Die Erscheinung als Negation der Negation

Eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der doppelten Negation bei Hegel

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    Keine philosophische Idee Hegels hat größeres Kopfschütteln und empörtere Zurückweisung erfahren als die sogenannte ‚doppelte Negation‘. Adorno z.B. hielt es für ausgeschlossen, daß aus der ersten Negation, d.h. dem Nichtsein, irgend ein Seiendes entstehen könne und Popper warnte, daß die doppelte Negation der Anfang wissenschaftlicher Beliebigkeit und daher Unsinn sei. Hegel jedoch ist in seinen grundlegenden Gedanken kein Philosoph, der nach logischen Maßstäben zu analysieren und zu verstehen wäre. In seiner Wissenschaft der Logik beklagt er die Grundannahme der Logik, daß das Material des Wissens von sich selbst aus existiert und daß das an sich inhaltsleere Denken (die Logik) an diese Materialen herangetragen wird. Demnach wäre logisches Denken ‚Welterschaffung‘ in zweiter Instanz, d.h. das Recycling jener selbstgenügsamen Materialien des Wissens. Das kann Hegel als Grundlage der Philosophie nicht akzeptieren und an gleicher Stelle fordert er die völlige Aufgabe der klassischen Begriffe und Methoden der Logik. Die Negation der Negation ist sein Entwurf einer voraussetzungsfreien Logik, die aber, wie die Rezeptionsgeschichte zeigt, mehr Konfusion als philosophischen Fortschritt hervorgerufen hat.

    In der Prädikatenlogik und der in ihr enthaltenen Begriffslogik geht es zentral um Indentität, d.h. um die Zugehörigkeit zu einer Klasse. „...ist ein Mensch“, „...ist grün“ oder „Alle Vögel legen Eier“ sind Aussagen, die mit der Prädikatenlogik untersucht werden. Sie ist damit offensichtlich i) analytisch, ii) a posteriori und iii) affirmativ, d.h. positiv bestimmend. Da uns ihre Inhalte schon vor der logischen Untersuchung gegeben sind, besteht Logik im Versuch, Gegenstände der Erfahrung gewissen Klassen (Mengen) zuzuordnen. Die Hegelsche ‚Logik‘ hingegen versucht dieses Vorwissen nicht aus der Analyse der Inhalte des schon Gewußten, sondern aus deren An-Ordnung (Struktur) zu verstehen. Die entscheidende Rolle bei diesem Versuch kommt der Negation, dem Widerspruch, als modus operandi zu, d.h. dem „...ist nicht...“. Hier geht Hegel auf Spinoza zurück, der zuerst die Abwesenheit des Widerspruchs als Grund des Seienden thematisierte. Sein Beispiel, daß sich die Existenz der Kästchen eines karierten Blatts Papier (der Elemente des Wissens) ihrer gegenseitigen Begrenzung verdanken, trifft zwar den Nagel auf den Kopf, bleibt aber zu abstrakt um von seinen Zeitgenossen auf die Gesamtheit des Wissens anwendbar zu sein. Hegel versucht es mit dem Begriff Absoluter Geist, welcher nur durch sich selbst und seine vorgängigen Entfaltungen begrenzt ist. Es war aber die Marxsche Umkehrung der Hegelschen Idee, daß sich Wissen durch Selbstbegrenzung stufenförmig entwickelt, die geschichtlich erfolgreich wurde. Unter dem Motto er (Marx) habe „Hegel vom Kopf auf die Füße stellte“ verkam die Entfaltung des Absoluten Geistes zu einem logisch-materialistischen Zeitgeschehen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts versuchte Popper eine auf (einfacher) Negation, die er Falsifikation nannte, beruhende Wissenschaftstheorie zu etablieren, traf in einer auf Logik und Empirie eingeschworenen Wissenschaftswelt aber auf taube und verstopfte Ohren.

    Spinoza hatte mit seinem Kästchenbeispiel intuitiv die Räumlichkeit als Bühne der Existenz ins Feld geführt. Man darf sich dabei aber nicht auf den geometrischen Raum beschränken. Der moderne Begriff der Orthogonalität geht über die Geometrie hinaus und verweist auf das Inkommensurable, auf das Nichthaben eines gemeinsamen Maßstabs, bzw. eines gemeinsamen Oberbegriffs. ‚Form‘ und ‚Farbe‘ z.B. können als solche ‚Kästchen’ verstanden werden. Zusammen mit anderen Kategorien bilden sie das ‚karierte Blatt Papier. Die Kategoriensysteme von Aristoteles bis Kant können als Versuche der Orthogonalisierung des Seins verstanden werden, die jedoch sämtlich an der logischen Frage: Warum diese Kategorien und nicht andere? scheiterten. Die Absolute Unwidersprüchlichkeit (Negation) hat aber weder logische noch kausale Gründe. Der Preis für das Wissens ist mit der harten Währung des Nichtwissens zu bezahlen. Das Wissen bemisst sich ausschließlich an der Absolut unwidersprüchlichen Koexistenz der Kategorien, die zueinander im Verhältnis Absoluter Negation stehen. Wissen kann nur Wissen im Kontext Absoluter Negationen sein und die letzte ‚Wahrheit‘, d.h. Nicht-Falschheit, nur das sich stufenförmig entfaltende Ganze. Hegel lehnt alle seinerzeit kursierenden Evolutionstheorien ab, weil sie aus den selbstgenügsamen Materialen des Wissens logisch animierte Geschichten konstruieren und so die räumliche Selbstbegrenzung des Wissens durch Verzeitlichung außer Kraft setzen.

    Seit ihren frühsten Anfängen fragt die Philosophie nach dem Was des Seins und dem Wie des Wissens dieses Seins. Nur Sokrates scheint eine Sonderstellung einzunehmen. Sein populäres Ich weiß, daß ich nicht weiß übersetzt sich sinngemäß aus dem Griechischen aber auch als: Zwar weiß ich was ich weiß, aber über dieses Wissen selbst weiß ich nichts. Diese Erkenntnisposition kann man als Feststellung des Scheiterns der vorsokratischen Philosophie auffassen, die sich insbesondere am scheinbar unlösbaren Problem der Bewegung und Veränderung festmachen läßt. Einzig die Eleaten hatten darauf aufmerksam gemacht, daß es sich dabei um ein Scheinprobleme handelt. Die Sokratische Erkenntnisposition ist mit Bezug auf Ontologie und Epistemologie daher monistisch. Das Wissen und das Sein sind wechselseitig generativ durch Negation miteinander verbunden. Wie läßt sich das Denken?

    Wichtig ist zunächst das Nichts, das sich nur metaphorisch beschreiben läßt. Wenn Bücher (die Literatur) mit dem Sein gleichgesetzt werden, dann ist ein Sack voller Buchstaben und Zahlen das Nichts. Im Sinne der Literatur entspricht dieser Sack mit Lettern reinem Potential. In ihm ist jedes mögliche Sein enthalten, obwohl er selbst das Nichts ist. Die Summe aller möglichen Seinsweisen addiert sich zu Nichts. Der Übergang vom Nichts zum Sein bedarf einer ersten Bestimmung, eines ersten Satzes. Dieser ist kein Urteil und kann es offensichtlich auch nicht sein, denn das Urteil setzt das entfaltete Sein (hier die Literatur) schon voraus. Die erste und jede weitere Bestimmung erfolgen spontan. Das ‚Urteil‘ über solche spontanen Bestimmungen spricht die Zensur: Bestimmungen, die erscheinen - sich zeigen - werden beibehalten, alle anderen dagegen verworfen. In der ersten Bestimmung ist schon ein ganzes spezielles Sein enthalten, jedoch noch nicht entfaltet. Erscheinen kann im Fortgang der Entfaltung jeweils nur, was vorgängigen Bestimmungen Absolut nicht widerspricht, d.h. die Zensur läßt keinen Regress zu, es sei denn um den Preis des Rückfalls ins Nichts. Ein bestimmtes Sein und das Nichts sind daher nicht identisch; das Nichts ist mächtiger als jedes in ihm enthaltene Sein. Nur als noch unbestimmtes (reines) Sein, als Potential, gilt die Hegelsche Gleichsetzung von Nichts und Sein.

    Unwidersprüchliche Bestimmungen erscheinen im Raum, wobei der Raum in allgemeinster Form gedacht werden muss, d.h. als multi-orthogonale Struktur. Orthogonale Dimensionen sind widerspruchsfrei in einem Absoluten Sinn, der weit über die logische Widerspruchslosigkeit hinausgeht, denn sie verkörpern Erhaltungsgrößen. So löst sich etwa die Absolute Widerspruchsfreiheit von Sehen und Hören (nichts ist im Sehen, das im Hören ist) erst unter dem Einfluß von Drogen auf. Im Raum können zwei Dinge bzw. Bestimmungen nicht den gleichen Ort einnehmen, denn diese wären dann nicht mehr Absolut widerspruchsfrei (orthogonal), sondern logisch-identisch. Räumlich getrennte Dinge und Bestimmungen dagegen erweisen sich qua räumlicher Trennung a priori als Absolut widerspruchsfrei. Das Wissen ist räumlich und in seiner Entfaltung raumgreifend.

    Wir hatten die Absolute Unwidersprüchlichkeit bzw. Orthogonalität schon kategorial genannt. Die Entfaltung des Wissens besteht dann darin, den vorhandenen Kategorien weitere hinzuzufügen, so, daß diese den schon vorhandenen Absolut nicht widersprechen, d.h. diese Absolut negieren. Die ‚erste Negation’ besteht dann in der kategorialen Erweiterung der Begriffe. Es sind aber nicht die Kategorien, die im Raum erscheinen - sie bilden nur das orthogonale System in dem etwas erscheinen kann. Was räumlich erscheint sind kategoriale Komposita, d.h. ‚Dinge‘, denen die Kategorien zukommen. Dies nenne ich die ‚Negation der Negation‘. Sie erzeugt partikulare Erscheinungen im System der Kategorien, wobei die Erscheinungen kein gemeinsames Merkmal mit den Kategorien teilen außer der Absoluten Unwidersprüchlichkeit. Und da nicht alle Sprecher einer Sprache und noch weniger die Sprecher unterschiedlicher Sprachen die große Vielzahl der Kategorien gleich gewichten, erscheinen ihnen die ‚Dinge’ mehr oder weniger unterschiedlich, was die Perspektive der ersten Person begründet und Grundlage dessen ist, was wir Freiheit nennen. Nun darf man diese Zweischrittigkeit der Erkenntnis von der Kategorie zum erscheinenden ‚Ding’ nicht als logischen bzw. zeitlichen Prozess verstehen, so wie Kant es tat. Treffender als der Begriff der Erkenntnis ist daher der Begriff Enthüllung, denn die spontan gefundene Kategorie (Bestimmung) war seit der ersten Bestimmung schon angelegt. Die Enthüllung selbst ist intellektuell nicht zugänglich - sie zeigt sich momentan als Erscheinung im Raum. Diese Räumlichkeit der Erscheinungen ist der Grund warum wir gezielt nach ‚Dingen‘ (z.B. Begriffen, Zusammenhängen und Problemlösungen), ja selbst nach vergessenen ‚Dingen’ suchen können. Wir können in diesem Wissensraum ‚sehen‘.

    So sehr uns Modernen die Idee der Evolution in historischer Zeit auch entgegen kommen mag, die Entfaltung des Wissens und damit der Sprache ist kein Darwinistischer Prozess in historischer Zeit. Von einer Zeit vor der Sprache zu sprechen is begging the question. Unsere zeitlichen Vorstellungen geschichtlicher Entwicklung entstammen logisch-intellektuellen Scheinwelten, die nie ein Auge zu sehen bekam und nie zu sehen bekommen wird. Die einzige Konstante dieser Zeit-Scheinwelten ist die Revolution (vom Urknall bis zum Mensch), der permanente Neuanfang, die Mode. Die (post)moderne Auffassung, daß Wissen immer nur vorläufig ist, ist daher selbst nur Mode und eine gefährliche dazu. Ist das, was gestern als wahr galt und heute falsch ist, je Wissenschaft gewesen? Und was bedeutet das für das, was heute als wahr gilt? Die räumliche Entfaltung menschlichen Wissens dagegen ist präsentisch und konservativ. Keine Bestimmung, die die Zensur passierte, ist je verloren gegangen. Die Welt ist größer und brillanter geworden, aber sie ist immer noch die gleiche. Ihre Ontologie ist ihre Epistemologie und umgekehrt: das Absolut Unwidersprüchliche existiert und zwar notwendig! Die doppelte Negation, wie ich sie sehe, geht den Weg Newtons, der nichts als immer glattere Kiesel am Meeresstrand finden wollte und, als er die Gesetze der Bewegung schließlich in Händen hielt, sich nicht gegen diese erwehren konnte, weil sich die immensen Probleme, die der Begriff ‚Bewegung‘ seit der Antike verursacht hatte, spontan zu Nichts zerfielen. Es muß ihm vorgekommen sein, als ob im Universum plötzlich das Licht angeht. Das Absolut Nicht-Falsche läßt der Zensur keine Chance der Zurückweisung, denn es überschreitet alle Grenzen und ist doch konservativ im ursprünglichen Sinne des Wortes. Das Absolut Nicht-Falsche ist daher harm-los.

    Die Logik erzwang das Auseinandertreten von Ontologie und Epistemologie aus einem phänomenalen Holismus, zu dessen Wissen expilizit und in allen Kulturen das Wissen des Nichtwissens gehörte. Übersteigerte Formen, zunächst des Rationalismus und dann (bis heute) des Empirismus, waren die Folge. Mit der Disqualifizierung der Zensur in der Moderne ging aber letztlich nicht nur die Philosophie als Wahrerin des Ganzen unter, sondern auch die Erhaltungsgrößen, d.h. die Unabhängigkeit der Kategorien. Das hat nicht nur die Wissenschaften in einen mikro-evolutiven Innovations-Furor gestürzt, der seinen Grenznutzen längst überschritten hat. Zu beobachten ist darüber hinaus der umfassende Verlust von Sinn(haftigkeit). Der Sinn aber liegt in den Kategorien - buchstäblich in den fünf äußeren Wahrnehmungskategorien - und metaphorisch in allen anderen. So wie sich unsere äußeren Sinne unter Drogeneinfluß vermengen (vernetzen) und wir damit sinn-los werden, scheint mir die Gesellschaft als Ganzes ins Sprach-Delirium abzugleiten. Und dieser Rücksturz ins Nichts steht zu befürchten lange bevor sich die Erde auch nur um ein weiteres Grad erwärmt hat.