Erfolgreiche Roboter-Ärztin = Ärztin?

– ein kritischer Kommentar zur Gleichsetzung von zwischenmenschlichen und Mensch-Maschine-Interaktionen

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    Roboter werden ÄrztInnen ersetzen können, spekulieren technikaffine Kreise und sehen durch diese Möglichkeit bereits die zwischenmenschliche Interaktion als Spezifikum in Frage gestellt.

    Mit der Vorstellung der Ersetzung des Menschen durch den Roboter wird das Verhältnis von Mensch und Maschine verhandelt. Dieses Aushandlungsverhältnis steht kulturgeschichtlich in der Tradition, entweder den besonderen Status des Menschen in der Welt durch die Abgrenzung zur Maschine geltend zu machen, oder diesen Status durch die fehlende Differenz in Frage zu stellen. Eine Art finale anthropologische Entscheidung – Ist der Mensch durch den Roboter ersetzbar? – steht daher im Zentrum der Spekulationen um intelligente und autonome Maschinen. Für ein differenziertes Verständnis der Phänomene der zwischenmenschlichen und der Mensch-Maschine-Interaktion ist sie jedoch wenig hilfreich. Sie führt zur Überhöhung des Kriteriums der gelungenen Interaktionsleistung und zu einer simplifizierten Perspektive auf die soziale Komplexität der zwischenmenschlichen Interaktion.

    Nehmen wir das Szenario, in dem eine Ärztin durch eine perfekt simulierte Roboter-Ärztin ersetzt wird: Die Roboter-Ärztin trifft in dieser Vorstellung nicht nur verlässlichere Diagnosen als ihre menschliche Konkurrentin, sondern sie ist auch souveräner darin, diese Diagnose den Patientinnen und Patienten zu überbringen. Die denkbare technologische Machbarkeit eines solchen Szenarios führt nicht selten zur Behauptung, dass es in diesem Fall nicht mehr gerechtfertigt wäre, von spezifischen Interaktionsformen auszugehen. Wenn die Interaktion zwischen Mensch und Roboter den gleichen Zweck wie die zwischenmenschliche Interaktion erfüllt, dann besteht demnach kein Anspruch mehr darauf, zwischen den beiden Situationen zu unterscheiden. Das Problem, das sich hier allerdings stellt: Aus dem Befund der funktionalen Äquivalenz der Kommunikation folgt nicht, dass sich die Beschreibung dessen, was während einer zwischenmenschlichen Interaktion passiert, in der Beschreibung der vom Roboter erfolgreich simulierten ‚kommunikativen Oberfläche‘ erschöpft. Hier wird durch das Szenario eine stark vereinfachte Beschreibung der sozialen Komplexität derjenigen Beispielsituation gegeben, anhand derer die Gleichartigkeit der Interaktion zur Darstellung gebracht werden soll.

    Mitunter missachtet diese Gleichsetzung die sozial wirkungsmächtige und in der Regel unhinterfragte Annahme, dass man in der zwischenmenschlichen Interaktion meist vom kommunikativen Gegenüber als einem Akteur mit einer bewussten Erfahrung und einer je spezifischen Erfahrungsgeschichte, in der man selbst vielleicht bereits vorkommt, ausgeht. Diese Annahme hat zur Folge, dass die Ärztin nicht nur eine Wirkung intendiert, wenn sie zum Beispiel trostspendende Worte äussert. Im Bewusstsein um das Erleben ihres Gegenübers fühlt sie darüber hinaus vielleicht auch mit dem Patienten mit – oder täuscht dieses Mitgefühl vor, um den sozialen Erwartungen an ihre professionelle Rolle gerecht zu werden. Weiter hat sie möglicherweise Zweifel, ob die Art des Trosts angemessen ist. Um dies zu beurteilen, wird sie versuchen, die Perspektive ihres Patienten einzunehmen. Dieser wiederum empfindet den Trost vielleicht als hilfreich oder aber als unangemessen.

    Eine solche Situation ist durch die Wechselseitigkeit der Perspektiven charakterisiert. Die Interaktionsteilnehmenden verfolgen dabei meist gemeinsame Ziele, mindestens zum Beispiel eine gelungene Kommunikation. Solche Ziele unterscheiden sich von der zielgeleiteten Interaktion mit dem Roboter mit den hier angenommenen Fähigkeiten: Sie zeichnen sich durch das Vorhandensein einer gemeinsamen Intentionalität (einem „Wir“-Bewusstsein) aus.[1] Damit soll weder behauptet werden, dass die zwischenmenschliche Interaktion per se wünschenswerter ist, noch dass diese stets von Empathie geprägt ist. Einerseits würde der Patient, falls ihn die Sorge der Ärztin beunruhigt, die Kommunikation mit dem Roboter vermutlich bevorzugen, andererseits mag die Anteilnahme der Ärztin beschränkt sein (das ändert aber nichts an ihrer bewussten Erfahrung und ihrem Wissen um das Vorhandensein der Patienten-Perspektive).

    Je nachdem, welche Auffassung von Intentionalität zugrunde gelegt wird, mag man gewillt sein, die Leistung des Tröstens einer entsprechend programmierten Roboter-Ärztin ebenfalls zuzuschreiben. Doch selbst wenn die Zuschreibung gewisser Fähigkeiten, wie Diagnosen zu stellen oder PatientInnen zu betreuen, nicht mehr verweigert werden kann, so sollte eine Gleichsetzung, die auf dem Erfolg der Maschine beruht, nicht nur aus deskriptiver, sondern auch aus normativer Perspektive kritisch gesehen werden. Werden diese Interaktionsformen aufgrund ihrer funktionalen Äquivalenz zu einer Kategorie zusammengefasst, so wird ein soziales Verständnis befördert, in dem sich zwischenmenschliche Interaktion einzig durch das Erfüllen spezifischer Zwecke konstituiert.

    Statt sich in der Diskussion um die Fähigkeiten der Roboter von der anthropologischen Dimension der Einzigartigkeit oder Ersetzbarkeit des Menschen leiten zu lassen, muss hier zu einer kritischen Auseinandersetzung übergegangen werden, wie unterschiedliche Interaktionen gestaltet sein sollten. Für die zwischenmenschliche Interaktion wäre dies zum Beispiel ein Austausch, der nicht bloss der Verwirklichung von Zwecken oder Eigeninteressen dient, sondern der von der Anerkennung der Perspektive des Gegenübers bestimmt ist. Reduzieren wir die soziale Komplexität von zwischenmenschlichen Kontakten in den Automatisierungs-Szenarien also nicht auf den Zweck-Charakter der Interaktion. Erinnern wir uns damit aber insbesondere auch daran, die Menschen, mit denen wir unseren Alltag teilen, nicht zu Maschinen zu machen, indem wir ihr Erleben und ihre Geschichte verkennen.



    [1] Michael Tomasellos Hypothese der gemeinsamen Intentionalität liefert ein Erklärungsangebot, wie sich diese Fähigkeit durch die Kooperationsbemühungen von Individuen in der Natur- und Kulturgeschichte des Menschen ausgebildet haben könnte (vgl. etwa Tomasello, Michael. A Natural History of Human Thinking, Cambridge (Mass.): Harvard University Press 2014).

     

    Frage an die Leserschaft

    Was bedeutet in der Philosophie Intentionalität und weswegen ist dieser Begriff bei der Diskussion um zwischenmenschliche Interaktionen und Mensch-Maschine/Roboter-Interaktionen überhaupt wichtig?