ungleichgewicht besteht: Von biologischer Einheit zu sprechen, ist für viele selbstverständlich. Das Gegenteil zu behaupten, gelte als moralisch verwerflich. Und das obwohl, wie er betont, zumindest phänotypische Differenzen zwischen den Menschen offensichtlich seien.

    Moldbug, der bereits vor Land zu einem ähnlichen Schluss gekommen ist, versteht seine Theorie der Cathedral als Erklärung dafür, wie es zu dieser Verschiebung in der Bewertung verschiedener Positionen gekommen ist: „What I’m interested in is how and why it came to be the case that fraternism is assumed true until proven false, and afraternism is assumed false until proven true.“17 Er geht davon aus, dass im Fall des Universalismus, anders als bei anderen Behauptungen, die Beweislast nicht bei jenen liegt, die sie aufstellen, sondern bei jenen, die versuchen dagegen zu argumentieren. Aus diesem vermeidlich illegitimen Unterschied folgert er, dass die Menschen manipuliert werden, um die offensichtlichen Unterschiede zwischen Gruppen von Menschen zu übersehen.

    Als Beispiel für diese These zieht er Hitler herbei: Im gegenwärtigen Westen, so Moldbug, sei es unmöglich, nicht kritisch gegenüber Hitler zu sein. Dies kontrastiert er mit der Behauptung, dass Stalin nicht die gleiche Reaktion hervorrufen würde. Hitler und der mit ihm verbundene Nationalsozialismus seien aus der Perspektive der liberalen Demokratie auf einer eigenen Stufe des Bösen angesiedelt, auf welche keine andere Person oder Ideologie je gestellt werden könne. Und das sei so, obwohl Stalin seiner Meinung nach die schlimmeren Verbrechen begangen hätte – oder zumindest sicherlich vergleichbare. Allerdings habe dieser, so Moldbugs Erklärung für die von ihm diagnostizierte Differenz, nicht in gleicher Weise Theorien über die Ungleichheit der Menschen mobilisiert wie Hitler. Deshalb, und in seinen Augen nur deshalb, könne erklärt werden, warum diese beiden Personen und Ihre jeweiligen Ideologien anders behandelt werden: Nur weil Hitler und der Nationalsozialismus sich gegen die grundlegende Annahme des Universalismus aufgelehnt hätten, gelten sie heute im Westen als inakzeptabler als Stalin und der Kommunismus.

    Moldbug geht in seiner ‚Analyse‘ der „Cathedral“ nicht viel weiter, als zu behaupten, dass die Annahme über die Gleichheit der Menschen einen dogmatischen Glauben darstellt und dieser bezweifelt werden kann. Viel von seinem Schreiben zielt einzig darauf ab, die vermeintliche Lüge der liberalen Demokratie über die Gleichheit der Menschen aufzudecken.

    Land hingegen greift diesen Punkt vertieft auf und stellt eine Verbindung zwischen der Politik von „Dark Enlightment“ und den Behauptungen über die Ungleichheit der Menschen her, die über die blosse Empörung über eine vermeintliche Lüge hinausgeht. Anders als bei Moldbug besteht für ihn die Gefahr der Cathedral nicht nur in der Einschränkung der Gewissensfreiheit, sondern sie ist auch tief mit Gewalt verbunden. Land ist beispielsweise davon überzeugt, dass nur Gewalt Menschen unterschiedlicher ‚Rassen‘ dazu bringen kann, sich als gleich anzuerkennen.

    „People are not equal, they do not develop equally, their goals and achievements are not equal, and nothing can make them equal. Substantial equality has no relation to reality, except as its systematic negation. Violence on a genocidal scale is required to even approximate to a practical egalitarian program, and if anything less ambitious is attempted, people get around it (some more competently than others).“18

    Universalistische Prinzipien sind für ihn nur durch Gewalt von genozidalem Aussmas durchsetzbar. Geschieht dies nicht, wird es immer Menschen geben, die sich aus der Matrix der Gleichheit verabschieden. Das Resultat davon ist für ihn, solange eine Gesellschaft vorgibt gleich zu sein, weitere Gewalt – wobei er hier die Angst vor einem ‚Rassenkrieg‘ schürt.

    Da diese Gewalt allen Systemen, die sich dem Universalismus verschrieben haben, inhärent ist, kann nur ein autoritäres System das Problem für Land lösen. Demokratische Politik führt einzig zu „Dialektik“, die Probleme nicht löst, sondern perpetuiert. Diese Dialektik exemplifiziert sich für Land in der US-amerikanischen Debatte über ‚Rasse‘ und Gewalt, die das grundlegende Problem verschwiegt und einzig mit dem Universalismus kompatible Deutungen zulässt.

    „White racist paranoia makes America dangerous for black people. It would thus rehearse the dialectic of racial terror (your fear is scary), designed – as always — to convert America’s reciprocal social nightmare into a unilateral morality play, allocating legitimate dread exclusively to one side of the country’s principal racial divide. It seemed perfect. A malignantly deluded white vigilante guns down an innocent black child, justifying black fear (‘the talk’) whilst exposing white panic as a murderous psychosis. This is a story of such archetypal progressive meaning that it cannot be told too many times. In fact, it was just too good to be true.“19

    Dieses Verschweigen der grundlegenden Ungleichheit der Menschen führt zu einer sich fortsetzenden Gewaltspirale, aus welcher nur noch ausgebrochen werden kann, wenn man sich ganz aus der Politik verabschiedet. Politik und Diskussion erscheinen für ihn hierbei als Instrumente des Zwangs, die den (weissen) Menschen eine freie Reaktion auf die sie umgebenden Probleme verunmöglicht.

    Land greift dabei wiederum die Vorstellung von „Exit“ auf. Im Kontext von Lands ‚Analyse‘ der US-amerikanischen Situation bekommt diese Vorstellung eine rassistische Aufladung:

    „What the puritan exodus from Old to New World was to the foundation of Anglophone global modernity, white flight is to its fraying and dissolution. As with the pre-founding migration, what gives white flight ineluctable relevance here is its sub-political character: all exit and no voice. It is the subtle, non-argumentative, non-demanding ‘other’ of social democracy and its dreams – the spontaneous impulse of dark enlightenment, as it is initially glimpsed, at once disillusioning and implacable.“20

    Die sogenannte „white flight“ (weisse Flucht) beschreibt in den USA den Rückzug weisser Menschen aus den inneren Stadtteilen in die Vororte. Oftmals wird dieser Rückzug – in meinen Augen verkürzt – mit der erhöhten Kriminalität in den Innenstädten erklärt, wo in erster Linie weniger begüterte Menschen – oftmals afroamerikanischer oder hispanischer Herkunft – zurückbleiben. In Lands Augen symbolisiert diese ‚Flucht‘ den Grundcharakter seiner autoritären Politik: Da die offiziellen demokratischen Kanäle dabei versagen würden, die Ängste ‚weisser‘ Menschen ernst zu nehmen, würden sie jenseits des Politischen durch ihren Austritt aus der Stadt aktiv werden.

    Hierdurch zeigt sich, dass die politische Philosophie des „Dark Enlightenment“ nicht einzig auf eine autoritär verstandene libertäre Theorie zurückzuführen ist, sondern dass die vermeintliche Ungleichheit der Menschen einen weiteren Kernpunkt bildet: sie stellt den Ausgangspunkt der Unzufriedenheit mit der Demokratie dar und bildet das Vorbild für den anti-politischen Ausstieg aus dem gegenwärtigen System.

     

    Und Heute?

    Seit der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika haben sich abstruse Theorien tief im öffentlichen Diskurs verankert und drohen, die Demokratie mit in den Abgrund zu reissen. Am prominentesten sind dabei Verschwörungstheorien wie die Erzählung von der gestohlenen Wahl oder Q Anon – also die Behauptung liberale Eliten würden Kinder entführen, belästigen und töten. Welche Rolle kommt „Dark Enlightenment“ hierbei zu?

    Curtis Yarvin war selbst wohl davon überzeugt, dass seine Ideen in einem befriedigenden Ausmass die öffentliche Debatte erreicht hatten. Am 18.04.2016, nur Monate vor Trumps Wahl, prostete er seinen letzten Beitrag unter dem Pseudonym „Mencius Moldbug“. In der ersten Zeile seines Textes verkündetet er: „It’s long past time to make this official: UR [der Name seines Blog] has completed its mission“.21

    Ob diese Selbstdarstellung tatsächlich zutrifft, ist schwer zu beurteilen. Im Vergleich zu anderen Theorien wie beispielsweise den obengenannten Verschwörungstheorien ist die Zirkulation von „Dark Enlightenment“ eher bescheiden. Das Reddit Forum r/DarkEnlightenment hat zwar 24200 Mitglieder, der letzte Post ist aber beim erscheinen des vorliegenden Textes bereits zwei Jahre alt.

    Yarvin bekam durchaus öffentliche Aufmerksamkeit als er am 08.09.2021 auf Fox News bei Tucker Carlson – dem grössten Politshowhost der USA – einen Auftritt hatte.23 Dabei sprach er allerdings über den sogenannten „Deep State“ – also ein Schattenstaat im Staat, der von mächtigen Eliten kontrolliert wird – und nicht über die Theorien seines Blogs. Und auch wenn die Vorstellung des „Deep State“ durchaus anschlussfähig ist an die Theorien von „Dark Enlightenment“, scheint sie unabhängig davon in der Medienwelt der US-amerikanischen Rechten zu zirkulieren: Tucker Carlson selbst spricht beispielsweise über diese in seiner Show.24

    Nick Lands Spur verliert sich in noch unkonkreteren Gefilden: Er lebt heute in Shanghai und schreibt Blogs über seine Gedankenwelt25 und Bitcoin Technologie.26 Darin verarbeitet er die Idee eines technisch beschleunigten Kapitalismus, welcher die Gesellschaft radikal transformieren wird. Bereits während seiner Zeit an der Univeristät Warwick entwickelte er diese Vorstellung, welche durch die Idee von „Exit“ in „Dark Enlighment“ einen düsteren Verlauf nahm.

    Ein Buch von Ihm tauchte auch beim rechten Antaios Verlag in Deutschland auf.27 Es handelt sich dabei allerdings um eine Übersetzung seiner früheren Schriften, die zwar bereits Vorstellungen vom Bruch mit der Gesellschaft durch digitale Theorien beschrieben, allerdings noch nicht dem rechtsradikalen Spektrum zugeordnet werden können.

    Was kann daraus geschlossen werden? Die Ideen von „Dark Enlightenment“ zirkulieren sicherlich immer noch. Doch scheinen sie, verglichen mit anderen Theorien, nicht die gleiche öffentliche Prominenz erfahren zu haben. Es lassen sich zwar durchaus Ähnlichkeiten zwischen aktuellen Themen der Rechten und „Dark Enlightenment“ finden: Etwa die Theorie einer im geheimen agierenden Elite, die den Menschen ihr liberales Weltbild überstülpen möchte, oder aber die Vorstellung einer grossangelegten linken Kampagne, die es den Menschen unmöglich macht, zu sagen und zu denken, was sie wollen. Es ist aber schwer zu bestimmen, wie stark hier der Einfluss von „Dark Enlightenment“ tatsächlich war, da nicht direkt die einschlägigen Begrifflichkeiten übernommen werden.

    Gerne würde ich mit dem Urteil schliessen können, dass es dem „Dark Enlightment“ nicht möglich war, seine gefährlichen Ideen in den Mainstream zu transportieren und von anderen – zwar nicht minder gefährlichen – Ideen verdrängt wurde. Leider ist das aber nicht das Ende der Geschichte. Es gibt noch einen anderen Ort, wo gewisse Ideen von „Dark Enlightenment“ auf offensichtlicheren Zuspruch gestossen sind. Und gemäss dem grundlegenden Diktum dieser verdrehten Aufklärung findet sich dieser jenseits der demokratischen Politik.

    In einem lesenswerten und zu tiefst beängstigenden Beitrag arbeitete Zack Beauchamp von Vox News die Verbindung zwischen Nick Lands Theorie des Accelerationsimus, die auch die Grundlage von „Dark Enlightenment“ bildet,28 und einer neuen Welle rechtsterroristischer Anschläge heraus.29

    Accelerationismus ist die Vorstellung, dass sich der Kapitalismus, einmal befreit von den Beschränkungen liberaler Staate, zu einer unaufhaltsamen Kraft entwickelt, die die menschliche Gesellschaft in völlig neue Bahnen lenken wird. Land entwickelte diese Theorie zum ersten Mal in den 90er Jahren, wo er in erster Linie das Aufkommen digitaler Technologien als Mittel, die aktuelle Gesellschaft zu verlassen, ansah. Im Konzept der ökonomischen Lösung für politische Probleme, wie er sie in „Dark Enlightenment“ theoretisiert, scheint diese Hoffnung auf den Kapitalismus als treibende Kraft von Veränderungen wieder aufzuleben. Und Lands heutige Beschäftigung mit Bitcoin scheint diesem Weg weiter zu folgen.

    Beauchamp stellt eindrücklich dar, wie diese Vorstellung einer Beschleunigung aktueller gesellschaftlicher Tendenzen in rechten Kreisen als Ansporn verstanden wurde, gesellschaftliche Spaltungen mit Gewalt zu vertiefen. Die Beschleunigung setzt nicht mehr auf den Kapitalismus sondern auf den Antagonismus zwischen verschieden ‚Rassen‘, um die neue Gesellschaft zu erreichen. Beauchamp zeigt auf, wie Brenton Tarrant, der Attentäter von Christchurch, solche accelerationistische Ideen in seinem Manifest verarbeitete und davon ausging, mit seiner Tat etwas für die Veränderung der Gesellschaft zu leisten.

    Diese Ideen von Handlungen jenseits des politischen lassen sich gemäss Beauchamp in die Kreise weiterer rechter Organisationen verfolgen, beispielsweise der rechtsterroristischen Gruppierung Atomwaffen Division. Somit kann argumentiert werden, dass der auch im „Dark Enlightenment“ theoretisierte Ausstieg aus der politischen Diskussion in der Welt des Rechtsterrorismus als eine Legitimation für Gewalt gesehen wird: die demokratische Politik ist verlogen und dem Untergang geweiht, darum muss die Gesellschaft von jenseits der Politik her mit Gewalt verändert werden.

    Auch hier bedarf es einer gewissen Vorsicht: Wie Beauchamp selbst argumentiert, ist die Ideologie alleine nicht der einzige Faktor, der Menschen zu Gewalttaten anspornt. Und es gibt viele weitere Variablen, die berücksichtigt werden müssen. Aber es scheint hier doch eine Gruppe von Menschen zu geben, die in der Praxis bereit sind, mit „Dark Enlightenment“ den autoritär-motivierten „Exit“ aus der demokratischen Gesellschaft zu nehmen.

     


     

    Literatur

    1 https://www.unqualified-reservations.org/2009/01/gentle-introduction-to-unqualified/ (31.10.2022)

    2 Richard Dawkins: Das egoistische Gen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1998 Zur Geschichte des Konzepts siehe Jeremy Burman: »The Misunderstanding of Memes: Biography of an Unscientific Object, 1976–1999«, in: Perspectives on Science 1/20 (2012), S. 75–104.

    3 https://www.unqualified-reservations.org/2009/01/gentle-introduction-to-unqualified_15/ (31.10.2022)

    4 https://www.unqualified-reservations.org/2007/10/how-dawkins-got-pwned-part-3/ (31.10.2022)

    5 https://www.unqualified-reservations.org/2007/05/good-government-as-good-customer/ (31.10.2022)

    6 https://www.cato-unbound.org/issues/april-2009/scratch-libertarian-institutions-communities/ (09.11.2022)

    7 https://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/ (02.11.2022)

    8 https://www.unqualified-reservations.org/2007/05/good-government-as-good-customer/ (31.10.2022)

    9 Albert O. Hirschman: Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, Cambridge, MA: Harvard University Press (1970).

    10 https://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/ (03.11.2022)

    11 Land schreibt: Patri Friedman remarks: “we think that free exit is so important that we’ve called it the only Universal Human Right.” Allerdings ist der verlinkte Text nicht mehr auffindbar.

    12 https://www.unqualified-reservations.org/2009/01/gentle-introduction-to-unqualified/ (31.10.2022)

    13 https://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/ (07.11.2022)

    14 https://forward.com/opinion/346533/human-biodiversity-the-pseudoscientific-racism-of-the-alt-right/ (07.11.2022)

    15 https://www.theguardian.com/books/2019/may/27/superior-the-return-of-race-science-by-angela-saini-book-review (07.11.2022)

    16 https://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/ (07.11.2022)

    17 https://www.unqualified-reservations.org/2007/10/how-dawkins-got-pwned-part-3/ (07.11.2022)

    18 https://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/ (09.11.2022)

    19 https://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/ (09.11.2022)

    20 https://www.thedarkenlightenment.com/the-dark-enlightenment-by-nick-land/ (07.11.2022)

    21 https://www.unqualified-reservations.org/2016/04/coda/ (07.11.2022)

    22 https://www.reddit.com/r/DarkEnlightenment/ (26.12.2022)

    23 https://www.foxnews.com/video/6271592770001 (07.11.2022)

    24 https://www.thewrap.com/tucker-carlson-democrats-are-collaborating-with-the-deep-state-to-elect-biden-video/ (22.12.2022)

    25 https://web.archive.org/web/20180106084441/http://www.xenosystems.net/occult-xenosystems/ (07.11.2022)

    26 http://sumrevija.si/wp-content/uploads/2018/11/sum10-2_web_single.pdf (07.11.2022)

    27 https://antaios.de/antaios-liefert-jedes-buch/162768/okkultes-denken?number=9783751803618 (07.11.2022) Zum Anthaios Verlag vergl. beispielsweise: https://aether.ethz.ch/ausgabe/rechtes-wissen/?a=postdemokratie (26.12.2022)

    28 Siehe hierzu auch: https://aether.ethz.ch/ausgabe/rechtes-wissen/?a=antiakademie (07.11.2022)

    29 https://www.vox.com/the-highlight/2019/11/11/20882005/accelerationism-white-supremacy-christchurch (07.11.2022)