Hochschulfinanzierung – Szenen einer Entwicklung

Die neuere Geschichte der Hochschulfinanzierung in der Schweiz anhand ausgewählter Beispiele

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    Forschungsfinanzierung stellt in der Philosophie, wie in vielen anderen Bereichen auch, eine wichtige Grundlage für die Entwicklung des akademischen Feldes dar. Auch wenn man vielleicht aus klassischen, romantischen Vorstellungen der Philosophie noch ein Bild der einsamen Denkerin vor Augen hat, die in Abgeschiedenheit und völliger Autonomie ihre Überlegungen entwickelt, trifft dies in der Realität nur allzu selten zu. Natürlich ist dies nicht erst ein Phänomen der neueren Geschichte. Auch vergangene philosophische Reflexionen waren in hohem Mass abhängig von einer gönnerhaften Person – einem Fürsten, einer Herrscherin, oder einem Grossindustriellen –, welche die Forschungsarbeit bezahlte. Neu sind einzig die professionalisierten Strukturen, welche die Geldvergabe an die Forschenden in der modernen Welt organisieren. Wo die vergangenen Förderverhälnisse, durchaus auch nur durch eine oberflächliche Betrachtung, simpel erscheinen – was den Mächtigen gefiel, durfte geschrieben werden1–, sind die heutigen Finanzierungsmechanismen komplex und undurchdringlich. Es ist aber dennoch anzunehmen, dass auch sie einen Einfluss auf die Entwicklung der philosophischen Forschung haben. Diesem Einfluss soll im vorliegenden Artikel nachgegangen werden.

    Diese Arbeit ist für das schweizerische Umfeld noch relativ neu. Auch ist die Fokussierung spezifisch auf den Bereich der Philosophie in der einschlägigen Literatur nur selten vertreten. Die philosophische Geschichtsschreibung orientiert sich oftmals noch immer an der Ideengeschichte, welche im Kontext der schweizerischen Philosophie in erster Linie der Frage nachgeht, ob die Schweiz überhaupt eine genuin eigene Philosophie hervorgebracht hat.2 Institutionelle Betrachtungen sind dabei kaum vorhanden. Beispielsweise findet sich keine für die Philosophie spezifische Aufarbeitung des statistischen Materials von durch die verschiedenen Instanzen der öffentlichen Hand vergebenen Geldern – wie dem Bund, den Kantonen oder dem Schweizerischen Nationalfonds – an philosophische Forschungseinrichtungen. Die online zugänglichen Daten des Nationalfonds lassen sich zwar nach “Sprach- und Literaturwissenschaften, Philosophie” aufschlüsseln, wodurch eine Steigerung der Forschungsgeldvergabe von 13.2 Millionen Franken im Jahr 2005 zu 31.6 Millionen im Jahr 2021 auszumachen ist, doch bleiben diese Daten alleine zu unübersichtlich, um ein klares Bild der Forschungsfinanzierung der Philosophie in der Schweiz zu zeichnen.3 Auch die statistischen Aufzeichnungen des Bundes bleiben zu wenig detailliert, um konkret nur auf Philosophie zu fokussieren. “Geisteswissenschaften” im Allgemeinen ist die kleinstmögliche Auflösung der Daten.4 Dies gilt auch für andere Daten, die in der Statistik des Bundes auftreten, wie die der Forschungs- und Innovationsförderung der Innosuisse.5

    Dies bedeutet nicht, dass eine detaillierte Auseinandersetzung mit den vorhandenen Daten des SNF, Bund und Kantone nicht ein wünschenswertes Projekt wäre, welches vermutlich doch enger umrissene Aussagen über die Finanzierung der Philosophie machen könnte. Allerdings lässt sich dies im Rahmen dieses Artikels kaum bewerkstelligen. Ohne eine solche genauere Untersuchung der Datenlage wird es allerdings schwierig, konkrete Aussagen über die Forschungsfinanzierung der Philosophie zu tätigen. Der vorliegende Artikel begegnet diesem Problem dadurch, dass er sich darauf beschränkt, skizzenhaft allgemeine Tendenzen in der Gestaltung der Forschungsfinanzierung nachzuzeichnen. Dazu werde ich mich auf die, für diesen Themenbereich bereits reichhaltiger vorhandene, Forschungsliteratur aus anderen Ländern beziehen und die darin beschriebenen Entwicklungen anhand zweier „Szenen“ aus der schweizerischen Geschichte beispielhaft illustrieren. Zu diesem Zweck werde ich zunächst die Grundzüge des schweizerischen Forschungsfinanzierungssystems umreissen.

     

    Grundlegende Struktur

    Der tertiäre Bildungssektor in der Schweiz besteht aus den Universitäten, den Fachhochschulen und den Eidgenössischen Technischen Hochschulen – ETH Zürich und Lausanne –, wobei ich mich im weiteren auf die Betrachtung der Universitäten und der ETHen beschränken werden. Diese verschiedenen Schulen zeichnen sich durch verschiedene Formen der Finanzierung und Strukturierung aus. Die ETHen werden direkt vom Bund finanziert, die Universitäten vom jeweiligen Kanton mit der Unterstützung der Nicht-Hochschulkantone und des Bundes.6 Zusätzlich zu diesen Finanzierungsmechanismen kommen Drittmitteleinnahmen, die beispielsweise vom SNF oder von privatwirtschaftlichen Akteuren stammen.7

    Grundlegend für die Finanzierung der Universitäten in der Schweiz ist die sogenannte Hochschulrechnung.8 Diese definiert, welche Teile der universitären Finanzierung durch den Bund oder die Kantone übernommen werden. An der Hochschulrechnung sind drei Einnahmequellen beteiligt: erstens die Hochschule selbst, durch Studien- und Prüfungsgebühren; zweitens der Standortkanton durch die Integration der universitären Ausgaben in sein eigenes Budget und die Unterstützung der anderen Kantone auf Basis der „Interkantonalen universitären Vereinbarung“, die in sein Budget einfliessen; drittes der Bund durch Grundbeiträge an die Kantone, die Übernahme des Globalbudgets der ETHen und weitere Beteiligungen an Projekten und Investitionen.9

    Die Hochschulrechnung macht allerdings nur einen Teil der Finanzierung der schweizerischen Hochschulen aus. Im Jahr 2004 beispielsweise deckte sie 79% der gesamten Hochschulausgaben (4.91 Milliarden Franken) ab, was 3.88 Milliarden Franken entsprach. Die übrigen 21%, also 1.03 Milliarden Franken, wurden durch Drittmittel finanziert. Ein Drittel, 344 Millionen Franken, wurde vom SNF und zwei Drittel, 688 Millionen Franken, von andern Drittmittelquellen übernommen.10

    Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurden 74 % der gesamten Hochschulfinanzierung (6.3 Milliarden Franken von 8.5 Milliarden) von der Hochschulrechnung gedeckt. Der SNF übernahm für Projekte in der Schweiz 8.3% der Gesamtausgaben (710 .6 Millionen Franken). Die restlichen 17.7% wurden von anderen Dirttmitelquellen übernommen, wobei der grösste Einzelanteil von 6.7% (556.5 Millionen Franken) durch Forschungsmandate aus dem privaten Sektor gedeckt wurde.11

    Werden diese Zahlen etwa mit den Statistiken in Deutschland verglichen, zeigt sich, dass der Staat in der Schweiz einen vergleichsweise hohen Anteil an der Gesamtfinanzierung übernimmt. In Deutschland gestaltet es sich so, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), eine dem SNF ähnliche Institution, für die Jahre 2001 bis 2003 30,8 % der Gesamtfinanzierung übernommen hat, der Bund und andere öffentliche Bereiche gerade mal 29.6%.12 Dieser Unterschied ist unter anderem dahingehend wichtig, dass Gelder von Instanzen wie dem SNF oder DFG in anderer Form herausgegeben werden, als Gelder die mit der Hochschulrechnung oder der deutschen Grundfinanzierung zusammenhängen. Um Drittmitelgelder muss, anders als beim fixen Budget einer Universität, bei welchem es auf direkte Verhandlungen mit der jeweiligen staatlichen Instanz ankommt, konkurriert werden. Solche Konkurrenzverhältnisse schaffen neue Formen der Kontrolle und Steuerung von Forschung, da wissenschaftliche Akteure sich in höherem Mass an gewissen evaluativen Kriterien orientieren müssen.13 Dazu allerdings mehr im nächsten Abschnitt.

     

    Allgemeine Tendenzen

    In Beschreibungen der Entwicklungen von Universitäten nach Ende des Zweiten Weltkriegs taucht oftmals der Begriff der „Ökonomisierung“ auf.14 Im Groben ist damit eine Entwicklung gemeint, welche die Universität, zusammen mit anderen Institutionen der Öffentlichkeit, verstärkt am Modell des wirtschaftlichen Unternehmens orientiert. Unter diesem Prozess werden Techniken, Praktiken, Regulierungen und Instrumente verstanden, welche versuchen, wirtschaftliche Effizienz als Grundlage öffentlicher Dienste zu etablieren.15

    Der genaue Ursprung und die Akteurschaft dieser Tendenzen, welche oftmals auch lose unter dem Begriff des „Neoliberalismus“ verhandelt werden, sind schwer zu identifizieren. Klassische Darstellungen nennen oftmals die Mont Pelerin Society – eine Gruppe von Ökonom:innen, welche die theoretischen Grundbausteine für sogenannt neoliberale Politiken legten – und die Regierungen Reagan in den USA und Thatcher in England.16 Der Neoliberalismus solcher Überlegungen basiert auf der zentralen Annahme, dass Marktmechanismen fundamentalere Zustände der Gesellschaft darstellen würden, als die Politik. Oftmals wird dabei eine normativ aufgeladene Ontologie des ‘natürlichen’ Marktes ins Feld geführt, welche diesen von artifiziellen und negativ konnotierten, politischen Massnahmen unterscheidet. Politische Eingriffe in den Markt würden dieser Argumentation folgend nur zu krisenhaften Zuständen führen, da sie vermeintlicherweise die optimale Allokation von Gütern unterbinden und somit die ‘natürliche’ Selbstregulierung des Marktes beeinträchtigen. Dementsprechend sollten auch alle öffentlichen Entscheidungsmittel marktförmig organisiert werden, da solche Massnahmen am meisten Effizienz versprechen.17 Radikale Sparmassnahmen und der Abbau von bürokratischer Steuerung waren oftmals die Folgen.18

    Neuere historische und soziologische Darstellungen des Neoliberalismus weisen darauf hin, dass Deregulierung nur eine der Tendenzen dieser politischen Strategien darstellt. Hinter dem vermeintlichen Abbau staatlicher Kontrolle entstehen neue Formen der Regulierung und Steuerung.19 Solche Steuerungsmechanismen manifestieren sich nicht in direkten politischen Geboten und Verboten, sondern sind in komplexen Evaluationsprozessen und Zielsetzungsstrategien eingebettet.20 Durch diese Vorgehensweisen, die auch New Public Management genannt werden, kann eine indirekte Kontrolle über Institutionen ausgeübt werden, indem beispielsweise finanzielle Mittel an die Erfüllung gewisser Gütekriterien gebunden werden. Dadurch wird erreicht, dass sich das Verhalten von Personen und Institutionen zunehmend an die zu erfüllenden Parameter anpasst und sie dabei ihre eigenen Handlungen durch einen an den Messkriterien orientierten Konformismus selbst regulieren.

    Die neuere Geschichte der Universität spielt sich inmitten dieser allgemeineren Tendenzen ab.21 Dies geschieht in verschiedenen Länder zu unterschiedlichen Zeitpunkten. In England veröffentlicht der sozialistische Historiker Edward Palmer Thompson bereits zu Beginn der 1970er Jahre eine kritische Auseinandersetzung seiner Studierenden mit den Entwicklungen an der Warwick University. Unter dem Titel „Warwick University ltd.“ beschreiben die Beiträge eine, aus ihrer Sicht bedenkliche, Entwicklung der Universität hin zu einer, einem Unternehmen ähnlichen, Organisation, in welcher die Ausbildung von Arbeitskräften, enge Verknüpfungen mit der Wirtschaft und hierarchische Entscheidungsmechanismen der Universitätsführung im Zentrum stehen.22

    Im deutschsprachigen Raum, im Speziellen in Deutschland, sind diese Tendenzen seit Anfangs der 1970er Jahre feststellbar.23 Auch in der Schweiz scheinen erste, auf Sparmassnahmen abzielende Veränderungen der universitären Bildung in den 1970er Jahren registriert worden zu sein, wobei radikalere Einschnitte in beiden Bildungssystemen ab den 1980er Jahren eintraten.24 Beobachten lässt sich dies unter anderem daran, dass der der Ökonomie entlehnte Begriff der „Konkurrenz“ vermehrt als zentraler Steuerungsmechanismus der Universitäten Einzug hielt.25

    In ihren Studien zur „Archäologie des Wettbewerbs“ beschreibt Margit Szöllosi-Janzen, wie Konkurrenz als ein Steuerungsmittel der Universität im (west-)deutschen Kontext seit den 1980er Jahren etabliert wurde. Politik, so die Auffassung einiger der damaligen Akteure, war nicht dazu geeignet, komplexe Gebilde, wie die Universität, sicher und effizient zu lenken. Deshalb sollte der in der Wirtschaft erprobte Mechanismus des Wettbewerbs Abhilfe schaffen.26 Dies geschah auf einer politischen Ebene dadurch, dass Geldmittel vermehrt nicht mehr direkt an Universitäten vergeben wurde, sondern über Drittmittelinstanzen. Dadurch mussten die Universitäten gegeneinander antreten, um die Gelder für ihre Institute zu sichern.27 In enger Verbindung mit dieser Entwicklung geschah der Ausbau formalisierter, quantitativer Leistungsmessungen, an welche die Vergabe von Fördermitteln gebunden wurden.28 So kam es, dass auch innerhalb der Universität verschiedene Abteilungen zueinander in Konkurrenz gesetzt wurden. Dies zeigte sich unter anderem daran, dass basierend auf den durchgeführten Evaluationen Mittel der Grundfinanzierung, und nicht nur der Drittmittelförderung, leistungsbasiert vergeben wurden.29

    Für die Schweiz wurden solche Entwicklungen noch nicht in diesem Ausmass und Detailliertheit ausgearbeitet. Es bleibt mir an dieser Stelle nur übrig, diese Tendenzen an zwei Beispielen etwas zu illustrieren. Beim ersten handelt es sich um ein Pamphlet, welches 1985 von Vertreter:innen des Mittelbaus der Universität Zürich herausgeben wurde und sich gegen vermetilischerweise erste Tendenzen der Ökonomisierung der universitären Bildung stellte.30 Als zweite Szene der Entwicklung werde ich auf einen Essay von Charles Kleiber, Staatssekretär für Bildung von 1997 bis 2007, eingehen, welcher „Konkurrenz“ zum zentralen Steuerungsmechanismus der “Universität von Morgen” erhob.31

     

    Szene 1: Widerstand gegen die Sparpolitik

    «Die ‹alma mater› ist im Begriff, ihre Kinder aufzufressen», steht in einem Beitrag aus «Hochschulpolitik in der Sparklemme. Beiträge zur Situation des Mittelbaus», einer Informationsbroschüre von VPOD Sektion Staatsbeamte – die Gewerkschaft der Mitarbeiter:innen der öffentlichen Dienste – mit Untersuchungen zur Sparpolitik an der Universität Zürich, die 1985 herausgeben wurde.32 In der Broschüre argumentiert die anonyme Autorenschaft, dass die seit den 1970er Jahren vorangetriebene Sparpolitik in der öffentlichen Verwaltung auch die Universität empfindlich treffe. Die resultierenden Einbussen in der Lehr- und Forschungsqualität bekämen vor allem Studierende und (junge) Mitarbeitende des akademischen Mittelbaus zu spüren.

    Ausgangslage der Argumentation in der Broschüre ist eine anhaltende, sogenannt „bürgerliche“ Sparpolitik in allen Bereichen der öffentlichen Dienste. Gegen Ende der 1960er Jahre mussten, so die Autor:innen, in der Schweiz wichtige öffentliche Investitionen getätigt werden, welche beispielsweise die Bereiche Bildung, Umweltschutz und Gesundheitswesen betrafen.33 Dies führte in Folge dazu, dass die Staatsverschuldung zu Beginn der 1970er Jahre anstieg.34 Bürgerliche politische Kräfte forderten deshalb, dass in den öffentlichen Institutionen massive Sparbemühungen umgesetzt werden. Dies geschah, gemäss den Autor:innen, in erster Linie in Form von Lohnabbau und Einstellungsstopp, welche das Personal öffentlicher Einrichtungen empfindlich trafen.35 Für den Kanton Zürich bedeutete dies beispielsweise, dass im Bereich der Bildung über fünf Jahre hinweg 60 Stellen eingespart werden sollen – wobei allerdings aus dem Dokument die damalige Gesamtstellenzahl nicht hervorgeht.36

    Solche Sparbemühungen manifestierten sich an den Universitäten unter anderem dadurch, dass die Kostenverteilung zwischen den einzelnen Instanzen (Bund, Standortkantone und restliche Kantone) nicht angepasst wurde, wodurch die Universitäten notgedrungen vom beschränkten Budget der Standortkantone abhängig gemacht wurden.37 Für das Jahr 1985 bedeutet dies, dass der Bund lediglich 15%, der Kanton 80% und die restlichen Kantone 4.5% der Kosten der Universität Zürich übernahmen.38 In einem Bericht der Schweizerischen Hochschulkonferenz aus dem Jahr 1983 wurde eine Beteiligung des Bundes von mindestens 25% gefordert, damit der universitäre Betrieb stabil weitergeführt werden konnte.39 Durch die radikale Föderalisierung des Universitätsbetriebes sollte garantiert werden, dass keine zusätzlichen Gelder des Staates in die Kassen der Universitäten flossen und die Verschuldung des Bundes vertiefen würden. Dieser Umstand hat sich seither durchaus verändert. Im Jahr 2020 lag die Beteiligung des Bundes an den Universitäten (gerechnet ohne die Beteiligung des Bundes an den ETHen) bei 31% – 1.98 Milliarden Franken von 6.4 Milliarden.40 Mit dem Globalbudget der ETHn beträgt die Beteiligung des Bundes gar 47.9% der gesamten Hochschulausgaben oder 4.06 Milliarden Franken von 8.48 Milliarden.41

    Bei stetig wachsenden Studierendenzahlen drohte dies Qualitätsverluste in der Lehre mit sich zu bringen, da durch die Abwesenheit von Bundesgeldern wichtige infrastrukturelle Investitionen ausblieben. Dies zeigte sich für die Autor:innen beispielsweise bei baulichen Massnahmen, die garantieren sollten, dass die Studierenden genügend Platz in den Universitätsgebäuden finden.42 Wichtige architektonische Neuerungen blieben allerdings nicht über alle Disziplinengleich verteilt aus: Während sich die Nutzfläche pro Student:in in den Geisteswissenschaften zwischen 1971 und 1987 kaum veränderte (von 2.96 m2 pro Studentin im Jahr 1971 zu 3.66 m2 im Jahr 1987), verdoppelte sie sich in den Natur- und Ingenieurswissenschaften fast (von 13.05m2 pro Student:in im Jahr 1971 zu 21.95m2 im Jahr 1987).43 Und dies geschaf, owohl der Zulauf von neuen Studierenden in den Geisteswissenschaften (1971: 5’580 Studierende, 1987: 11’284) höher war als in den Naturwissenschaften (1971: 2’167, 1987: 3’641). Daran kann, den Autor:innen gemäss, abgelesen werden, dass die Sparmassnahmen nicht alle Disziplinen gleichermassen traf, sondern die vermeintlich wettbewerbsfähigeren und für die Wirtschaft attraktiveren Natur-und Ingenieurswissenschaften gezielt bevorzugt wurden.44 Die Autor:innen sind sich durchaus bewusst, dass dieser Investitionsunterschied zum Teil auf den erhöhten Platzbedarf der Naturwissenschaften zurückzuführen ist. Doch werden für sie in dem klaren Unterschied auch erste Anzeichen neoliberaler Steuerungsversuche durch gezielte, sogenannt leistungsbasierter Finanzierung spezifischer Disziplinen sichtbar.

    Für die Studierenden hatten die Sparmassnahmen ebenfalls zur Folge, dass schlechtere Betreuungsverhältnisse entstanden, da eine unterrichtende Person für immer mehr Studierende zuständig wurde. So kamen in Zürich in der Philosophischen Fakultät 1, an welcher die Geisteswissenschaften angesiedelt waren, im Jahr 1971 47 Studierende auf eine dozierende Person, im Jahr 1983 waren es bereits 80. An der Ökonomischen Fakultät hingegen war der Trend rückläufig: Im Jahr 1971 betreute eine Person durchschnittlich 64 Studierende, waren es im Jahr 1983 trotz steigender Gesamtstudierendenzahlen noch 55.45 Wiederum scheinen die sparpolitischen Einschnitte bis zu einem gewissen Grad an Kriterien des vermeintlichen (wirtschaftlichen) Nutzens einer Disziplin gebunden zu sein – auch wenn das Ungleichgewicht sicherlich auch durch andere Faktoren beeinflusst gewesen sein konnte.

    Die kantonalen Einsparungen beim Personal zogen zusätzlich die Konsequenz mit sich, dass vor allem Personen aus dem akademischen Mittelbau unter einer höheren Arbeitsbelastung litten, da ihnen zusätzlich zu Lehr- und Forschungsaufgaben auch noch administrative Tätigkeiten aufgelastet wurden.46 Verschärft wurde dieser Umstand dadurch, dass viele Assistierendenstellen, gerade im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich, temporäre Teilzeitstellen waren. Die Autor:innen vermuten dahinter unter anderem eine Strategie, mehr Arbeit auf gleich viele Stellenprozente zu verteilen, da angenommen werden könnte, dass bei Teilzeitanstellungen die Bereitschaft für Gratisarbeit höher sei.47 In einer Umfrage an der Universität Zürich im Rahmen der hier zitierten Broschüre verlangten deshalb 63% der Befragten, dass neue Stellen geschaffen werden sollten.48 Für den weiteren Bereich der Forschungsfinanzierung bedeutete dies, dass Drittmittelförderungen für Personen immer wichtiger wurden, da die Finanzierung durch den Kanton nicht für alle Stellen ausreichte.49

    Auch wenn sich aus diesen Betrachtungen keine eindeutigen Entwicklungen für die Disziplin der Philosophie ablesen lassen, umreissen sie doch ein Umfeld, in welchem die Geisteswissenschaften durch Sparpolitik und damit zusammenhängende Finanzierungsstrategien unter Druck gerieten. Gerade in einem Fach wie Philosophie, wo nahe Betreuung und ungehinderte Reflexion über grundlegende Fragestellungen einen wichtigen Anteil an der wissenschaftlichen Tätigkeit ausmachen, kann davon ausgegangen werden, dass die beschriebenen Veränderungen durchaus ihre Spuren hinterliessen.

     

    Szene 2: Die Universität der Zukunft

    Unter dem Titel „Die Universität von Morgen. Visionen, Fakten, Einschätzungen“ publizierte 1999 Charles Kleiber, damaliger Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, einen Essay zu den Tendenzen der Entwicklungen der universitären Ausbildung.50 In dem Schriftstück, welches mit einem Geleitwort von der damaligen Bundespräsidentin Ruth Dreifuss und dem damaligen Bundesrat Pascal Couchepin versehen ist, entwickelte Kleiber die für ihn zentralen Strategien einer Universität, die den Herausforderungen des kommenden 21sten Jahrhunderts standhalten sollte. Der Begriff der „Konkurrenz“ spielte für ihn dabei eine zentrale Rolle.51

    Die Universität der 1990er Jahren wird von Kleiber hierbei als das dritte Modell, das sogenannte “komplexe Modell”, der schweizerischen Universitäten seit dem Zweiten Weltkrieg gedeutet. Vor und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte für ihn das „autarke Modell der Universität“ vor, welches sich vor allem durch eine kleine elitäre Organisationsform ausgezeichnet, in welcher die Professoren den Grossteil der universitären Entscheidungs- und Gestaltungsmacht inne hatten.52 Dieses Modell wurde in den 1970er Jahren vom „offenen Modell“ abgelöst, welches sich durch eine erhöhte Anzahl Studierender und einer Abkehr von den „oligarchischen“ Strukturen des „autarken Modells“, indem die Macht von den Professuren hin zu zentralisierten Entscheidungsgremien verlagert wurde, auszeichnete.53 Das “komplexe Modell” entstand in den 1990er Jahren aufgrund von weiter zunehmenden Studierendenzahlen und auf Druck der internationalen Vernetzung von Wirtschaft und Forschung. In diesem Kontext scheint es unmöglich geworden zu sein, die Universität auf herkömmlichem Weg zu steuern, weshalb nach Anreiztechniken – etwa des New Public Management – gesucht werden muss, welche die gewünschten Ergebnisse hervorbringen sollen.

    Der Begriff der “Konkurrenz” taucht gerade in diesem Zusammenhang prominent auf:54 “Konkurrenz” soll, so der Autor, zusammen mit “Kooperation” einen Steuerungsrahmen für die Herausforderungen der modernen Universität liefern, welcher die verschiedenen Aspekte einer funktionierenden Forschungsgemeinschaft miteinander verknüpft. In einer, zugegebenermassen etwas blumigen, Formulierung drückt Kleiber dieses Zusammenspiel wie folgt aus:

    „Es gilt also, die Dialektik der Zusammenarbeit und der Konkurrenz zu nutzen, ein Kräftespiel zu entwickeln, in welchem diese zwei Organisationsprinzipien in einen Dialog treten, in welchem der Wille den Anreiz unterstützt und der Konkurrenzdruck die Zusammenarbeit stimuliert. Diese Dynamik wird zur Mobilität des Einzelnen und der Ressourcen sowie zur Flexibilität der Strukturen beitragen und erfordert demnach das Engagement der gesamten universitären Gemeinschaft.“55

    Dies scheint in erster Linie zu bedeuten, dass genauere evaluative Prozesse in den einzelnen universitären Bereichen etabliert werden, welche eine vertiefte Anpassung der universitären Leistungen an die Bedürfnisse der Wirtschaft und Gesellschaft ermöglichen.56 Dies soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass die Universitäten sich im In- und Ausland vermehrt vernetzen und bestimmte Bereiche der Forschung, die für den internationalen Wettbewerb taugliche Ergebnisse liefern, im Namen der “Exzellenz” gezielt gefördert werden.

    Wirklich konkrete Bezüge zur Forschungsfinanzierung finden sich dabei allerdings wenige. Zu vage bleiben die Mechanismen, durch welche die viel gelobte Konkurrenz die Herausforderungen für die Universitäten beheben soll. Zu vermuten ist allerdings, dass sich hinter diesen Skizzierungen die Vorstellung verbirgt, dass Forschungsgelder anhand von minutiös vorgenommenen Evaluationsverfahren vergeben werden, welche sich beispielsweise am gesellschaftlichen Nutzen des produzierten Wissens orientieren. Ebenfalls scheint klar, dass Finanzierung in noch höherem Mass auf einzelne, sogenannt “exzellente” Disziplinen und Forschungsinstitutionen konzentriert werden soll.57

    Wie sich dieser Diskurs bis in die Gegenwart entwickelt hat, ist bedeutend schwieriger zu beurteilen als die Veränderungen in den Finanzierungsstatistiken. Ein kleiner Einblick gewährt das Papier “Die Schweizer Hochschulpolitik: Einblicke und Ausblicke. Ein Versuch zu sechs Händen”, welches im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung und Forschung (SBF) von Mauro Martinoni – Pädagoge –, Benedetto Lepori – Forschungsexperte – und Mouro Dell’Ambrogio – seit 2008 Staatssekretär für Bildung und Forschung – 2008 verfasst wurde.58 Der Begriff der Konkurrenz ist immer noch präsent, doch scheint ihm – zumindest diskursiv – nicht mehr die gleich zentrale Rolle zuzukommen wie bei Kleiber. “Autonomie” hingegen wurde zum neuen Schlüsselbegriff der Universität von Morgen.59 Was aber damit gemeint ist, scheint sich nicht allzu sehr vom Begriff der “Konkurrenz” bei Kleiber zu unterscheiden: die Universität soll sich von direkten staatlichen Regulierungen befreien, wobei die Qualität der Institutionen dadurch gesichert wird, dass sie dem angelsächsischen Modell folgend gegenseitig in Konkurrenz um Forschungsförderung treten sollen.60 Nur die besten, “exzellentesten” Einrichtungen würden sich dabei behaupten können. Es würde eine quasi natürliche Selektion hervorragender Universitäten stattfinden, welche auf dauer besser Institutionen hervorbringen würde als staatliche Regulierung.

     

    Abschliessende Betrachtungen

    Wie eingangs bereits erwähnt wurde, können die hier getätigten Betrachtungen keinen klaren Einblick in die konkreten Entwicklungen der Hochschulfinanzierung der Philosophie liefern. Zu allgemein und oberflächlich bleibt die vorläufige Quellenlage. Allerdings, so hoffe ich zumindest, machen die besprochenen “Szenen” deutlich, dass eine noch genauere Untersuchung der umrissenen Tendenzen von Nöten ist. Auch in der schweizerischen Hochschulpolitik scheinen sich Aspekte einer neoliberalen Finanzpolitik etabliert zu haben. Und um detaillierter zu verstehen, wie die schweizerische philosophische Forschung zu dem wurde, was sie heute ist und auch um potenziell negative Konsequenzen der vorherrschenden Hochschulorganisation für die Philosophie, wie auch für andere Disziplinen, erkennen und abwenden zu können, müssen die hier umrissenen Entwicklungen tiefgreifender untersucht werden. Der vorliegende Artikel hofft mögliche Ansatzpunkte für eine solche vertiefte Auseinandersetzung zu liefern.

     

     

     

    Literatur


    1 David, Paul A. 2004. “Understanding the emergence of ‘open science’ institutions: functionalist economics in historical context.” Industrial and Corporate Change. 13(4): 571-589.
    2 Meyer, Martin. 1981. Philosophie in der Schweiz. Eine Bestandesaufnahme, von Lambert (1728-1778) bis Piaget (1896-1980). Zürich/München. Vgl. auch Dejung, Christoph. 1999. Philosophie aus der Schweiz, Zürich.
    3 Für das Jahr 2021 https://data.snf.ch/key-figures/disciplines?s2=1&s3=1 (Stand 20.04.2022) für das Jahr 2005 https://data.snf.ch/key-figures/disciplines?s2=1&s3=1&s5=16 (Stand 20.04.2022).
    4 BfS. 2021. “Finanzen der universitären Hochschulen 2020.” online abgerufen unter: https://www.google.com/url?q=https://dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/19805380/master&sa=D&source=docs&ust=1650534606909650&usg=AOvVaw0O4DWJy-8KjvAWOuhZOR1D (stand 21.04.2022)
    5 Ebd.
    6 Kaiser. 2007. a.a.O.
    7 Ebd.
    8 Ebd. 19-25.
    9 Ebd. 21.
    10 Ebd. 23.
    11 BfS. 2021. “Finanzen der universitären Hochschulen 2020.” online abgerufen unter: https://www.google.com/url?q=https://dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/19805380/master&sa=D&source=docs&ust=1650534606909650&usg=AOvVaw0O4DWJy-8KjvAWOuhZOR1D (stand 21.04.2022)
    12 Kaiser. 2007. a.a.O. 33.
    13 Szöllosi-Janzen, Margit. 2021. “Archäologie des Wettbewerbs. Konkurrenz in und zwischen Universitäten in (West-) Deutschland seit den 1980er Jahren.” VfZ. 69(2): 241-276. Vgl. auch Kleiber, Charles. 1999. Die Universität von Morgen. Visionen, Fakten, Einschätzungen. Schweiz.
    14 Vgl. Szöllosi-Janzen. 2021. a.a.O. Brienza, Casey. 2016. “Degrees of (Self-)Exploitation. Learning to Labour in the Neoliberal University.” Journal of Historical Sociology. 29(1): 92–111, Vernon, James. 2019. “The Making of the Neoliberal University in Britain.” Critical Historical Studies. 5(2): 267–80.
    15 Harvey, David. 2005. A Brief History of Neoliberalism. Oxford.
    16 Harvey. 2005. a.a.O. 20-36. Deboni, Sacha. 2021. “Wettbewerb und Subsidiarität: Wissensnetzwerke der SVP.” in: Max Stadler, Janosch Steuwer,Monika Wulz (Hg.): Rechtes Wissen: Konstellationen zwischen Universität und Politik.
    17 Harvey. 2005. a.a.O.
    18 Ebd. vgl. auch VPOD. 1985. a.a.O.
    19 Wulz, Monika/Stadler, Max/Güttler, Nils/Grütter, Fabian (Hrsg.). 2021. Deregulation und Restauration. Eine politische Wissensgeschichte. Berlin und Szöllosi-Janzen. 2021. a.a.O.
    20 Ebd. vgl. beispielsweise Kleiber. 1999. a.a.O.
    21 Szollösi-Janzen. 2021. a.a.O. Vernon. 2019. a.a.O. und Brienza. 2016. a.a.O.
    22 Thompson, Edward P (Hrsg.). 1970. Warwick University ltd. Nottingham.
    23 Szöllosi-Janzen. 2021. a.a.O. 246-247.
    24 Ebd. 241 ff. für die Entwicklungen in der Schweiz vgl. VPOD. 1985. a.a.O.
    25 Szöllosi-Janzen. 2021. a.a.O.
    26 Ebd. 250-254.
    27 Ebd. 254-257.
    28 Ebd. 257-263.
    29 Ebd. 259.
    30 VPOD. 1985. a.a.O.
    31 Kleiber. 1999. a.a.O.
    32 VPOD. 1985. a.a.O. 64.
    33 Ebd. 6.
    34 Ebd. 6-7.
    35 Ebd. 8-9.
    36 Ebd. 9.
    37 Ebd. 15-16.
    38 Ebd. 15.
    39 Ebd. 15.
    40 BfS. 2021. a.a.O. wobei hier beachtet werden muss, dass in dieser Rechnung noch Private Gelder der Hochschulen mit eingerechnet sind, die möglicherweise auch einer der ETHen gehören, allerdings in der Statistik als solche nicht zu erkennen sind, was aber das Ergebnis verzerren könnte. Würden diese möglichen Gelder vom Total abgezogen, wäre die Beteiligung des Bundes noch höher, wenn auch nicht sehr viel. 31% setzt somit eine untere Grenze fest.
    41 Ebd.
    42 VPOD. 1985. a.a.O. 28-30.
    43 Ebd. 30.
    44 Siehe für die Entwicklung in Deutschland Szöllosi-Janzen. 2021. a.a.O. 254-257.
    45 VPOD. 1985. a.a.O. 58.
    46 Ebd. 42.
    47 Ebd. 44.
    48 Ebd. 47.
    49 Ebd. 47 ff.
    50 Kleiber. 1999. a.a.O. 9.
    51 Ebd. 10.
    52 Ebd. 19-23.
    53 Ebd. 23-25.
    54 Ebd. 25-31.
    55 Ebd. 12.
    56 Ebd. 12-13.
    57 Ebd. 77.
    58 Dell’Ambrogio, Mauro/Lepori, Benedetto/ Martinoni, Mauro. (2008). Die Schweizer Hochschulpolitik: Einblicke und Ausblicke. Ein Versuch zu sechs Händen. Schweiz.
    59 Ebd. 25, 32 -36, 38, 40, 47, 51, 66.
    60 Ebd. 13, 55-56.